Fallbeispiel Krisenmanagement

Sexuelle Belästigung in Klosterschule

Der Lehrer einer Klosterschule soll eine Schülerin sexuell belästigt haben. Die Eltern des Mädchens erstatten Anzeige, der Lehrer wird von der Polizei verhört. Ein rasches, umfassendes Krisenmanagement ist gefordert. Ein wahres Fallbeispiel aus Sicht einer Krisenmanagerin.

Es ist Dienstagabend, etwa 18 Uhr, als der Klosterleiter, welcher zum Leitungsteam der Schule gehört, anruft und unseren Krisenstab bittet, am nächsten Tag bei Ihm in der Schule vorbei zu kommen. Ein Lehrer der ans Kloster angegliederten Schule sei wegen des Verdachts auf sexuelle Belästigung einer Schülerin von der Polizei abgeholt und einvernommen worden. Die Eltern des Mädchens hätten Anzeige erstattet. Mehr wisse er zum aktuellen Zeitpunkt nicht.

Wir empfehlen dem Klosterleiter, nicht bis am nächsten Tag zu warten, sondern sofort das Krisenmanagementteam (ad-hoc-Krisenstab) der Schule einzuberufen. Die Brisanz einer solchen Situation darf nicht unterschätzt werden: Sexuelle Belästigung von Schülern durch einen Lehrer und dazu noch in einem klösterlichen Umfeld ist ein gefundenes Fressen für die Medien, umso mehr, da dieser Fall in einer Zeit stattfand, in der fast täglich über Sexualdelikte von Priestern berichtet wurde.

In der Schule angekommen, treffen wir das Krisenmanagement-Team, das unter anderem aus dem Schulleiter, dem stellvertretenden Schulleiter, dem Klosterleiter und einer Vertreterin der Schulaufsicht besteht. Wie immer bei solchen Kriseninterventionen klären wir vor Aufnahme der Arbeit unsere Rollen: Wir verstehen uns als Berater und Coach, wir helfen mit unserer Erfahrung bei der Strukturierung der Abläufe, bei der Lösungssuche und Entscheidungsfindung. Die Entscheidungen selbst muss jedoch immer der Kunde fällen. Nach einer ersten Lagebesprechung führen wir eine vertiefte Problemerfassung durch und erstellen eine Situationsanalyse, lösen erste Sofortmassnahmen aus und nehmen die strukturierte Führungstätigkeit auf.

Das geschilderte Ereignis geschah vier Tage vor Beginn der Schulferien. Im Raum steht also auch die Frage, ob die Schule das Geschehene aussitzen oder reagieren soll. Angesichts der grossen Brisanz dieser Thematik hat sich das Krisenmanagement-Team entschlossen, proaktiv, aber mit sehr viel Fingerspitzengefühl vorzugehen und verschiedene Massnahmen für den folgenden Tag vorzubereiten und vorzusehen.

Massnahmenkatalog

Am darauffolgenden Tag treffen wir unter anderem die folgenden Massnahmen:

  • Definition einer einheitlichen Sprachregelung für alle Beteiligten.
  • Als interne Ansprechperson für die Lehrerschaft wird ein geeignetes Mitglied der Schulleitung bestimmt, welches auch die interne Kommunikation übernimmt.
  • Die Lehrer werden mündlich über den Vorfall informiert mit der Bitte, ihre jeweiligen Schulklassen zu Infomieren und allenfalls weitere Verdachtsmeldungen, die von Schülern geäussert wurden, umgehend der Schulleitung zu melden.
  • Die Betreuung der Schüler wird durch ihre jeweiligen Klassenlehrer übernommen. Zusätzlich wird das kantonale Kriseninterventionsteam zur Unterstützung beigezogen.
  • Einrichtung einer Hotline für Eltern und Angehörige.
  • Die Mitarbeitenden, welche die Hotline betreuen, werden über Sprachregelung, Verhaltensanweisung und Kompetenzen informiert, und nach Inbetriebnahme der Hotline werden Kontrollanrufe zur Überprüfung des Verhaltens durchgeführt.
  • Für die Eltern der Schülerinnen und Schüler verfasst und verschickt das Krisenteam umgehend ein Schreiben, in welchem die Umstände offen und ehrlich dargelegt werden und eine Hotline für weitere Fragen oder Auskünfte bekannt gegeben wird. Damit werden die Eltern noch vor der Medienkonferenz informiert.
  • Der beschuldigte Lehrer wird per sofort freigestellt. Zum Schutz des Lehrers wird sein Name nicht bekannt gegeben. Solange die Schuld des Lehrers nicht bewiesen ist, muss dieser geschützt werden.
  • Der kantonale Schulinspektor wird informiert.
  • Es wird ein Führungsrhythmus für das Krisenmanagement-Team festgelegt.
  • Medienmitteilung und Medienkonferenz werden vorbereitet und die Journalisten für den darauffolgenden Tag eingeladen.

Die Arbeiten und Vorbereitungen laufen dank der strukturierten Führungstätigkeit gut, allerdings steigt die psychische Belastung im Krisenmanagement-Team an. Vereinzelt informieren Lehrer über neue Begebenheiten, die die Schüler erzählen und die grosse Unsicherheit im Krisenmanagementteam auslösen, insbesondere, ob möglicherweise noch weitere Verfehlungen des Lehrers ans Tageslicht kommen. Zum Glück sind die Elternreaktionen dank der transparenten Information und der gut bedienten Hotline gering.

