Im Gespräch

«Die HR-Funktion muss dringend aufgewertet werden»

Als Direktorin der französischen HR-Vereinigung «Entreprise & Personnel» hat Sandra Enlart Einblick in die Personalarbeit der 120 grössten Unternehmen Frankreichs. Im Rahmen des HR Swiss Congress ist sie als «Top-Refe­rentin» gesetzt und soll dort mit ihrer Eröffnungs­rede für ­Gesprächsstoff sorgen. Ein Vorgeschmack.

Frau Enlart, wenn Sie die HR-Herausforderungen in Frankreich mit der Schweiz vergleichen, worin erkennen Sie die grössten Unterschiede?

Sandra Enlart: Einerseits sicher in der Grösse der Unternehmen. Zwar gibt es in Frankreich sehr wohl auch KMU. Diese sind für die französische Wirtschaft jedoch weniger bedeutsam als für die Schweiz. Andererseits gibt es auch kulturelle Unterschiede. So ist der soziale Dialog mit den Gewerkschaften im Unternehmensalltag in Frankreich viel präsenter als in der Schweiz. Wobei mir bewusst ist, dass es auch innerhalb der Schweiz Unterschiede gibt. Die Situation in der Deutschschweiz lässt sich vielleicht eher mit der Situation in Deutschland vergleichen, während die Romandie der französischen Realität näherkommt.

Sehen Sie neben der Grösse der Unternehmen und dem Einfluss der Gewerkschaften weitere Differenzen?

Einen dritten Unterschied erkenne ich in der relativ hohen Zahl an global tätigen Grosskonzernen, die in der Schweiz beheimatet sind. Solche internationale Multis verfolgen einen sehr stark standardisierten und normativen Ansatz, der von oben nach unten durchgesetzt wird. Dies steht oft im Widerspruch mit den landesspezifischen Eigenheiten der Niederlassungen. Insofern ist diese HR-Praxis stark durch die angel-sächsische Kultur geprägt. In den französischen Firmen sind die HR-Konzepte viel segmentierter und individueller ausgestaltet.

Also eine Kritik am angelsächsischen Ansatz Schweizer Weltkonzerne?

Es besteht einfach die Gefahr, dass man viel Zeit und Geld in eine kleine Gruppe sehr mobiler und sehr talentierter Kader investiert, während man sich um den Rest – namentlich die Leute in den lokalen Niederlassungen – nicht wirklich kümmert.

Zur Person

Sandra Enlart gilt als eine der einflussreichsten ­HR-Stimmen Frankreichs. Als Generaldirektorin von «­Entreprise & Personnel» steht sie an der Spitze eines HR-Netzwerks, dem die 120 grössten französischen Unternehmen angehören – darunter Grosskonzerne wie Air France und Renault. Ziel der 1969 gegrün­deten Vereinigung ist die stetige Professionalisierung des HR. Sandra Enlart eröffnet am 17. September 2014 den 6. HR Swiss Congress im Kursaal Bern.

www.entreprise-personnel.com

Sehen Sie das HR demnach quasi als Hüter einer globalen gesellschaftlichen Verantwortung?

Die HR-Funktion wird künftig vermehrt den Beziehungen zur Aussenwelt des Unternehmens Rechnung tragen müssen. Sei es in Bezug auf die Gesellschaft als solche mit all ihren soziologischen Entwicklungen oder in Bezug auf die politische Situation der Territorien, in denen sich das Unternehmen entwickeln will. Diese Verankerung in der lokalen sozio-politischen Umgebung ist der Grund, weshalb Fragen der sozialen Verantwortung immer mehr Raum einnehmen in den HR-Strategien. Dies verpflichtet die Unternehmen dazu, ein Verständnis, aber auch Fachwissen für diese Problemstellungen zu entwickeln.

Wodurch wurde diese Entwicklung Ihrer Einschätzung nach ausgelöst?

Heute sind die Unternehmen angehalten, soziale und politische Themen zu berücksichtigen. Im Fall von Massenentlassungen oder einer ­strategischen Umorientierung, ist es – zumindest in Frankreich – nicht länger möglich, die betroffenen Parteien zu ignorieren.

Das Thema des diesjährigen HR Swiss Con-gress lautet «High Impact HRM». Es geht also um den Einfluss des HRM in einer Organisation. Wie interpretieren Sie dieses Thema als ­Referentin?

