Heft Nr. 9/2015: Mitarbeitermotivation

Herkulisches 
Motivationsprojekt

Nach rasantem Wachstum hat die Raiffeisen Gruppe in den letzten vier Jahren ein breit angelegtes Grundstrategie-Entwicklungsprogramm gestartet, um sich für die wirtschaftliche Zukunft zu wappnen. 1500 Führungskräfte waren beteiligt. Im September treffen sich gar alle 10 000 Mitarbeitenden, um den erarbeiteten «Zukunftskompass» zu verankern. Durch den breit abgestützten Prozess reduzieren sich nicht nur Reibungsverluste, es steigen auch Motivation und Engagement, schreibt HRM-Chef Michael Federer.

Unternehmerische Strategiearbeit ist ein Prozess, der in der Regel von wenigen für viele entschieden wird. Wenn eine offene Zukunft mit unzähligen Möglichkeiten gestaltet wird, ist Orientierungskompetenz für alle Mitarbeitenden gefragt. Denn in der Genossenschaft leben sie unsere Werte intern und übersetzen sie extern täglich an die Kunden.

Die Geschäftsleitung hat deshalb 2010 entschieden, die Grundstrategie im Dialog mit unseren Banken und ihren Mitarbeitenden zu überarbeiten. Um dem Projekt Aufmerksamkeit zu sichern, wurde eine Projektorganisation eingerichtet, welche die Integration der Fachbereiche sicherstellte. Je nach Projektphase kamen verschiedene Fachbereiche hinzu, die phasenweise mal mehr, mal weniger involviert waren. Eine Projektleiterin nahm sich vollumfänglich dem Projekt an, um die einzelnen Fachbereiche zu koordinieren.

Der Bereich Human Resources ist als «Themen-Owner» für die Werte und als Fachstelle für die kulturellen Veränderungen ein wesentlicher Treiber des Projekts. Gerade in der Erarbeitungsphase war Human Resources sehr stark involviert, als es um die methodische und inhaltliche Erarbeitung der Raiffeisen-Werte ging. 2010 hatte die Bankengruppe 10 000 Mitarbeitende. Die Kunden waren um 800 000 auf 3,7 Millionen gewachsen und 600 000 neue Mitglieder summierten sich auf 1,8 Millionen Genossenschafter. Der Entscheid gegen eine verordnete Strategie hiess, Engagement, Wissen und Motivation der Mitarbeitenden in einen kreativen Prozess zu überführen, der unsere Heterogenität als Gruppe erfolgreich verdichtet.

Genossenschafts-DNA: Nähe und Dezentralität

Genossenschaften sind seit über 100 Jahren eine beständige Wirtschaftsform, weil der Gedanke des gemeinschaftlichen Vorankommens die unternehmerische Leistung ebenso prägt wie die soziale Verantwortung für die Gesellschaft. Diese erwartet von den Unternehmen auch immer stärker das Verhalten eines «Good Corporate Citizen». Raiffeisen verkörpert die eidgenossenschaftliche Tradition von Nähe und Dezentralität, von Selbst- und Mitbestimmung. Willensbildungsprozesse sind vom respektvoll direktdemokratischen Umgang miteinander geprägt. Hierarchien sind zwar vorhanden, werden aber durch Partizipation so weit wie möglich eingeebnet. Crowdsourcing, also die sprichwörtliche Intelligenz der Gruppe zu nutzen, ist in unserem Kontext nicht neu. Deshalb muss der Wertekanon für jedes einzelne Glied der Gruppe lebbar und entwicklungsfähig bleiben. Dogmatik ist nicht Teil der genossenschaftlichen DNA.

Partizipativer Dialog

Die Bearbeitung der Raiffeisen-Grundstrategie unterscheidet Ausarbeitung, Diskussion, Finalisierung und Verankerung. In der Ausarbeitungsphase schufen Bank- und Strategieexperten zunächst eine Diskussionsgrundlage. Gestaltungskern waren die Dialogforen 2012, 2013 und 2014, in denen die partizipativ erarbeiteten Inhalte rückgekoppelt und für den nächsten Schritt aufgearbeitet wurden. Unter der Marke Raiffeisen firmieren in der Schweiz rund 300 eigenverantwortliche Banken mit unterschiedlichen Betriebsgrössen, Kundenportfolios und Tätigkeitsgebieten. Immer wieder zeigte sich, dass die Gruppenzentrale deren Handlungs- und Entscheidungsspielraum auf keinen Fall einengen darf. Auf diesen hochgradig iterativen Prozess musste sich die Organisation erst einstellen; von Missverständnissen bei den Übersetzungen bis zu Verhandlungslösungen an den fachlichen Schnittstellen.

Von 230 auf 4 Werte verdichtet

1500 Führungskräfte setzten sich in zehn identischen Grossgruppen-Workshops am «Raiffeisen Dialog 2012» zunächst mit den einzelnen Themen für die Grundstrategie auseinander. Jede Bank nahm mit vier Repräsentanten teil: Jedes Thema wurde von jeder Bank diskutiert. Das Ergebnis waren 3000 Anregungen, Richtigstellungen und Ergänzungen. Die Foren brachten auch neue Aspekte auf: Beim Thema Dialog-Plattformen wurde zum Beispiel deren Fortsetzung unabhängig von den Informationskanälen gewünscht. Weitere Inputs betrafen die Optimierung des Geschäftsstellennetzes.

