Quereinsteiger

Neuer Beruf – neues Glück?

Vom Taxifahrer zum Aussenminister, vom Pöstler zum Komödianten, vom Schauspieler zum Gouverneur, von der Skirennfahrerin zur Tourismusdirektorin – beruflich umzusatteln ist kein neues Phänomen. Doch in welchen Branchen haben Quereinsteiger besonders grosse Chancen? HR Today hat nachgefragt.

Joschka Fischer, Emil Steinberger, Arnold Schwarzenegger und Ariane Ehrat haben Mut, Biss und Ausdauer bewiesen. Sie haben ihr angestammtes Berufsfeld verlassen und sind erfolgreich in dem, was sie heute tun. Und dementsprechend prominent. Dadurch ist ihnen die entsprechende media­le Aufmerksamkeit garantiert.

Es existieren aber unzählige, nicht weniger spektakuläre Geschichten von Menschen, die weitab von ihrem ursprünglichen Beruf Erfolg und Befriedigung suchen – oder bereits gefunden haben. Banker oder Juristen wagen den Umstieg in die Pflege oder den Lehrerberuf, ehemalige Chefärzte führen heute ein glückliches und erfülltes Berufsleben als Lastwagenfahrer.

Erwerbstätige aus allen Branchen bleiben ihrem ersten ­Arbeitgeber und ihrem erlernten Beruf kaum mehr ein Be­rufs­leben lang treu. Man steigt aus den unterschiedlichsten Gründen aus – und woanders wieder ein. Sei es, weil sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt ändert, technologische Entwicklungen Berufe obsolet machen oder weil sich Interessen oder die familiäre Situation verändern. Menschen wechseln – und sind danach zuallererst einmal berufs- oder branchenfremde Mitarbeitende.

Im Jahr 2011 wagten gemäss diversen Statistiken annähernd 20 Prozent der rund 4,7 Millionen Schweizer Erwerbstätigen den doppelten Salto und änderten sowohl den Beruf als auch die  Branche – sogenannte Quereinsteiger.

Mut zur gelebten Querdenkerei

Die deutsche Employer-Branding-Beraterin Sylvia Knecht definiert in ihrem Buch «Erfolgsfaktor Quereinsteiger» Betreffende als «Arbeitnehmer, die sich freiwillig oder unfreiwillig neu in einem beruflichen Umfeld orientieren, für das ihnen die forma­le Qualifikation im Sinne eines Studien- oder Berufs­abschlusses fehlt». So sehen das auch die vier Recruiting-Verantwortlichen (Umfrage, Seite 23), bei denen wir nachgefragt haben.

Da braucht es eine gehörige Portion Flexibilität im Kopf, Mut zum Umdenken und gelebte Querdenkerei, um im neuen Tätigkeitsfeld zu reüssieren. Sylvia Knecht verspricht den Berufswechslern vor allem dann Erfolg, «wenn diese über eine generalistische Ausrichtung, über Methodenkompetenz und ein hohes Mass an Selbstorganisation verfügen». Solcher­massen ausgestattete Mitarbeitende müssen Recruiter-Herzen höher schlagen lassen.

Nicht überall willkommen

Rennen Quereinsteiger also überall offene Türen ein? Mitnichten: «Wir stellen eine wachsende Skepsis gegenüber Branchenwechslern fest», sagt Andreas Rudolph von Lee Hecht Harrison, einem Outplacement-Beratungsunternehmen. Bei den Arbeitgebern habe die Abweichungstoleranz vom Wunschprofil in den letzten Jahren sogar weiter abgenommen. Quereinsteiger ohne «wertige» Diplome ständen einem ganzen Heer von hoch qualifizierten, diplomierten und zertifizierten Konkurrenten gegenüber.

Ins gleiche Horn stösst auch der Doyen der Innerschweizer Kader-Personalberater Jörg Lienert: «Die Unternehmen sind vorsichtiger geworden, denn das Risiko, dass so etwas nicht gut geht, ist einfach zu gross.» Doch er fand und findet immer wieder Arbeitgeber, die unkonventionellen Lösungen gegenüber offen sind. So konnte er schon vor zwanzig Jahren einen ehemaligen Devisenhändler als Direktor eines Blindenheims vermitteln. Lienert hat auch beobachtet, dass ­einige Branchen für Quereinsteiger durchlässiger sind als andere. So gelinge ein Wechsel am ehesten im IT-Bereich, Marketing, Projektmanagement oder im Vertrieb. Branchen also, in denen Generalisten gesucht werden.

Auch Personalabteilungen sind gemäss Lienert ein beliebtes Beschäftigungsfeld für Quereinsteiger. So finden Ökonomen, Juristen, aber auch Soziologen, Theologen und Psychologen ihren Weg ins Personalgeschäft. Wie auch Beat Hunziker, ehemals Leiter des Service-Centers der Helsana. Hunziker führt seit Anfang letzten Jahres den Personalbereich der Krankenkasse. Doch auch Personaler suchen neue Herausforderungen. Cornelia Wörle, früher Personalverantwortliche des Sozial­departements der Stadt Winterthur, hat sich 2011 für den Beruf der Pflegefachfrau HF entschieden und wird die dazu nötige Ausbildung dieses Jahr abschliessen.