Mir geht es um die Aufwertung der HR-Funktion. Diese muss dringend aufgewertet werden. Es ist mir ein Anliegen, dass die HR-Rolle in Unternehmen dasjenige Gewicht erhält, das sie aufgrund ihrer sozio-politischen und menschlichen Dimension verdient.

Was verstehen Sie unter «menschlicher Dimension»?

Die Unternehmen sind zunehmend angehalten, ihre Angestellten als Menschen und nicht nur als Arbeitskräfte zu betrachten. Der Angestellte wird in diesem Sinn zu einem Individuum, dem man in verschiedenen Dimensionen gerecht werden sollte: In der physischen Dimension geht es um alle gängigen Fragen der Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz. Doch auch die psychologische Dimension wird immer wichtiger. Etwa psycho-soziale Risiken wie Stress und Fragen rund um die Lebensqualität am Arbeitsplatz. Diese Themen sollten die HR-Abteilungen dazu verpflichten, das Verhältnis zwischen dem Individuum und der Arbeit zu überdenken und die Art der Arbeitsorganisation zu hinterfragen.

Wie kann das HRM in solch fundamentalen ­Fragen seinen Einfluss geltend machen, also ­einen «High Impact» erzielen?

Das HR sieht sich heute mit doppelten Ansprüchen konfrontiert. Auf der einen Seite soll das HR das unablässig expandierende Fachwissen ständig erweitern, andererseits aber auch zunehmend verfeinerte strategische Visionen entwickeln. Der zweite Anspruch muss in der Präsenz der HR-Führungsperson in den Direk­tionsgremien münden.

Welche Ansprüche muss ein HR erfüllen, das sich als strategischer Partner versteht?

Die neue Rolle als strategischer Partner befreit das HR nicht davon, weiterhin auf diversen Gebieten sehr beschlagen sein zu müssen. Etwa in juristischen Fragen, auf dem Feld der Ver­gütung, im Talentmanagement und natürlich in der Rekrutierung. Es müssen also weiterhin diverse Ansprüche bedient werden. Das erklärt auch, weshalb man in gewissen HR-Abteilungen heute so unterschiedliche Profile vor­findet.

Welches Profil müssen HR-Leader in diesem Kontext aufweisen?

Es bewährt sich, dass erfahrene Leute aus der Linie mit der HR-Verantwortung betraut werden. Diese kennen das Unternehmen am allerbesten und sind es sich gewohnt, Leute zu führen, die zehnmal spezialisierter sind als sie selbst. Mit einem solchen Hintergrund verfügen HR-Verantwortliche in Leitungsgremien über ein viel besseres Standing, weil sie ihren Direktionskollegen aus der Linie auf gleicher Augen­höhe begegnen.

Ein Zustand, der in der Schweiz immer noch ­Seltenheitswert hat. Wie präsentiert sich die ­Situation in Frankreich?

Bei 95 Prozent der 120 grössten Unternehmen Frankreichs, die in meiner Organisation vertreten sind, sitzen die HR-Verantwortlichen in der Geschäftsleitung.

Worauf führen Sie diesen hohen Wert zurück?

Aufgrund der Wirtschaftskrise in den 90er-Jahren erhielten soziale Fragen eine neue Dimension. Neben Sozialplänen und neuen Salärmodellen gewannen auch strategische Fragen der Gewinnung, Entwicklung und Bindung von Mitarbeitenden an Bedeutung. All diese Gründe begünstigten die Aufwertung der HR-Funktion.

Gibt es bei diesen HR-Chefs Berufsgruppen, die sich besonders stark durchsetzen konnten?

Nein. Es ist völlig egal, ob jemand Jurist, Psychologe, Soziologe oder Betriebswirtschaftler ist. Wie gesagt: Sehr oft sind für HR-Führungspositionen Personen mit Linienerfahrung sehr wertvoll. Was zählt, ist das strategische Denkver­mögen.

HR Swiss Congress

Der alle zwei Jahre durchgeführte ­Branchenkongress findet dieses Jahr unter dem Leitthema «High Impact HRM» statt. Der erste Kongresstag (17.9.) ­mündet in der Verleihung der Swiss Arbeit­geber Awards und wird mit einem Kongress­dinner beschlossen. Ein zentrales Thema des zweiten Kongresstages (18.9.) ist die Ver­bindung zwischen IT und HR mit einem Schluss­referat des deutschen Bloggers und Strategieberaters Sascha Lobo. HR Today unterstützt den Event als ­offizieller Medienpartner.

www.hr-swiss-congress.ch

 

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Ehemaliger Chefredaktor HR Today.

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