HRM in KMU

Individuelle Standortbestimmung: Bewährt und KMU-tauglich

Die Livit AG führte 2009 ein neues Werkzeug zur Personalentwicklung ein. Mit Erfolg: Innert vier Jahren konnte die ­Immobiliendienstleisterin ihre Führungsfunktionen zur Hälfte intern besetzen, die Personalfluktuation um einen Drittel reduzieren und das Commitment steigern. Ein Praxiseinblick.

Die schweizweit tätige Immobilienbewirtschafterin wollte die Chance packen, das HR intern als kompetenten Partner für Führungsfragen zu positionieren. Dieses sollte neu zusammen mit den Führungskräften an Personenbeurteilungen arbeiten, um gemeinsam ihre Erfahrung und Expertise mit einzubringen. Gemäss Peter F. Drucker ein ­wesentlicher Grundsatz funktionierender Organisationen: «This they is a we».

Mit der MIQ GmbH fand sich ein externer Partner, der fachlich und logistisch bei der Umsetzung unterstützte. Entscheidend war, dass diese Unterstützung nicht losgelöst von der Unternehmensrealität erfolgte. Man wollte nicht «Personalbeurteilung» einkaufen, sondern eine produktive Zusammenarbeit des externen Anbieters mit den relevanten Anspruchsgruppen etablieren – mit der Geschäftsleitung, dem Linien-Management und der Personalabteilung.

Ein Ziel, drei Unterziele – in drei Jahren

Ziel war es, die Mitarbeitenden besser an das Unternehmen zu binden und sich als gefragte Arbeitgeberin in der Immobilienbranche zu positionieren. Dafür, und auch um neue Beurteilungsstandards zu etablieren, gab man sich drei Jahre Zeit. Erste Ergebnisse sollten sich rasch zeigen. Um den Erfolg beurteilen zu können, wurden drei messbare Unterziele definiert. «What gets measured, gets done» – um weiter in «druckerschen» Worten zu sprechen.

Das erste Ziel war es, intern vorhandenes Führungspoten­zial produktiv zu machen und bis 2013 Führungsfunktionen zu 50 Prozent intern zu besetzen. Das zweite Ziel war es, die aktuelle Fluktuation von 18 Prozent (2009) um einen Drittel zu senken. 2013 sollte dieser Wert höchstens zwölf Prozent betragen. Das dritte Ziel war es, den Commitment-Wert der Mitarbeitenden zu steigern. Dieser sollte 2013 mindestens den Durchschnitt aller Holding-Gesellschaften als Benchmark erreichen.

Pulsgespräche und Motivationsprüfungen

Die Jahre 2009 und 2010 standen im Zeichen der neuen Konzeptentwicklung. Das HR führte in allen Regionen mit Mit­arbeitenden vor Ort sogenannte «Pulsgespräche» durch. Diese zeigten auf, dass das bestehende MbO-System durch ein «Selbstmelde-System für Führungskräftepotenzial» ergänzt werden sollte.

Das viel zu umfangreiche Kompetenzmodell wurde vereinfacht, sodass es vom Management sinnvoll zur Personen-beurteilung eingesetzt werden konnte. Die unterschiedlichen Anforderungsprofile von Fachkräften und angehenden sowie bestehenden Führungskräften konnten damit abgebildet ­werden. Um die interne Akzeptanz sicherzustellen, besprach man die ent­wickelten Lösungsansätze laufend mit Schlüsselpersonen. Die HR-Verantwortlichen kommunizierten diese dann an Kader- und Mitarbeitendenanlässen. So konnten Unklarheiten und Fragen jeweils im direkten Dialog beantwortet werden.

Die Durchführung einer Standortbestimmung sollte maximal einen halben Tag beanspruchen. Vorbereitend mussten ein kurzes Schreiben verfasst, ein Führungsfragebogen ­ausgefüllt und ein psychometrisches Verfahren absolviert werden. Inhaltlich kamen strukturierte Interviewteile und anforderungsbezogene Übungsaufgaben zum Einsatz. Diese Arbeitsproben waren spezifisch auf die Anforderungen der Livit AG ausgerichtet und stellten den Bezug zur konkreten Arbeits­situation sicher. Individuelle Themen konnten bei Bedarf im Rahmen der halbstrukturierten Gesprächsführung besprochen werden. Der externe Partner war dafür verantwortlich.

