Generationen-Management

«Viele Arbeitgeber haben das Problem noch nicht erkannt»

Der Schweizer Arbeitgeberverband will mit der Initiative «arbeitsmarkt45plus» die Wirtschaft für den Generationen-Diskurs sensibilisieren. Im Interview mit HR Today spricht Verbandspräsident Valentin Vogt über die Motive und gibt Einblick ins Generationen-Management seiner Firma.

Herr Vogt, Sie sind 1960 geboren und damit ein Kind der Babyboomer-Generation, die zunehmend von Altersarbeitslosigkeit betroffen ist. Wie nehmen Sie die Thematik in Ihrem persönlichen Umfeld wahr?

Ich kenne einige Leute aus meiner Generation, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind. In gewissen Fällen engagiere ich mich persönlich als Begleiter, indem ich versuche, mein Netzwerk einzusetzen. Die Altersarbeitslosigkeit ist in der Tat ein Problem, aber nicht die Regel. Statistisch gesehen ist für meine Generation die Gefahr der Arbeitslosigkeit sogar geringer als bei den unter 50-Jährigen.

Für die Betroffenen ist das ein schwacher Trost. Zudem sind die Zahlen auch trügerisch, wie die neusten Sozialhilfestatistiken der Städte Zürich und Bern aufzeigen.

Das Problem ist mir durchaus bewusst. Die ältere Generation braucht deutlich mehr Zeit, um eine neue Stelle zu finden. Deshalb würde ich niemandem aus meiner Generation raten, von sich aus aufs Geratewohl zu künden. Es fehlen heute bei der Arbeitsvermittlung aber auch die richtigen Tools, um ein erfolgreiches Matching zwischen den offenen Stellen und älteren Arbeitssuchenden herbeizuführen. Deshalb steht das RAV in der Pflicht, neue Instrumente zu erarbeiten.

Andererseits stehen die Arbeitgeber in der Pflicht, die Arbeitsfähigkeit ihrer Angestellten durch Weiterbildung und Gesundheitsprävention sicherzustellen. Es ist uns nämlich sehr wohl bewusst, dass psychische Krankheitsbilder zunehmend relevant werden. Gleichzeitig möchte ich aber auch an die Eigenverantwortung der Arbeitnehmer appellieren. Gerade ältere Arbeitnehmer stehen in der Pflicht, sich nicht nur fachlich, sondern auch körperlich und geistig fit zu halten. Ich war kürzlich an einer Klassenzusammenkunft und habe da unter den ehemaligen Schulkameraden doch einige bedenklich verlebte Menschen getroffen. Das Problem der Altersarbeitslosigkeit nur auf die «bösen» Firmen zu schieben, finde ich etwas gar einseitig und falsch.

Zur Person

Valentin Vogt (53) ist seit Juli 2011 Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbands. Er studierte an der HSG St. Gallen Finanz- und Rechnungswesen und schloss 1984 als lic. oec. HSG ab. Nach verschiedenen Tätigkeiten im In- und Ausland übernahm er ab 1992 operative Gesamtverantwortungen. Seit April 2011 ist er Präsident des Verwaltungsrats und Mit­eigentümer der Burckhardt Compression Holding AG in Winter­thur. Valentin Vogt wuchs in Rapperswil-Jona auf und wohnt heute im Zürcher Oberland. Er ist ­verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

Dennoch sind es in der Praxis doch oft genau die älteren Mitarbeitenden, die bei Umstrukturierungen «wegrationalisiert» und dann als «teure und unflexible Kostenfaktoren» stigmatisiert faktisch kaum wieder in den Arbeitsmarkt zurückfinden.

Den Reflex, ältere Arbeitnehmende in die Frühpensionierung zu schicken, halte ich für Firmen für sehr riskant. Und ich gebe zu, dass viele Arbeitgeber das Problem noch nicht erkannt haben. Wenn die Wirtschaft wachsen soll, dann werden die Unternehmen künftig jedoch auf zwei Gruppen von Arbeitnehmenden nicht verzichten können: die Frauen und die Generation 45plus. Durch die Entwicklung der Demografie und auch infolge der Annahme der Zuwanderungsinitiative wird sich diese Erkenntnis in der nächsten Zeit vermehrt durchsetzen. Als Unternehmer ist mir schon seit längerem bewusst, dass die ältere Arbeitnehmer-Generation aufgrund ihrer Erfahrung, ihrer Routine und Sozialkompetenz sehr wertvoll ist.

Deshalb kommen in meiner Firma auf ein zehnköpfiges Team im Durchschnitt zwei Vertreter der älteren Generationen. Die angeblich so unverrückbar hohen Lohnkosten älterer Arbeitnehmer halte ich für ein beliebtes Vorurteil. Aus meiner eigenen Erfahrung weiss ich, dass ältere Mitarbeiter kombiniert mit interessanten Arbeitszeitmodellen sehr wohl mit sich über Nettolohnrückschritte reden lassen und ein hoher Lohn auch nicht mehr unbedingt den wichtigsten Treiber darstellt. Im Alter noch gebraucht und geschätzt zu werden, hat auch ­einen Wert. Das sehe ich im eigenen Betrieb, wo wir – statt Temporärkräfte zu engagieren – unseren Seniors flexible Pensioniertenverträge anbieten, die sich grosser Nachfrage erfreuen. Betreffend Lohnnebenkosten gibt es auf der gesetzlichen Seite unbestritten Handlungsbedarf, damit diese Kosten, wenn man ältere Mitarbeitende anstellt, nicht zusätzlich ansteigen.

