Heft 6/2015: HR-Debatte

Braucht es mehr Frauen im Parlament?

In National- und Ständerat sind Frauen noch immer markant untervertreten. Für Flavia Vattolo ein unhaltbarer Zustand. 
Sie fordert einen gleich hohen Frauen- wie Männeranteil. Yvette Estermann glaubt hingegen, dass es vor allem die Vielfalt an 
Meinungen und Erfahrungen ist, welche die Politik bereichert  – und nicht die gleichmässige Geschlechtervertretung.

Flavia Vattolo

Im kommenden Herbst wird das neue Parlament gewählt. Auch wenn die Frauen im Bundesrat fast gleich stark vertreten sind wie ihre männlichen Kollegen, beträgt die Anzahl der Frauen im Nationalrat nur knapp ein Drittel, im Ständrat sogar weniger als 20 Prozent. Im internationalen Vergleich teilt sich die Schweiz zusammen mit Burundi den 34. Platz bei der Frauenvertretung im Parlament. Wir können also nicht von einer gleichen Vertretung der Geschlechter auf dem politischen Parkett sprechen. An den Schlüsselpositionen der politischen Macht herrscht nach wie vor eine männlich geprägte Classe politique.

Dabei wäre es wichtig, diese ungleiche Machtverteilung auszugleichen: Nicht nur, weil die  Hälfte der Bevölkerung weiblichen Geschlechts ist, sondern  weil mit ihr auch viele Bereiche und Berufe verknüpft sind, in denen Frauen eine wichtige Rolle spielen. Angefangen bei der sogenannten Care-Ökonomie, das heisst der Versorgung und Fürsorge von Kindern und der Pflege gebrechlicher oder hilfsbedürftiger Menschen, die bis heute in grossem Ausmass unbezahlt geleistet wird und die künftig an Bedeutung gewinnt. Diese stetig wachsende gesellschaftliche Herausforderung wird hauptsächlich von Frauen bewältigt. Beim Verlust bezahlter Arbeit verlieren Frauen zudem nicht nur ihre finanzielle Unabhängigkeit, sondern werden damit auch auf ihre althergebrachten Rollen zurückgeworfen.

Ein allfälliger politischer Sparkurs wie die  Streichung von Stellen in Spitälern, Pflegeheimen oder anderen sozialen Einrichtungen betrifft Frauen somit immer in doppelter Weise und käme einem Rückschritt auf dem Weg zur echten Partnerschaft zwischen den Geschlechtern gleich. Gleiches gilt für den Bildungsbereich oder für viele andere Dienstleistungsberufe. Auch dort trifft man auf eine hohe Anzahl von Frauen, die diese Berufe sehr wohl bekleiden, nicht aber die politischen Ämter, in denen die diesbezüglichen wichtigen Entscheidungen getroffen werden. Wäre es da nicht logisch, in jedem Fall aber gerecht, wenn Frauen die diesbezügliche politische Mitsprache mindestens zur Hälfte innehätten?

Die ungleiche Machtverteilung muss sich ändern. Frauen tragen eine grosse gesellschaftliche Verantwortung und nehmen diese tagtäglich im Beruf, innerhalb der Familie und im sozialen Gefüge wahr. Ausgerechnet an den politischen oder ökonomischen Schaltstellen sind Frauen aber nach wie vor untervertreten. Dabei wären sie hier für eine ausgleichende und stellvertretende Politik mehr als nur wichtig. Die Frage, ob ein sozial zunehmend gefährdeter Staat noch prekäreren Zeiten entgegenginge, wenn Frauen gleich viel politische Macht besässen wie Männer, stellt sich kaum: Frauen sind zu klug, um am Ast zu sägen, auf dem sie sitzen. Wenn die erfreulichen Regierungsratswahlen im Kanton Zürich vom April 2015 richtungsweisend sind, dürften wir im Herbst mit einer Zunahme von 15 Prozent Frauen auf eidgenössischer Ebene rechnen. Dieses Ziel gilt es im Auge zu behalten.