Vier Augen und viel Struktur

Ein strukturierter Leitfaden auf Basis des Kompetenzmodells zur Potenzialbeurteilung diente der Verdichtung sämtlicher Beobachtungen. Die wesentlichsten Grundsätze der Personenbeurteilung – Strukturierung, Standardisierung und Verhaltensorientierung – galt es einzuhalten. Beobachtet wurde im Mehraugenprinzip.

Während der Standortbestimmung hatten die Beobach­tenden anhand von klar operationalisierten Verhaltensankern die Möglichkeit, sich kurz auszutauschen. Als ­Beispiel sei hier der oft unklare Oberbegriff Führungsfähigkeit genannt. Dieser wurde mit zwei konkreten und relevanten Aspekten erfasst: ­Management und Führung. Management als personale Kompetenz (Planung, Organisation, Struktur- und Zielorientierung); Führung als Interak­tionskompetenz (Orientierung geben, klare und konsequente Kritik sowie fördernde Haltung).

Linie, HR und der externe Partner

Jeweils zwei Personen aus dem Unternehmen waren als Assessoren tätig. Jemand aus der Linie und jemand aus der Personalabteilung – um die unterschiedlichen Bedürfnisse an gute Führungskräfte zu integrieren. Zudem konnte so sichergestellt werden, dass die Beurteilungen und Empfehlungen ihre Wirkung im konkreten Arbeitsumfeld erreichten, und dass die interne Kommunikation über Erkenntnisse gut funktionierte.

Die Standortbestimmungen endeten jeweils mit einer Konferenz der Beobachtenden, in der die finale Beurteilung gemeinsam erarbeitet wurde. Aufbauend auf die Beobachtungen und die festgelegten Dimensionen (Zusammenarbeit, Eigenverantwortung, Führung und Unternehmertum mit dem zentralen Kern Kundenbewusstsein). Hier legten die Assessoren fest, welche Erkenntnisse dem Bewerbenden im abschliessenden Feedback mitgeteilt wurden. Zudem konnten deren Rückmeldungen so standardisiert abgeholt werden.

Diese Debriefings förderten die Wertschätzung und die Akzeptanz der Resultate und trugen dazu bei, keine Verlierer zu generieren. Der Austausch auf Augenhöhe führte zur bestmöglichen Beurteilung von bestehenden und zu entwickelnden ­Fähigkeiten. Die Bewerbenden konnten zudem ein Gespräch zur vertieften Erläuterung der Testverfahren beim externen Partner, der MIQ GmbH, in Anspruch nehmen.

Dies zeigte die klare Haltung der Livit AG hinsichtlich Zuständigkeit: Die fach-psychologische Verantwortung trug der externe Partner. Dieser bündelte die Ergebnisse in einem Report, der eine quantitative Beurteilung anhand des Kompetenzmodells und eine in verständlicher Sprache und ohne Codierung abgefasste Darstellung der Stärken und Entwicklungsfelder der Bewerbenden beinhaltete, mit konkreten Hinweisen, wie das Unternehmen die Potenziale fördern kann. Das fertige Dokument stand den Bewerbenden, der Linie und dem Unternehmen zur Verfügung, um die Empfehlungen und damit verbundenen Massnahmen umzusetzen.

Der Case: Livit AG

Die 1963 gegründete Immobiliendienstleisterin Livit AG beschäftigt 450 Mitarbeitende und ist eine hundertprozentige Tochter der Swiss Life. An ihren neun Standorten in der ganzen Schweiz ­bewirtschaftet sie 140 000 Mietobjekte, 1,6 Millionen Quadratmeter Gewerbe­fläche, was rund 34 Milliarden Franken an Immobilienwert entspricht. Das ­Unternehmen ist auch im Vermietungs- und Baumanagement tätig. Livit hat jüngst das von der FHNW verliehene Swiss HR Label 2014 erlangt, welches von HR Today unterstützt wird.