Die Wissenschaft weist seit Jahren stoisch auf die demografische Entwicklung und den damit drohenden Fachkräftemangel hin, der eigentlich durch die älteren Arbeitnehmenden abgefedert werden könnte. Alle beschwören, wie wertvoll diese Generation für die Wirtschaft eigentlich ist. Doch in der Realität ist davon wenig zu spüren. Nun fordert Ihre Seite auch noch die Erhöhung des Rentenalters. Ist das nicht etwas paradox?

Das heutige Rentenalterkonzept mit 65 ist nicht mehr zeitgemäss. Die älteren Leute sind heute so fit wie nie. Da sind neue Konzepte gefragt. Gerade für die älteren Generationen sind Teilzeit- und Jobsharing-Konzepte ideal. Es wäre doch denkbar, dass es normal wird, dass man ab 55 das Arbeitspensum drosselt und dafür über 65 hinaus am Arbeitsleben teilnimmt. Wir Führungskräfte stehen in besonderer Verantwortung, mit gutem Beispiel voranzugehen. Dem HR bietet sich damit die Chance, im Sinne einer ausgewogenen Diversität eine kreative Workforce-Planung voranzutreiben, nicht zuletzt auch zugunsten eines nachhaltigen Know-how-Managements. Diese Forderungen dürften künftig via Social Responsability Reports zunehmend messbar in den Unternehmensalltag einfliessen. Es ist richtig, dass die Problematik seit langem bekannt ist und Lösungsansätze nicht wirklich beherzt umgesetzt wurden. Deshalb ist es uns
ein Anliegen, mit der Initiative «arbeitsmarkt45plus» nun ein Zeichen zu setzen und die ­Arbeitgeberseite zu sensibilisieren.

Warum lancieren Sie genau jetzt dieses Thema?

Es ist nicht so, dass unsere Mitglieder Alarm geschlagen hätten. Vielmehr hat uns unser Metathemen-Mentoring für die Demografiethematik sensibilisiert. Die Zeit ist nun reif, proaktiv zu handeln.

Initiative «arbeitsmarkt45plus»: Generationenpotenzial besser nutzen

Der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) unterstützt die Fachkräfte-Initiative des Bundes. Dies im Rahmen eines Gesamtkonzepts, das eine möglichst optimale Nutzung des gesamten inländischen Arbeitskräfte-Potenzials anstrebt – unter anderem und vor allem auch – von älteren Arbeitnehmenden. Zu diesem Zweck hat der SAV nun die Initiative «­arbeitsmarkt45plus» lanciert, welche die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer und deren Integration in den Arbeitsmarkt fördern will.

Die Nachfrage nach Fachkräften in der Schweiz ist hoch, der Fokus auf das inländische ­Arbeitskräftepotenzial nimmt zu. Neben der Erwerbsbeteiligung der Frauen und der ­Integration beeinträchtigter Personen liegt der Fokus vor allem auch auf älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Sie bieten zahlenmässig ein grosses Potenzial.

«arbeitsmarkt45plus» vereint unter dem Patronat des SAV Unternehmen, Verbände und Spezialisten aus den Bereichen Arbeitsmarkt, Sozialversicherung und Bildung sowie ­weitere Stakeholder, die sich mit den Herausforderungen des Arbeitsmarkts von über 45-Jährigen beschäftigen und konkrete Lösungen suchen.

Primär sind Unternehmen angesprochen

Die Initiative unterstützt Arbeitgeber bei der Umsetzung einer erfolgreichen Diversity-­Politik. Fragen rund um den Erhalt von Know-how und Leistungsfähigkeit, die Persistenz von Altersstereotypen, die Rolle der Führung beim Einsatz von Mitarbeitenden und ­Mit­arbeitermotivation, vielfältige Karrierewege von Führungs-, Spezialisten-, Projekt­lei­tungs- und Bogenkarrieren sowie Lern- und Qualifizierungsangebote, Coaching für ältere Arbeitnehmende oder das Matching von Stellen- und Bewerberprofilen sind dabei zentral.

Die Initiative «arbeitsmarkt45plus» setzt sich interdisziplinär zusammen, mit einem Schwerpunkt auf Unternehmen. Die Initiative ist als «think und act tank» organisiert, ­dessen Mitglieder sich zwei- bis dreimal pro Jahr treffen. Nach Bedarf gibt es Arbeits­gruppen und thematische Workshops zur Vertiefung der Themen. Bislang haben neun ­Unternehmen ihre Teilnahme zugesagt.

Einstieg jederzeit möglich

Im Juni wird «arbeitsmarkt45plus» mit einer Kick-off-Veranstaltung gestartet: Dort werden mit allen Mitgliedern die Ziele, Arbeitsschwerpunkte und Prozesse festgelegt und die ersten Schritte eingeleitet. Die Initiative ist bislang auf drei bis vier Jahre angedacht, wobei die Mitwirkenden jährlich über die Fortsetzung ihrer Teilnahme entscheiden können.

In einem Sounding Board haben sich Vertreterinnen und Vertreter aus der Anwendungsforschung von Schweizer Hochschulen zusammengefunden und stehen mit ihrer Expertise begleitend zur Verfügung. Weitere Verbände, Arbeitsgruppen zum Thema Demografie und Sozialpartner werden regelmässig in die Initiative eingebunden.

Die Mitglieder der Initiative «arbeitsmarkt45plus» können von der interdisziplinären ­Vernetzung profitieren – und einen Beitrag zur Beschäftigung älterer Arbeitnehmender und zur Entschärfung des Fachkräftemangels leisten.

An einer Teilnahme interessiert? Mehr Informationen sowie die Kontaktadressen finden Sie auf der Website des Schweizerischen Arbeitgeberverbands: www.arbeitgeber.ch

 

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Ehemaliger Chefredaktor HR Today.

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