 

Yvette Estermann

Wie klingt diese Aussage in Ihren Ohren: «Wählen Sie mich ins Parlament, weil ich eine Frau bin!» Wohl ein verfehlter Versuch, mehr Frauen in die Politik zu bringen. Aber so oder ähnlich denken tatsächlich einige «Frauenförderer». In die gleiche Richtung gehen auch alle Bestrebungen, Frauenquoten einzuführen. Ich bin entschieden dagegen. Warum? Die Wähler sollen Politiker wegen ihrer Leistung und Kompetenz wählen, aber sicher nicht wegen ihres Geschlechts! Wir brauchen fähige, bewährte Personen, die für ein Amt kandidieren. Und für ein Exekutivamt sollen sie auch die nötige Fachkompetenz und Führungsfähigkeit mitbringen.

Warum es in der Politik nicht mehr Frauen gibt? Weil sie ihre Prioritäten oft ganz anders setzen. Sie wollen ihre wertvolle Zeit mit ihrer Familie, den Kindern und ihrem Mann verbringen. Sie pflegen intensiv Kontakt zu ihrem Freundeskreis und zu ihren Bekannten. Viele Frauen sind auch stark in verschiedene Vereine eingebunden oder sie pflegen noch ältere oder kranke Angehörige. Andere wiederum treiben gerne Sport und haben interessante Hobbys. So bleibt einfach keine Zeit für die Politik. Und nicht wenige Frauen, die ich kennengelernt habe, interessiert die Politik so wenig, dass sie nicht einen grossen Teil ihres Lebens damit verbringen möchten. Und das kann ich gut verstehen …

Wäre ein grösserer Frauenanteil eine Bereicherung für die Politik? Ja, sicher.  Klar ist, dass Frauen anders politisieren als Männer. Aber das allein ist noch kein Grund, Frauen den Männern vorzuziehen. Was die Politik bereichert, ist nicht eine möglichst gleiche Anzahl von Männern und Frauen in den Parlamenten. Es ist die Vielfalt der Meinungen und Erfahrungen, die Vielfalt der Berufe, der sozialen Schichten und des Alters. Die Wählerinteressen sollen in ihrer ganzen Vielfalt auch in der Politik vertreten sein. Das bringt optimale Lösungen für unser Land.

Wir Frauen sind übrigens keine Mauerblümchen und keine frustrierten Emanzen. Ob im Beruf oder in der Politik: Wir brauchen keine Frauenquoten, die uns portieren. Quoten können nur Frauen fordern, die ein falsches Bild von Frauen vermittelt bekamen oder von sich selber nicht überzeugt sind. Sie denken, dass sie nicht stark oder nicht gut genug sind, um eine Stelle oder eine Position ohne staatlich verordnete Quoten zu besetzen! Wenn eine Frau zu ihrer inneren Stärke findet, muss sie nichts befürchten. Eine «Quotenfrau» zu sein ist deshalb eine Beleidigung für jede selbstbewusste Frau! Starke Frauen brauchen keine Quoten. Sie profilieren sich durch Wissen und Können und gehen eigenständig ihren Weg!

Übrigens: Gegen das Streben einer Frau, die sich ihrer Stärken bewusst ist und weiss, was sie will, ist kein Kraut gewachsen. Frauen sollen sich nicht einreden lassen, dass sie schwach oder unfähig sind! Das sind Manipulationsversuche, denn eine schwache Frau ist wesentlich leichter zu beeinflussen als eine starke und  selbstbewusste Frau!

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Flavia Vattolo ist Vorstandsmitglied beim Verein Fembit, einer feministischen Online-Plattform, die Frauen Vernetzungsmöglichkeiten bietet.

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Yvette Estermann ist SVP-Nationalrätin des Kantons Luzern und daneben als Buchautorin und Coach tätig sowie Gründerin und Präsidentin der Yvette-Estermann-Stiftung.

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