BGM-Special: Ergebnisse

Best Case SBB: BGM messbar machen

Während viele Unternehmen sich nur damit auseinandersetzen, wie Arbeitsbelastungen verringert 
werden können, geht die SBB einen Schritt weiter. Sie setzt ein Kennzahlenmodell ein, mit dem nicht 
nur die Gesundheitsrisiken, sondern auch die Arbeitsressourcen im Unternehmen sichtbar werden, 
und erzielt damit erstaunliche Erfolge. – Datenflut-Dolmetscher Urban Studer gibt einen Einblick.

Urban Studer ist zahlenbegeistert. Das fällt sofort auf, wenn der Leiter der Operativen Steuerung des Betrieblichen Gesundheitsmanagements über das BGM-Kennzahlensystem der SBB spricht und über die Erkenntnisse, die sich aus diesem ablesen lassen. Dann beginnen seine Augen zu leuchten. Dieser Enthusiasmus ist auch vonnöten, muss Urban Studer das SBB-Topkader doch immer wieder davon überzeugen, dass die ergriffenen BGM-Massnahmen auch tatsächlich wirken. Zum Beispiel, indem er aufzeigt, dass diese einen positiven Einfluss auf die Führungskultur im Unternehmen haben,  die Arbeitgeberattraktivität steigern, die Produktivität erhöhen und krankheitsbedingte Kosten mindern oder gar vermeiden. «Wichtig ist, in der Sprache der Manager zu reden, um Verständnis zu schaffen», sagt der für das Monitoring und Controlling zu Arbeit und Gesundheit Verantwortliche. Diese Haltung spiegelt sich auch in solchen Managementbegriffen wie «Impact», «Performance» oder «Outcome», die immer wieder im Verlauf des Gesprächs fallen.

Arbeitsbelastungen minimieren, Ressourcen stärken

«Managementverständlich» zu sein, ist auch der Anspruch des BGM-Modells des Forschungsabteilungsleiters Georg Bauer der Universität Zürich (UZH), auf dem das Kennzahlensystem der SBB basiert und das die SBB seit 2011 einsetzt. Dieses hat zur Philosophie, dass sich durch die Minimierung von Arbeitsbelastungen nicht nur Krankheiten im Unternehmen vermeiden lassen, sondern durch die Stärkung der Arbeitsressourcen die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Mitarbeitenden gefördert werden, was sich schlussendlich in besseren Geschäftsresultaten niederschlägt. Weil das Unternehmen und die darin arbeitenden Menschen in Interaktion stehen, ist Krankheit gemäss diesem Modell nicht nur Sache des Einzelnen. Indem es das Management dabei unterstützt, Belastungen und Ressourcen auf Teamebene im Unternehmen zu erkennen und vorhandene Ressourcen zu ermitteln, ermöglicht es diesem auch, gezielt wirksame Massnahmen zu ergreifen.

Diese inhärente Logik greift das Kennzahlensystem der SBB auf: So werden die Mitarbeitenden alle zwei Jahre zu ihren 
Arbeitsressourcen und Arbeitsbelastungen befragt: Haben sie Mitsprachemöglichkeiten und ist ihr Handlungsspielraum genügend gross? Fühlen sie sich in einer bestimmten Division besonders unter Zeitdruck werden sie häufig unterbrochen oder sind sie körperlichen Belastungen ausgesetzt? «Durch die Auswertung solcher Daten gelingt es der SBB sogar bis auf Teamebene ersichtlich zu machen, wo die Brennpunkte im Unternehmen liegen und wie sich die Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Belegschaft entwickelt», sagt Urban Studer. Besonders die Auswertung der Aussage «Aus gesundheitlicher Sicht werde ich meine jetzige 
Tätigkeit auch in zwei Jahren noch ausüben können» gebe Hinweise zur künftigen 
Leistungsfähigkeit der Belegschaft eines bestimmten Bereichs. Neben den Daten, die das Gesundheitsmanagement-Team der SBB aus der Personalbefragung gewinnt, greift Urban Studer aber auch auf solche aus dem Personalcontrolling (zum Beispiel Altersverteilung, Geschlechterverhältnis, Anteile verschiedener Berufsgruppen) sowie dem Präsenz- und Case-Management (zum Beispiel Fehltage mit und ohne Langzeitausfälle, Anzahl Fälle und Falldauer bei Langzeitausfällen, Invaliditätskosten, Rückvergütungen durch die Sozialversicherungen) zurück.

