Personal Swiss 2014

HR-Arbeit in chinesisch-europäischen Joint Ventures

In der westlichen Welt sind HR-Tools verbreitet, die man in China so nicht kennt. Im Rahmen eines deutsch-chinesischen Organisationsentwicklungsprogramms hat das Beratungsinstitut «oezpa» in der chinesischen Geschäftswelt der Provinz Jiangsu europäische HR-Instrumente eingeführt und an die dortige Kultur angepasst. Ein Experiment mit durchaus abenteuerlichem Pioniercharakter.

Hierzulande einschlägig bekannte HR-Instrumente und Formeln wie «360-Grad-Feedback», «Führungs-Kompetenzmodell», «Coaching», «Organisationsentwicklung», «Teamentwicklung», «Group-Relations-Arbeit», «Open-Space-Konferenzmethodik» oder «Future-Search-Strategiemethode» klingen in den Ohren chinesischer Businessleute etwa so exotisch, wie uns wahrscheinlich die Geheimnisse der chinesischen Medizin und Kulinarik im Grunde verborgen sind. Es ist höchstens ein Halbwissen vorhanden.

Austausch tut not – gegenseitig

Um es vorwegzunehmen: Unsere Pionierarbeit in der Erforschung wie auch in der Beratung chinesischer Unternehmen führte zu Lernprozessen und Erkenntnissen, die schliesslich umgekehrt wieder in die HR-Arbeit hier in Europa einflossen. Dieser Fachartikel beschreibt jene Prozesse und zeigt auf, was hiesige HR-Personen daraus lernen können. Der Text gibt Einblick in einen komplexen, schwierigen, schmerzhaften, jedoch immer auch spannenden organisatorischen Entwicklungsprozess in einer fremden Kultur fernab von Europa. Das untersuchte Unternehmen hat seinen Standort in der Provinz Jiangsu, Volksrepublik China.

China im Dezember 1978

Es ist im Verhältnis zu der Tausende Jahre währenden Geschichte Chinas noch nicht lange her, dass der ehemalige Präsident Chinas, Deng Xiaoping, im Dezember 1978 das Land für internationale Investoren und Unternehmer öffnete. Seitdem veränderte sich das Land zügig von einer Plan- hin zu einer florierenden Marktwirtschaft (Kolb/Tianjian Jiang, 2005). China ist nicht nur als Niedriglohnland für das produzierende Gewerbe interessant. Angesichts seiner hohen Bevölkerungsanzahl entwickelt es sich selbst zu einem potenziell florierenden und vitalen Absatzmarkt für internationale Unternehmen (Liefner, 2005).

Zentrale Forschungsfrage

Der vorliegende Praxisfall wurde mit der Methode der Einzelfallstudie anhand eines Beratungsmandats über fünf Jahre lang erforscht (Özdemir, 2013). Untersucht wird die Frage, wie sich eine im Westen entwickelte Organisationsentwicklungsarbeit in einem deutsch-chinesischen Joint Venture in China darstellt.

Organisation als «Soziotechnisches System»

Die Erkenntnis, dass die «Theorie die Beobachtung bestimmt», stammt von Albert Einstein. Entsprechend dieses Gedankenganges ist es wichtig, sich als Personaler über die eigenen, bewussten und unbewussten Bilder über Organisationen im Klaren zu sein. Diese inneren Bilder prägen die Art und Weise, worauf wir schauen und wie wir intervenieren. Die Organisationsentwicklungs- und HR-Arbeit wurde in diesem Praxisfall aus der Perspektive des Unternehmens als soziotechnisches System gesteuert (Sydow, 1985). Sowohl mit dem Fokus auf das soziale Subsystem (z. B. Kultur, Klima, Widerstände) als auch im Hinblick auf das vom Unternehmen gesteuerte fachlich-technische Subsystem (z. B. Strukturen, Infrastruktur, Personalpolitik, -systeme, -instrumente).

