Leadership

Leadership: Nicht noch mehr vom Gleichen

Ist Leadership ein Auslaufmodell oder ändern sich einfach die Anforderungen an Führungskräfte? Was sagt die Forschung? Eine kleine Übersicht.

Barbara Kellerman veröffentlichte 2012 ein Buch mit dem provozierenden Titel «The End of Leadership». Darin setzt sie sich kritisch mit der Führungskräfteausbildung der vergangenen vier Jahrzehnte auseinander und kommt zu dem Schluss, dass die Mehrheit der Unternehmen eine nahezu identische Führungskräfteausbildung anbietet. Die Ausbildungen basieren auf dem Postulat, dass gute (erfolgreiche) Führung mit einer guten (moralisch integren) Führungsperson korrespondiert, die stets verantwortungsvoll und mitarbeitergerecht handelt. Damit helfen die Ausbildungen, den Mythos von einer permanent gestaltenden und planvoll handelnden Führungsperson zu zementieren.

Stattdessen sind Führungskräfte in der Realität nicht autonom agierende Personen, sondern vielmehr in die bestehenden Kontexte ihrer Organisationen eingebettet. Das Agieren der Führungskräfte ist stark abhängig von den sie umgebenden Ereignissen, Strukturen und organisationalen Besonderheiten (etwa der Organisationskultur) – was ein sehr viel stärkeres reaktives Handeln erfordert, als in den Ausbildungen vermittelt wird.

Interessanterweise fordern aktuell immer mehr Experten den Mut zu Unternehmen ganz ohne Chef oder Chefin. Neben Kellerman veröffentlichte auch Gernot Pflüger ein Buch in diese Richtung mit dem Titel «Erfolg ohne Chef» und spitzt darin die Thematik noch zu, indem er seine eigenen Erfahrungen positiv berichtet und festhält, dass Mitarbeitende von sich aus engagiert arbeiten, wenn sie die Chance dazu bekommen.

Auch in der Führungsforschung finden sich Theorien und Modelle, die diesem Zeitgeist Rechnung tragen, etwa die Theorie der geteilten Führung (englisch: shared leadership), nach der das Führungshandeln durch mehr als nur eine Führungsperson erfolgt und auf unterschiedliche Beteiligte aufgeteilt wird, z.B. nach der jeweiligen Expertise, die eine Situation erfordert. Generell lässt sich in der Führungsforschung der letzten Jahre eine Neuausrichtung feststellen. Es findet ein so genannter Practice Turn statt und in den Mittelpunkt rückt (wieder) das Interesse, wie Führung in der tagtäglichen Praxis tatsächlich abläuft.

Gemeinsam sind den bisherigen und den neuen Definitionen bzw. Forschungsarbeiten zum Thema Führung das Element der Beeinflussung zur Leistungsermöglichung bei einer gemeinsam zu lösenden Aufgabe.

Worauf sollte es ankommen, wenn Führungskräfte und Personen mit Personalverantwortung sich im Rahmen von Weiterbildungen mit dem Thema «Leadership» auseinandersetzen? Aus der Perspektive der Führungskräfte scheint es unerlässlich, dass sie befähigt werden, im positiven Sinne zum Funktionieren sowie zum Erfüllen von Zweck und Zielen ihrer Unternehmung beizutragen. Fragt man Führungskräfte, wie sie mit den täglichen Führungsaufgaben fertig werden, so umschreiben sie dies häufig als einen «intelligenten Umgang mit der Organisationsstruktur, wie auch immer sie beschaffen ist» (vgl. Beck, Fisch & Müller, 2008). Aus Sicht der Akteure stehen damit die organisationalen Gegebenheiten im Vordergrund ihres Führungsverhaltens.

Führen ist eine berufliche Tätigkeit – diese schlichte Erkenntnis ist bereits der Schlüssel zur Gestaltung und Verbesserung organisationaler Führung. Sie zwingt dazu, sich über die konkreten Bestandteile der Führungstätigkeit und ihre Ausrichtung Gedanken zu machen. Akteure sind dabei Führungskräfte, HR-Betreuer und weitere Parteien in der Führungsverantwortung (vgl. Kaehler, 2013).

Führung ist sicher kein Auslaufmodell, doch die Führungsaufgaben und Anforderungen an Führungskräfte verändern sich – und dem müssen Führungskräfteausbildungen Rechnung tragen.

Literatur

  • Beck, D., Fisch, R. & Müller, A. (2008). Change Reflexivity - Ein Ansatz zur Analyse subjektiver Theorien über die Gestaltung von Veränderungsvorhaben. In R. Fisch, A. Müller & D. Beck (Hrsg.), Veränderungen in Organisationen - Stand und Perspektiven. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
  • Kaehler, B. (2013). Komplementäre Führung. Ein praxiserprobtes Modell der organisationalen Führung. Wiesbaden: Springer Gabler.
  • Kellerman, B. (2012). The End of Leadership. New York, NY: Harper Business.
  • Pflüger, B. (2009). Erfolg ohne Chef. Berlin: Econ.
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Dr. Andrea Müller ist stellvertretende Leiterin des Zentrum Human Capital Management (ZHCM), School of Management and Law, ZHAW und dort als Dozentin sowie Projektleiterin von Forschungs- und Beratungsprojekten tätig.

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