Am Tag der Medienkonferenz spitzt sich die Lage zu. Einerseits hat das Krisenmanagement-Team zwischenzeitlich von der Polizei erfahren, dass der Lehrer seine Verfehlung zugegeben hat. Unverzüglich wird die fristlose Entlassung des bereits freigestellten Lehrers eingeleitet. Andererseits wird die psychische Belastung für den Schulleiter so gross, dass die Gefahr besteht, dass er an der Medienkonferenz nicht in der Lage ist, den Journalisten Red' und Antwort zu stehen.

Nach wie vor kommuniziert das Krisenmanagement-Team zu dem Zeitpunkt den Namen des fehlbaren Lehrers aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht, obwohl er natürlich unter den Lehrern und auch bei den Eltern mittlerweile bekannt ist. Allerdings zieht das Team in Erwägung – für den Fall, dass der Schulleiter an der Medienkonferenz nicht anwesend sein könnte – den Namen des Lehrers doch bekannt zu geben. Ansonsten hätte nämlich der Verdacht aufkommen können, der Schulleiter selbst sei der Beschuldigte. Das Krisenmanagement-Team beschäftigt sich deshalb genau zwei Stunden vor der Medienkonferenz noch einmal intensiv mit dem weiteren Vorgehen. Der Schulleiter wird vorübergehend aus dem Krisenstab genommen und ein Mitglied unseres Beratungsteams macht mit ihm ein stressreduzierendes Coaching. Kurz vor Beginn der Medienkonferenz fühlt sich der Schulleiter wieder in der Lage, die Medienkonferenz zu leiten.

Medienkonferenz

Die Anspannung ist gross, als die Journalisten den Raum betreten. Der Schulleiter eröffnet die Medienkonferenz und erklärt die Gründe für die Medienkonferenz, das bisherige Vorgehen und welche Massnahmen in den vergangenen zwei Tagen eingeleitet wurden. Er berichtet transparent über die Verfehlung und Entlassung des Lehrers und über die schulinternen Massnahmen, die getroffen wurden. Klar kommuniziert der Schulleiter, dass die Schule in solchen Fällen eine Null-Toleranz-Politik verfolgt. Die Betroffenheit, die der Fall an der Schule ausgelöst hat, kommt ebenso zu Ausdruck wie der Wille, diese Angelegenheit mit Hilfe gründlicher Information und professioneller Betreuung der Kinder wie auch ihrer Eltern transparent und umfassend aufzuarbeiten.

Die Medienkonferenz verläuft gut. Dank der offenen und transparenten Information durch die anwesenden Vertreter der Schule stellen die Journalisten nur wenige Fragen. Die anschliessenden Medienberichte sind grossmehrheitlich sachlich und korrekt geschrieben. Es bleibt bei einer einmaligen Berichterstattung ohne Folgeartikel. Offenbar war die Information durch die Schule so klar, dass Unsicherheiten gar nicht erst aufkommen. Auch die Rückmeldungen der Eltern sind durchwegs positiv. Die schnelle und ehrliche Information der Schule durch den Elternbrief und die eingerichtete Hotline werden geschätzt und tragen massgeblich dazu bei, dass das Vertrauen in die Schule nicht nur bestehen bleibt, sondern sich noch verstärkt – die Eltern wissen nun, dass die Schule auch schwierige Ereignisse offen kommuniziert und diese nicht unter den Teppich kehrt.

Als die offiziellen Schulferien beginnen, bleibt das Krisenmanagement-Team aktiv und während den ganzen Ferien für Fragen oder dringende Angelegenheiten erreichbar.

Erfolgreiche Krisenbewältigung

Der Erfolg dieser Krisenbewältigung besteht darin, dass:

  • Die Probleme sofort und umfassend erkannt, beurteilt und angegangen wurden.
  • Der Krisenstab sehr strukturiert und ganzheitlich gearbeitet hatte.
  • Die nötigen Behördenstellen umgehend informiert wurden.
  • Die Eltern und Lehrer vom ersten Moment an transparent informiert und mit einbezogen wurden.
  • Betreuungsmöglichkeiten für alle Beteiligten bereitgestellt wurden.
  • Die Wahrheit nicht vertuscht oder nur Halbwahrheiten erzählt wurden.

Dieser Fall ist einmal mehr ein gutes Beispiel dafür, dass in einer Krise schnell gehandelt werden muss und die notwendigen Massnahmen schnell und umfassend geplant und umgesetzt werden müssen. Dieser Fall bildete für uns auch den Auslöser, ein Einsatzteam mit qualifizierten Krisen-Spezialisten zu bilden, die ein «Coaching im Ereignis 7/24» anbieten.

  • Das Fallbeispiel stammt aus folgender Quelle: Sartory, Beda; Senn, Patrick; Zimmermann, Bettina; Mazumder, Sita: Praxishandbuch Krisenmanagement. Midas Management Verlag 2013.
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Bettina Zimmermann ist Teilhaberin und Mitglied Geschäftsleitung GU Sicherheit AG in Wil (SG) und Inhaberin der Metamind GmbH, Muri b. Bern. Sie ist Beraterin für Firmen und Blaulichtorganisationen in den Bereichen interne und externe Krisenkommunikation sowie umfassendes Care. Aufbau und Betreuung Team «7/24» für Krisenkommunikation und Coaching im Ereignis, Begleitung verschiedener Firmen in der Krisenbewältigung. Mitwirkung bei der Ausbildung von Krisenstäben und Führungsunterstützungsteams. Dozentin und Seminarleiterin an verschiedenen Bildungsinstituten. Fünf Jahre Mitglied des Care Teams Kanton Bern.
 

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