Zustand der HR-Funktionen in China

Der Zustand der HR-Funktionen in China ist weit entfernt vom Ideal. Personalmanager und Mitarbeitende sind für den Wettbewerb in einer modernen Ökonomie nicht gut ausgestattet (Kolb/Tianjian Jiang, 2005). Das Organisationsentwicklungsprogramm wurde durch die bestehende Führungsstruktur gesteuert und getragen. Auf eine separate, neben und vor der eigentlichen Organisation operierende Projektorganisation wurde bewusst verzichtet. Der Geschäftsführer persönlich übernahm die OE-Programmleitung. Die stellvertretende Leitung des Programms wurde der chinesischen Personalleiterin (vgl. Abb. «Beteiligte und Rollen») anvertraut. Mit ihr wurden die Einsätze vorbereitet, reflektiert, koordiniert und Entscheidungen, z. B. über OE-Massnahmen, vorbereitet (siehe Abbildung 1 und 2).

Fazit – Erkenntnisse für die HR-Arbeit in Europa

Das Lernkonzept und die Methoden der im Wes­ten üblichen OE-HR-Instrumente konnten in China angewandt werden. Folgende Erkenntnisse enthalten wichtige Lernfelder für die HR-Arbeit in OE- bzw. Change-
Management-Prozessen – die auch in der Schweiz von Interesse sein könnten.

  • Eine umfassende OE-HR-Arbeit kann, wie hier, mit den Ergebnissen einer Mitarbeiterbefragung starten.
  • Das Managementteam, bestehend aus den Direktoren und dem Geschäftsführer, übernahm die Rolle des Kernteams. Die Rolle der HR-Funktion wurde somit strategisch platziert.
  • Die Personaler arbeiten in Richtung beider Subsysteme und gehören in den ganz engen Steuerungskreis solcher OE-HR-Prozesse.
  • Der Geschäftsführer hat die Personalleiterin mit ihren Stärken und Schwächen akzeptiert. Er hat sich gegen äussere, negative Einflüsse gewehrt und die chinesische Personalleiterin entgegen der Weisung der China-Personalabteilung in der Funktion belassen.
  • Die Nähe des Management-Beraters und Executive-Coachs zum Geschäftsführer half der Personalleiterin, ihre Rolle zu finden und zu stärken.
  • Das persönliche und fachliche Coaching der chinesischen Personalleiterin kann als eine die HR-Prozesse stabilisierende OE-Intervention angesehen werden.
  • In Bezug auf die systematischen Führungsfeedbacks (360° etc.) können die Ergebnisse beim Feedbacknehmer belassen werden, um für dieses Instrument (auch wiederholt) Vertrauen aufzubauen und das Feedback-Geben und -Nehmen zu fördern.
  • Die HR-Funktionen müssen sich mit entwickeln. Sie müssen ihre eigenen inneren Konzepte und «Bilder» kennen und damit arbeiten.
  • HR-Instrumente werden der jeweiligen Organisationskultur im Sinne eines «Best Fit» angepasst.
  • OE und Change Management ist oberste Führungsaufgabe.
  • OE-Arbeit wird in die jährliche Zielvereinbarung der Chefs und der Personaler aufgenommen.
  • Die externe OE-Beratungsleitung «committet» sich persönlich zum Projekt und ist präsent.
  • Entwicklung der Organisation hin zu einer «Lernenden Organisation» braucht Langfristigkeit, Nachhaltigkeit und Verbindlichkeit.

 

Coaching der chinesischen Personalleiterin

Die Personalleiterin ist die ehemalige Sekretärin des Geschäftsführers, der sie zur Personalleiterin befördert hat. Dieses Vorgehen ist nicht untypisch für China. Doch die zentrale China-Personalabteilung positioniert sich gegen ihre Berufung. Die massiven Probleme, die dieser Karriereschritt in Bezug auf die Akzeptanz im Unternehmen und in Bezug auf die Kompetenzfrage mit sich bringt, wird durch Coaching aufgefangen. Im Coaching werden die Handlungsfelder, Rolle und Aufgaben des Personalbereiches ebenso behandelt wie die Rolle der Personalleiterin und ihres Teams sowie ihre Beziehungen im Unternehmen und zu zentralen Personalfachfunktionen in Deutschland sowie in China. Über das Coaching der Personalleiterin und die Arbeit an ihrer Rolle in diesem Coaching wird auch die Bereichsentwicklung im Personalbereich gesteuert.

Führungskräfte-Entwicklungs­programm (FKEP)

Organisationales Lernen setzt individuelles Lernen voraus. Es wird vom Geschäftsführer zu Beginn des Programms ein deutliches Signal gesetzt, dass die Führungskräfte an sich und an der Führungskultur des Unternehmens arbeiten müssen, wenn sich das Unternehmen weiterentwickeln soll. Er teilt ihnen mit, dass sie nicht nur das Unternehmen und damit ihren eigenen Arbeitsplatz absichern, sondern auch ihren eigenen Marktwert erhöhen werden.