Planen nach Zahlen

Von 2010 bis Ende 2013 führte die Livit AG insgesamt 59 Standortbestimmungen durch. Im zweiten Jahr mit 15 Nachwuchs-Führungskräften, in den anderen Jahren mit jeweils sechs bis neun. Es bestätigte sich, dass die Pulsgespräche einen tatsächlichen Bedarf eruiert hatten. Acht bis zehn Standortbestimmungen entsprechen dem realen jährlichen Entwicklungsbedarf einer Belegschaft von 460 Mitarbeitenden mit 80 Kadermitarbeitenden.

Bei bestehenden Führungskräften zeigte sich ein anderes Bild. Hier fanden drei bis sechs Standortbestimmungen pro Jahr statt, am meisten 2013. Die Zahlen waren kleiner, denn es gab mehr Teamleiter als Abteilungs- und Bereichsleiter. Die Anstieg 2013 zeigte auf, dass sich der Entwicklungsbedarf auf der nächst höheren Führungsebene später einstellt und sich die Führungsentwicklung quasi selbsttätig fortsetzte. Die Führungskräfte nutzten das neue Werkzeug regelmässig. In allen Regionen, schweizweit.

Bewährungsprobe bestanden

Der neue Personalentwicklungsprozess hatte sich bewährt, wie die Evaluation Ende 2013 zeigte. Das erste Ziel, die Führungsfunktionen bis 2013 zur Hälfte intern zu besetzen, wurde übertroffen. Von 42 Standortbestimmungen mit angehenden Teamleitern waren 34 intern (81 Prozent). Von 17 Standortbestimmungen mit zukünftigen Abteilungsleitern waren acht intern (47 Prozent). Die Livit AG rekrutiert heute rund 70 Prozent der Führungskräfte im eigenen Haus.

Gleiches gilt für das zweite Ziel. Die Personalfluktuation von 18 Prozent sollte bis 2013 um ­einen Drittel reduziert werden. Aufgeschlüsselt nach Hierarchiestufen reduzierte sich die Fluktuation sowohl bei den Mitarbeitenden als auch beim Kader. 2013 lag die anteilsmässig korrigierte Gesamtfluktuation bei elf Prozent.

Das dritte Ziel war die Verbesserung des Commitments. Dieses lag 2013 über dem Benchmark. Werte zwischen 45 und 65 gelten dabei als «neutral», Werte ab 66 als «stark ausgeprägt». Die Livit AG kann mit einem Wert von 71 von einer starken Bindung der Mitarbeitenden an die Firma ausgehen.

Mit neuer Stärke im Markt

Diese Resultate verdeutlichen die positiven Auswirkungen auf das gesamte Unternehmen. Die Livit AG rekrutiert heute ihre Führungskräfte nicht nur mehrheitlich aus internen Ressourcen, sie hat sich auch als gefragte Arbeitgeberin positioniert. Ein Teil dieses Erfolges ist sicher auf die Implementierung der leicht zugänglichen, verständlichen und professionell umgesetzten individuellen Standortbestimmung zur Feststellung von Führungspotenzial zurückzuführen. Der neue Prozess stärkt das gesamte Unternehmen, weil er die Mitarbeitenden, das HR und die Führung in einen Dialog einbindet.

Das seit über fünfzig Jahren bestehende Unternehmen hatte sich ursprünglich der Herausforderung gestellt, sich in einem Personalmarkt zu behaupten, der sich vom Arbeitgeber- hin zu einem radikalen Bewerbermarkt wandelt. Peter F. Drucker wäre wahrscheinlich sehr zufrieden – denn indem sie sich auf die eigenen Stärken, nämlich diejenigen ihrer Mitarbeitenden besonnen hat und diese systematisch zu erkennen und zu fördern begann, hat die Livit AG das Richtige getan – «Make strengths productive».

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Dr. Thomas Lutz, der frühere Chef Sektion Flugpsychologie der Schweizer Flugwaffe, ist heute In­haber der MIQ GmbH und Lehrbeauftragter an der HSG zum ­Thema der psychologischen Diagnostik in der Arbeitswelt. Der Bündner ist in Zürich aufgewachsen, verheiratet und Vater von zwei ­Kindern.

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