Datenverzerrung bei der Auswertung von Kennzahlen ausschliessen

Eine der wichtigsten aus dieser Datenflut abgeleiteten Kennzahlen ist für Urban Studer jene der «Fehltage pro Vollzeitstelle», die je nach Bereich sogar in den  Jahreszielen der Führungskräfte verankert ist, wobei die Zielhöhenbestimmung differenziert erfolgt, denn «Büroangestellte haben ein deutlich niedrigeres Gesundheitsrisiko als etwa Gleisarbeiter, die bei Wind und Wetter körperliche Schwerarbeit verrichten», erklärt Studer. Die Zielhöhe variiere dabei nicht nur von Bereich zu Bereich, sondern unterscheide sich oft sogar von Team zu Team. Neben den «Fehltagen pro Vollzeitstelle» stehen auf Urban Studers Radar aber auch die Kostenentwicklung im Zusammenhang mit Langzeitausfällen und die aus gesundheitlichen Gründen frühzeitig aufgelösten Arbeitsverhältnisse.

Was für die Zielfestsetzung gilt, hat bei der Datenauswertung erst recht seine Gültigkeit, denn Daten sind differenziert zu interpretieren und es müssen die Faktoren im Auge behalten werden, welche die Kennzahlen möglicherweise verzerren: von der Alters- oder Geschlechterverteilung über Reorganisationen bis hin zu Grippewellen oder der Anpassung von IT-Systemen.

Aus Zielabweichungen die 
richtigen Schlüsse ziehen

Weicht eine Kennzahl von den Vorgaben ab, so greifen bei der SBB verschiedene Mechanismen. Verfehlt ein Vorgesetzter das vereinbarte Fehltageziel, hat dies dieselben Konsequenzen wie die Nichterreichung irgend eines anderen individuellen Jahresziels. Geschäftsbereiche, die ihre Zielwerte nicht oder nur knapp erreichen und auch bei anderen gesundheitsrelevanten Kennzahlen in einem kritischen Bereich liegen, werden von sogenannten «Steuergruppen zur Arbeit und zur Gesundheit» bei der Zielkorrektur unterstützt: Dabei führt das Gesundheitsmanagement zusammen mit den Bereichsleitern datengestützte Analysen durch, erarbeitet zusammen mit diesen konkrete Massnahmen zur Arbeitsgestaltung sowie zur Führungskräfte- und Mitarbeiterbefähigung und steuert die Umsetzung dieser Massnahmen. Doch wie zieht man aus Abweichungen die richtigen Schlüsse und ermittelt die zugrunde liegenden Ursachen?

Urban Studer schöpft aus dem Vollen: Quervergleiche innerhalb des gleichen Geschäftsbereichs, zwischen verschiedenen Berufs- und Altersgruppen sowie Regionen. Dabei versuchen er und sein Team, Muster in der Arbeitsbelastung und in den Arbeitsressourcen herauszukristallisieren. Seien die Fehltage zum Beispiel im Verkaufsteam A viel höher als im Team B, müsse man weitere Ursachenforschung betreiben: Sind im Verkaufsteam A zu wenig Ressourcen vorhanden? Wie sieht die Altersverteilung aus? Muss die Arbeitsorganisation angepasst werden? Liegt es an der Führungskraft? Oder gar an der Veränderung des Berufsbildes? So hätten im Verkauf verschiedenste Reorganisationen stattgefunden und der technische Wandel habe zu einer Automatisierung geführt, was die Zahl der Verkaufsstellen verringert habe.

Alles Faktoren, die eine Auswirkung auf die Absenzquoten haben. Die Ursachen finde man am besten heraus, «indem man mit den Leuten auf der Basis des BGM-Modells redet», meint Studer. «Um die Situation zu verbessern, kann man grundsätzlich immer sofort reaktiv ins Case Management investieren, kurzfristig die Qualität des Präsenzmanagements steigern oder mittel- bis langfristig an zwei Schrauben drehen: die Arbeitsgestaltung verbessern oder die Kompetenzen steigern.» Die positiven Auswirkungen dieser ständigen Verbesserungen lassen sich durchaus sehen: So hat die SBB laut Nachhaltigkeitsbericht 2014 allein im Berichtsjahr rund 40 Millionen Franken Kosten in Folge von Krankheit und Unfall verhindert.

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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