Konjunktur und Quereinsteiger

Bei globalen Finanzkrisen scheinen immer mehr Arbeitnehmer über einen Neuanfang und einen Karrierewechsel nachzudenken. So verzeichnet Lee Hecht Harrison dieses Jahr eine wachsende Anzahl Kandidaten aus dem ­Finanzsektor, die einen Branchenwechsel an­streben.

Dies scheint jedoch branchenabhängig zu sein. Für die im Direktvertrieb tätige Immobilienmaklerin Betterhomes hat die konjunkturelle Lage keinen Einfluss auf ihr Recruiting, wie CEO Cyrill Lanz erklärt.

Swiss Life Select glaubt, dass «die Konjunktur auf den ‹aktiven› Stellenmarkt einen grossen Einfluss hat, auf den ‹passiven› jedoch kaum. Je nachdem kommen geeignete Persönlichkeiten stärker aus der einen oder der anderen Branche». Nicht die Quantität der Kandidaten sei das Problem, sondern deren Qualität, betont Kurt Keller, Projektleiter Vertrieb bei Swiss Life Select. Das wiederum bedinge je nach konjunktureller Lage eine schärfere Selektion.

Wie Quereinsteiger überzeugen können

Quereinsteiger unterschiedlichster Couleur müssen also überzeugen können sowie Biss und Durchhaltevermögen an den Tag legen – auch bei Recruitern und Personalentwicklern in Branchen, die vermehrt auf sie setzen.

In der Immobilienbranche, so Cyrill Lanz von Betterhomes, müssten Quereinsteiger verkäuferisches Talent und eine hohe Sozialkompetenz mitbringen. Und die Belastung einer zweitberuflichen Ausbildung auf sich nehmen. «Vorhandene Kenntnisse im Vertriebsbereich, eine eigenständige Arbeitsweise und hohe Sozialkompetenz zeichnen für uns einen idealen Kandidaten aus.»

Für Swiss Life Select ist der lückenlose Lebenslauf mit solider Grundausbildung nach wie vor das wichtigste Kriterium. Ausserdem brauche es eine Affinität zum Thema Finanzen sowie eine flexible Denkweise und eine hohe Mobilität. Wegen des noch nicht vorhandenen Fachwissens müssen Quereinsteiger auch bei Swiss Life Select, so Kurt Keller, besonders über hohe Sozial­kompetenz, Verkaufsflair sowie gute Umgangsformen und ein adäquates Erscheinungsbild verfügen.

Für Jörg Buckmann von den VBZ müssen Quereinsteiger ihre Wechselmotivation in der Bewerbung nachvollziehbar darstellen und diejenigen Kompetenzen hervorheben, die auch in der neuen Funktion eingebracht werden können. Buckmann rät den angehenden Tram- und Busführern, sich über die Arbeitsbedingungen zu informieren, aufmerksam auf einigen Linien mitzufahren und das Gespräch mit den Fahrern zu suchen.

Die passenden Quereinsteiger finden

Doch in Zeiten von Fachkräftemangel und demografischem Wandel suchen auch Arbeitgeber vermehrt aktiv nach Quereinsteigern. Die befragten Unternehmen gehen diese Herausforderung auf unterschiedliche Weise an.

So setzt die Immobilienspezialistin Betterhomes auf die klassischen Recruiting-Kanäle wie Zeitungs- und Online-Inserate oder den Karrieretest auf der Website. «Ganz besonders wichtig sind für uns Empfehlungen aus unserem eigenen Netzwerk. Schliesslich wissen unsere be­stehenden Mitarbeitenden am besten, wer zu uns passt», erklärt CEO Cyrill Lanz. 

Die Finanzdienstleisterin Swiss Life Select hingegen nutzt einen Mix aus Plattformen wie jobs.ch, jobup.ch, CV Cloud und monster.ch. Auch Kurt Keller betont die Wichtigkeit der persönlichen Netzwerke von unternehmenseigenen Führungskräften und Kunden. Die VBZ spricht Quereinsteiger zum Teil gar direkt mit Kam­pagnen an.

Und auch der Staat hat grosses Vertrauen in Menschen, die veränderungsmutig sind. So bietet das neue Berufsbildungssystem die Möglichkeit, dass Quereinsteigende sich ihr neues berufliches Rüstzeug in berufsbegleitenden Bildungsgängen aneignen – wie das auch die ehemalige HR-Frau Cornelia Wörle gemacht hat, «die finanziellen Einschränkungen halten sich so im Rahmen, da man im neuen Beruf Teilzeit arbeiten kann und einen erwachsenengerechteren Lohn erhält». Für manchen veränderungswilligen Berufsmenschen ein gewichtiges Argument, um althergebrachtes loszulassen und sich der Berufung zuzuwenden.

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