Einstellungsprozesse

Struktur schlägt Bauch

Über den Unternehmenserfolg entscheiden die passenden Mitarbeiter. Strukturiertes Vorgehen erhöht die Chancen, die Richtigen zu finden.

Nicht fachliche Qualifikation, sondern Teamarbeit ist entscheidend, findet Hubert Hürlimann. Deshalb absolvieren Top-Bewerber auf freie Stellen ein, zwei Schnuppertage bei der Lukashaus Stiftung. Dem Geschäftsführer ist es wichtig, dass möglichst viele vom Team den «Neuen» sehen und einschätzen, bevor der Arbeitsvertrag unterschrieben wird. Die caritative Organisation in Grabs im Kanton St. Gallen betreut 85 Schwerstbehinderte. Hürlimann muss darauf vertrauen, dass seine Angestellten respektvoll und verantwortungsbewusst mit ihren Kunden umgehen. «Einen Hochqualifizierten, der charakterlich nicht passt, wollen wir uns nicht leisten», so der Chef von 150 Mitarbeitern.

Seit einem knappen Jahr strukturiert die Stiftung den Einstellungsprozess stärker: Nach Durchsicht der Bewerbungen erhalten die verbliebenen Kandidaten einen Fragebogen, durch den die Entscheider mehr über die Persönlichkeit erfahren. Aus diesem Grund führt Hürlimann hin und wieder schon vor dem ersten Bewerbungsgespräch ein kurzes Telefoninterview. Auch um Referenzen vorheriger Arbeitgeber kümmert er sich intensiver. «Wir sind stärker geworden», urteilt Hürlimann über die strukturiertere Mitarbeiterrekrutierung.

Zwar richten sich immerhin 80 Prozent der Unternehmen nach definierten Standards, wenn es um die Stellenausschreibung geht; doch 44 Prozent entwickeln keine Kriterien für die Vorauswahl der Bewerber, und bei 70 Prozent erfolgt der Rekrutierungsprozess «frei Schnauze». Das ist das Ergebnis einer Studie des Mannheimer Personaldienstleisters Hays, der in Deutschland 166 Personalentscheider kleiner und grosser Unternehmen interviewte. «Die grundlegenden Erkenntnisse sind auf die Schweiz übertragbar», sagt Barbara Lang, für Rekrutierungsprozess-Lösungen bei Hays verantwortlich. So die Rückmeldungen ihrer Schweizer Kollegen aus persönlichen Gesprächen mit hiesigen Unternehmern.

Mittelstandsberater Jörg Knoblauch ist eher positiv überrascht: «Ich hätte geschätzt, dass höchstens jedes zehnte Unternehmen seine Einstellungsprozesse strukturiert.» Der Autor des Buches «Die Chef-Falle» ist Verfechter eines konsequenten Ablaufes, bei dem etwa vorab ein Telefoninterview mit den Kandidaten geführt oder Referenzen bei vorherigen Chefs eingeholt werden. Dieser neunstufige Einstellungsprozess mag im Einzelfall zunächst mehr Zeit kosten, doch etliche Bewerber fallen durch. So reduziert sich die Anzahl der Bewerbungsgespräche, die Personaler noch zu führen haben, und damit deren Zeitaufwand.

Doch das ist für den Personalexperten, der selbst ein Beratungsunternehmen mit 35 Mitarbeitern führt, nicht entscheidet. Systematische Personalpolitik und die Auswahl der richtigen Mitarbeiter sei die zentrale Aufgabe von Chefs. Sonst können die Firmen im zunehmend schnelleren und komplexeren Wettbewerb nicht mehr mithalten. Deshalb sagt Knoblauch: «Wer engagierte Mitarbeiter gewinnen will, die das Unternehmen tatsächlich voranbringen, der muss ihnen auch entsprechende Wertschätzung entgegenbringen.» Ausserdem sei es viel teurer nach einer sechsmonatigen Probezeit festzustellen, dass der Neue doch nicht die geeignete Person für die Aufgabe sei. Das könne insgesamt leicht 15 Monatsgehälter kosten, so der Geschäftsführer von Tempus-Consulting: «Erfolgreiche Unternehmer müssen mehr in die systematische Personalauswahl investieren.»

Ganz ähnlich sieht das Barbara Lang: Denn obwohl laut Studie fast 60 Prozent der Unternehmen den Bewerbern schon während der Rekrutierung beweisen wollen, dass sie ein sehr guter Arbeitgeber sind, hat sich nur die Hälfte tatsächlich Gedanken über eine Strategie gemacht. Lediglich ein Drittel hat einen Prozess mit klar verteilten Verantwortlichkeiten entwickelt. Die Rekrutierungsfachfrau betont: «Da kann in der Kommunikation mit dem Kandidaten schnell mal was schiefgehen.» Doch fachlich kompetente und engagierte Bewerber winken ab, wenn etwa in der Einstellungsphase zu viel durcheinander geht.

Für diese Abläufe folgt Mario Zanandrea einem roten Faden. Aber er setzt auf teilstrukturierte Einstellungsgespräche. Wenn der Personalleiter der Basler Grosspeter AG die vier bis sechs heissesten Kandidaten genauer kennen lernt, steigt er gerne mit der Motivationsfrage ein. Je nach Antwort gestaltet sich das weitere Gespräch. Gerade deswegen hat er einen Leitfaden mit mehreren festen Fragen zur Hand: «So wird nichts wichtiges vergessen.» Allein in den Autohäusern sind 150 Mitarbeiter tätig, weitere 200 arbeiten für die Holding. Während die Abteilungsleiter das Fachliche durchgehen, ist Zanandreas Fokus auf den Softskills: Passt er ins Team? Ist er als Verkäufer engagiert oder als Buchhalter genau genug? «Ich möchte den Menschen kennen lernen», sagt er, mit den teilstrukturierten Interviews gestalte sich das Gespräch offener und lebendiger.

Je anspruchsvoller die Tätigkeit und je höher die Qualifikation der Bewerber, desto individueller würde Donat Matthews den Einstellungsprozess gestalten. Die besten Kandidaten haben zunehmend die Wahl, wo sie arbeiten. Für den Personalberater aus Sarnen geht es aus Sicht der Unternehmen also weniger darum, die Person zu finden, die die Anforderungen erfüllt, sondern diese für das Unternehmen zu gewinnen. «Sie sollten offensiver agieren», findet Matthews. Dazu gehört, sich bekannt zu machen, ungewöhnlich zu handeln und attraktive Netzwerke aufzubauen. Wie in jeder guten Beziehung sei es dann egal, ob Prozesse strukturiert sind. Entscheidend: Es passt für beide Seiten.

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Jens Gieseler ist freier Journalist in München und schreibt vor allem über Management- und Personalthemen.
www.der-medienberater.de

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