Die Analyse von 22 Dokumenten von und über Raiffeisen ergab zu Anfang 230 Werte, 
die auf 19 verdichtet, nochmals auf vier Werte priorisiert wurden. Als Kernwerte der neuen Strategie destillierten sich Glaubwürdigkeit, Nachhaltigkeit, Nähe und Unternehmertum heraus. Bestimmte operative Themen wurden in die Verantwortung der Fachbereiche übergeben. Arbeitsgruppen erarbeiteten hier bereits während des Dialogprozesses konkrete Lösungen.

Stolpersteine: Dialog verlängert

Im Februar 2013 konnte die Geschäftsleitung die Version 1 der Grundstrategie entgegennehmen. Sie entschied an diesem Punkt, den Review-Prozess zu verlängern und so die Banken weiterhin am Prozess beteiligt zu halten.

Eine Online-Umfrage ergab 1700 Rückmeldungen zum Text, 68 unkritische und 33 kontroverse Abschnitte. Damit standen rund 70 Prozent der Strategie bereits fest. Die 33 Abschnitte indizierten weiteren Diskussions- und Klärungsbedarf. Flexibilität war gefordert. Die Teilnehmenden in ausserordentlichen Bankleiterforen arbeiteten unter anderem aufgrund einer Prioritäteneingabe per iPod. Dabei wurden die Antworten zu den priorisierten Themen mit einem speziell angepassten Tool erfasst. Kommentare gingen in einen elektronischen Themenspeicher. Die technologische Unterstützung ermöglichte die Verdichtung dieser Entscheidungsprozesse mit vielen Beteiligten.

Die Genossenschaft als Unternehmensform hat also nicht mehr zwingend den Nachteil langwieriger Entscheidungsprozesse. Übrig blieben 1100 Kommentare zu sechs Abschnitten der Grundstrategie und zu den Themen Governanz und Autonomie, die nochmals intensiv durch die Geschäftsleitung und den Verwaltungsrat der Raiffeisen Gruppe diskutiert wurden, bevor sie in die Grundstrategie eingingen. Der Verwaltungsrat setzte im Januar 2014 Version 2 in Kraft. Aufgrund von Rückmeldungen von Bankenvertretern wurden vier Artikel in Abstimmung mit den Bankenvertretern und dem Verwaltungsratspräsidenten nochmals angepasst und im Zirkularbeschluss als Version 3 in Kraft gesetzt.

Breit abgestützte Verankerungsphase

Unter dem Titel «Gemeinsam Zukunft schaffen» startete nun die Verankerungsphase. Beim Dialog 2014 stand für rund 600 interessierte Führungskräfte das «Wie» im Vordergrund. Seither erwandern die Mitarbeitenden in Gruppen die neue Grundstrategie und die Werte auf dem «Raiffeisen-Weg» mit Hilfe einer Augmented Reality App und einem Wanderbüchlein mit Leitfragen für Diskussionen. Die zehn wichtigsten Botschaften der Grundstrategie können an selbst erstellbaren Stationen vor Ort in die Realität übersetzt werden.

Der «Dialog Plus»-Grossworkshop im September 2015 schliesst nun den Prozess in Basel ab. Bis auf eine eiserne Reserve werden alle Raiffeisler zusammenkommen, um ihren zukünftigen Beitrag zum Erfolg der Raiffeisen Gruppe zu diskutieren. Die gemeinsame Arbeit soll so auch physisch und emotional erfahrbar werden. Rund 10 000 Teilnehmende werden in Foren à 200 bis 400 Personen gruppiert und von Raiffeisen-Mitarbeitenden  moderiert, die speziell für diese Veranstaltung geschult werden. Sie ist eine vorläufige Zwischenbilanz: Die Übersetzung des Erarbeiteten geht nun in den Linienorganisationen weiter.

Genossenschaft als Zukunftsmodell

Eine genossenschaftlich erarbeitete Unternehmensstrategie ist dann erfolgreich, wenn sie verstanden und gelebt wird. Sie ist der Kompass, mit dem sich die Raiffeisen Gruppe nach innen und aussen für die Zukunft dialogfähig macht. Genossenschaftliche Wirtschaftsformen gewinnen an Bedeutung für eine Gesellschaft, die zunehmend den Ausgleich zur globalen Entgrenzung sucht. Die Anforderungen von Kunden, Arbeitnehmenden, und Bürgern an die Genossenschaften vervielfältigen sich.

Mit dem «Raiffeisen-Dialog» setzen wir neue Standards, um die verschiedenen Aspekte der Genossenschaft in ein umfassendes Wirtschafts- und Wachstumsmodell zu überführen.

Raiffeisen

Die Raiffeisen Gruppe ist die drittgrösste Bankengruppe der Schweiz. Sie zählt 3,7 Millionen Kundinnen und Kunden. Davon sind 1,8 Millionen Genossenschafter 
und somit Mitbesitzer 
der 305 rechtlich autonomen Raiffeisenbanken an 1015 Standorten. Die Bilanzsumme beläuft sich auf 189 Milliarden Franken.

 

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Michael Federer ist Leiter HRM von Raiffeisen Schweiz.

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