Erfahrungsbericht

Gespräche mit Mitarbeitenden aus 56 Nationen

Domicil Bern AG betreibt im Raum Bern 21 Alterszentren mit rund 1350 Mitarbeitenden. 2012 wurde ein neues System für Mitarbeitergespräche (MAG) eingeführt – ein Erfahrungsbericht.

Drei Herausforderungen hatte Franziska Honegger Ende 2011 für das neue MAG vor Augen:

  • Erstens klagten viele Führungskräfte, dass sie mehr Zeit für die Administration des MAG-Prozesses brauchen, als für das eigentliche Gespräch.
  • Zweitens erfolgte die Qualifikation damals über frei definierte Ziele, was für meist repetitive Funktionen unpraktisch ist.
  • Drittens sind bei Domicil Mitarbeitende aus 56 Nationen tätig: In der Pflege und Betreuung, in der Küche, in der Reinigung, im Unterhalt. Fremdsprachigkeit ist das eine, sehr unterschiedliche Ausbildungshintergründe das andere.

Weg vom Formular

Schnell war klar, dass nicht das Formular, sondern das Gespräch im Zentrum des MAG-Prozesses stehen muss. Eine gut ausgebildete Pflegefachfrau soll dabei ebenso gewürdigt werden wie der tamilische Mitarbeiter am Abwaschtrog. Ein vielversprechender Lösungsansatz bot «Sevencards», ein System für das MAG auf der Basis von Karten. Sevencards bietet:

  • Ein System, in dem vor allem die Kernbotschaften einfach zu vermitteln sind – also das, was man dem Mitarbeitenden an Lob wie Kritik mitgeben möchte.
  • Einen flexiblen Gesprächsleitfaden, der an ganz unterschiedliche Führungssituationen angepasst werden kann.
  • Und schliesslich hilfreiche Stichworte für die Qualifikation von Mitarbeitenden in komplett unterschiedlichen Funktionen und Niveaus – vom Hilfsarbeitenden bis zur Geschäftsleitung – ohne alles pingelig vorzugeben.

Sevencards besteht zunächst aus sieben Kompetenzkarten: Fachkönnen, Methodik, Qualität, Unternehmerisches Handeln, Kommunikation, Zusammenarbeit, Offenheit. Auf jeder Kartenrückseite finden sich konkrete, beobachtbare Beschreibungen. Diese Stichworte  liegen in drei Anforderungsniveaus vor: Je ein Kartenset für eher repetitive Aufgäben, für anspruchsvolle Fachaufgaben sowie für Führungsfunktionen. Hinzu kommen die Karten Initiative, Belastbarkeit und Respekt – Karten also, die wahrgenommene persönliche Eigenschaften und Vorzüge eines Mitarbeitenden reflektieren. Diese wenigen Karten reichen aus, um alle Beurteilungsthemen im MAG zu adressieren: Fachliches ebenso wie Persönliches, lobende ebenso wie heikle Aspekte, kurzfristig orientierte Erwartungen genauso wie langfristige Entwicklungsmöglichkeiten.

In einem Pilotprojekt Ende 2011 zeigte sich, dass die Vorgesetzten den Karten spielerisch begegnen, deren Verwendung nach kurzer Einführung begreifen und überraschend schnell verstehen, welche Varianten in der Anwendung möglich sind. So müssen zum Beispiel nicht immer alle Karten zum Einsatz kommen: Für gewisse Mitarbeitende in Basisfunktionen – zum Beispiel in der Reinigung – reichen auch einmal nur drei Karten, um Lob und Verbesserungsthemen zu adressieren. Dank den Karten können im Mitarbeitergespräch relevante Themen in unterschiedlicher Reihenfolge und Gewichtung besprochen werden.

Führungskompetenz bleibt im Zentrum

Auch ein MAG mit Sevencards macht die Führungskraft keineswegs überflüssig. Nach wie vor muss sie sich überlegen, wie sie ihre Mitarbeitenden erlebt und bewertet; sie muss sich auf das MAG vorbereiten; und sie muss entscheiden, was sie unter Fachkompetenz, Qualität oder Zusammenarbeit versteht und priorisiert. Bei Domicil haben vor allem führungskompetente Vorgesetzte das System schnell adaptiert. Weniger routinierte Führungskräfte verstehen zwar die Funktionsweise, brauchen jedoch mehr Unterstützung bei der Vorbereitung schwieriger Kritikgespräche oder beim Formulieren ihrer Erwartungen. Entsprechend wurden die halbtätigen Einführungsveranstaltung von individuellen Beratungsangeboten von Human Resources ergänzt.

Die bisherigen Rückmeldungen bei Domicil sind durchwegs positiv. Geschätzt wird,  dass man dem Individuum im MAG weit mehr gerecht werden kann und dass die faire, differenzierte Qualifikation mit S8evencards leichter fällt.

Erfolgsversprechend waren bei der Einführung zudem:

  • Die sorgfältige, kompakte Schulung mit einem Train-the-trainer-Ansatz.
  • Die Überprüfung und präzise Anpassung aller Systemschnittstellen, zum Beispiel im Bereich der Entlöhnung inklusive Übergangsbestimmungen im Jahr 2012.
  • Schliesslich der Mut von Domicil, auf eine Gesamtbeurteilung zu verzichten: Bewertet wird also nur die jeweils relevante Kompetenz(karte). Auf eine abschliessende «Schulnote», die ohnehin oft verfälscht ausfällt, wird verzichtet.

Zwei Jahre nach der Einführung wird erkennbar, dass die Führungskräfte an Routine und Leichtigkeit im Umgang mit Sevencards gewinnen. Immerhin sind die verschiedenen Wahlmöglichkeiten, die Kombination der Karten oder die individuell passende Gesprächsstruktur im Mitarbeitergespräch je nach Führungssituation anspruchsvoll. Es liegt in der Natur von Menschenführung, dass es immer wieder Unsicherheiten und Fragen in Bezug auf die praktische Anwendung gibt.

www.hr7.ch/sevencards

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Franziska Honegger ist Direktorin Human Resources bei Domicil Bern AG. Neben ihrer HR-Funktion hat sie die Verantwortung für vier Alterszentren. Seit mehr als 10 Jahren ist Franziska Honegger als HR-Leiterin in verschiedenen Branchen tätig.

Weitere Artikel von Franziska Honegger

Stefan Bommeli ist Mitinhaber von hr7 Human Resources Management und Mitentwickler der Lösung Sevencards (www.sevencards.ch). Im Zentrum seiner Arbeit steht die Führung und Entwicklung von Menschen in Organisationen. www.hr7.ch

Weitere Artikel von Stefan Bommeli

Cela peut aussi vous intéresser