Die Gruppe der Manager (Lerngruppe 2) ist deckungsgleich mit dem erweiterten Managementteam (Lerngruppe 1). So kann die Teambildung des erweiterten Managementteams über die intensive gemeinsame Lern- und Reflexionserfahrung gefördert werden. Das Managementteam kann sich durch das parallele Durchlaufen des FKEP ebenfalls als Führungsgruppe entwickeln. Die Personalleiterin wird aufgrund ihrer Rolle im OE-Programm wichtiges Mitglied dieser Gruppe.
Es wird im FKEP beispielsweise an der Frage gearbeitet, was es bedeutet, wenn die traumatischen Ereignisse im Unternehmen, die mit dem Tod eines Arbeiters einhergingen, die Beziehungen zwischen Expatriates und Chinesen nachhaltig belasten. Beispielsweise konnte durch das offene Aussprechen dieser Erfahrungen der chinesischen Personalleiterin in einer von dem OE-Berater moderierten Managementteamrunde Entlas­tung bringen. Weitere unbewusste Themen sind die permanente Angst, als Fabrik geschlossen zu werden, die Abwertung der Chinesen durch Expatriates, die kaum zu bewältigende Dynamik, in einem kommunistischen Land zu arbeiten und den damit verbundenen Bedrohungsängsten (z.B. in Fragen der Meinungsfreiheit).

Feedbackprozesse

Die ersten Feedbackprozesse werden im Rahmen des Führungsentwicklungsprogramms (FKEP) versuchsweise durchgeführt. Das erfolgreiche Ausprobieren des Feedbacks in diesem FKEP bahnt den Weg zu den Anwendungen des 270°- und der späteren 360°-Feedbacks. Mehrere systematische Führungskräftefeedbacks finden statt, wobei zunächst aufgrund der Herausforderung des «Gesicht-Wahrens» auf die Sicht der Kollegen verzichtet wird. Die Ergebnisse der Führungskräftefeedbacks werden auf Anforderung des Geschäftsführers nur den Feedbacknehmern selbst ausgehändigt.

Führungs-Kompetenzmodell

Von März bis Dezember 2008 wird dieses Kompetenzmodell in Wuxi angepasst und implementiert. Die Durchführungs- und Erfolgskontrolle übernimmt der Geschäftsführer persönlich. Die Einführung des Kompetenzmodells wird vom Geschäftsführer in die Zielvereinbarung der Personalleiterin aufgenommen. Der leitende OE-Berater arbeitet in diesem Teilprojekt auch in der Rolle des Fachexperten für Kompetenzmodelle. Die Einführung und Adaptation des Kompetenzmodells startet mit einer Auftaktveranstaltung im erweiterten Managementteam. In dieser Startveranstaltung wird eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit der Überprüfung der Relevanz und der Übersetzung der Kompetenzen ins Chinesische beschäftigt.

Die Chinesen haben Mühe, die Ziele, die dahinterstehende westliche Denkweise und den Nutzen des Kompetenzmodells zu verstehen. Eine dezidierte Auseinandersetzung mit den Soll-Kompetenzen einer Führungskraft ist Chinesen nicht nachvollziehbar. Es dauert mehrere Wochen, bis eine gemeinsame Verständnisbasis rudimentär geschaffen ist. Durch regelmässige Organisations­diagnosen wurde diese Entwicklung unter Berücksichtigung wichtiger Faktoren des sozialen Subsystems beobachtet und evaluiert, um daraus Verbesserungsmassnahmen abzuleiten.

Hüseyin Özdemir live

An der Personal Swiss referiert Hüseyin Özdemir als Keynote-Speaker zum Thema «HR Work in Sino-European joint ventures»
Mittwoch, 9. April, 12.25–12.55 Uhr, Forum 5 – Halle 6, Sprache: Englisch

 

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Dr. Hüseyin Özdemir ist Geschäftsführer der «oezpa GmbH – Akademie & Consulting», Managementberater und Executive Coach sowie Gastprofessor und Lehrbeauftragter an verschiedenen Hochschulen.
www.oezpa.de

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