BGM-Special: Massnahmen

Wenn die Psyche streikt

Psychische Probleme am Arbeitsplatz verursachen nicht nur individuelles Leid und hohe Kosten, sondern können 
die gesamte Arbeitsumgebung erheblich belasten. Führungskräften und Personalverantwortlichen kommt bei der 
Bewältigung solcher Situationen eine entscheidende Rolle zu. Doch Hemmungen, Unsicherheit und fehlende Unterstützung bewirken, dass diese heute noch zu wenig aktiv wahrgenommen wird. Ein Gastbeitrag von Niklas Baer.

Psychische Probleme, Krisen und auch Krankheiten gehören zum Leben, genauso wie körperliche Krankheiten. Auch eine insgesamt gute psychische Gesundheit schliesst psychische Probleme nicht aus. Entscheidend ist vielmehr, ob es trotz dieser Probleme  gelingt,  ein sozial und beruflich produktives Leben zu führen. Das bedeutet, dass wir uns nicht nur auf die Prävention psychischer Krankheiten und Krisen konzentrieren dürfen, sondern vielmehr darauf, wie diesen so begegnet werden kann, dass sie nicht zu übermässigen Belastungen und Ausgliederung führen.

Je nach Schwere des Gesundheitsproblems sind in der Schweiz etwa 75 Prozent der Personen mit einer psychischen Krankheit erwerbstätig. Also «nur» rund 10 Prozent weniger als psychisch gesunde Personen. Das heisst, der Löwenanteil der Personen mit psychischen Problemen ist weder arbeitsunfähig oder arbeitslos noch invalidisiert, sondern am Arbeitsplatz präsent. Doch obwohl zu jedem beliebigen Zeitpunkt etwa 20 Prozent der Bevölkerung eine psychische Krankheit aufweist – über die gesamte Lebensdauer betrifft es jede zweite Person – ist das Bewusstsein für die Alltäglichkeit und die Folgen psychischer Probleme am Arbeitsplatz eher gering ausgeprägt. Im internationalen Vergleich verfügen Schweizer Unternehmen denn auch selten über eine definierte Fachperson, die sie im Bedarfsfall kontaktieren können. 

Das geringe Bewusstsein ist einerseits inadäquat, da psychische Krankheiten in der Schweiz jedes Jahr Kosten in der Höhe von gegen 20 Milliarden Franken verursachen, vor allem verursacht durch Produktivitätsverluste von am Arbeitsplatz präsenten Mitarbeitenden (OECD, 2014). Andererseits sind IV-Renten und Arbeitsunfähigkeiten (Absenzen) aus psychischen Gründen in den letzten 20 Jahren überdurchschnittlich stark angestiegen, obwohl es heute nicht mehr psychisch Kranke gibt als noch vor 50 Jahren.

Eine Befragung von über 1055 Führungskräften und Personalverantwortlichen in der Region Basel (Baer et al., 2011) zeigt die Relevanz der Thematik: HR-Verantwortliche schätzen, dass rund 30 Prozent ihrer Mitarbeitenden schon einmal psychische Probleme hatten, die sich negativ am Arbeitsplatz ausgewirkt haben (verhaltens- und/oder leistungsbezogen). Schaut man sich das von den Führungskräften als «schwierig» wahrgenommene Verhalten der betreffenden Mitarbeiter an, zeigt sich ein recht klares Bild (siehe Grafik).

Psychische Probleme oft zu spät erkannt

Besonders häufig – in fast jedem zweiten, von den Personalverantwortlichen geschilderten Fall – wurde das Verhalten «stritt eigene Fehler ab, gab immer den anderen die Schuld» genannt. Gefolgt unter anderem von starker Launenhaftigkeit, aufmüpfigem, entwertendem und aggressivem Verhalten. Dies sind Verhaltensweisen, die typischerweise bei Personen mit einer auffälligen Persönlichkeit respektive einer Persönlichkeitsstörung vorkommen können. Das ist kein Zufall: Persönlichkeitsstörungen sind der häufigste Grund für eine IV-Rente aus psychischen Gründen (Baer et al., 2009). Die zweite häufig auftretende Gruppe von auffälligen Verhaltensweisen – konnte sich nicht konzentrieren, brachte Aufgaben nicht zu Ende, vergass häufig Dinge, keine Selbstvertrauen, keine Eigeninitiative – beschreibt depressive Probleme. Wiederkehrende Depressionen sind der zweithäufigste Grund für eine psychiatrische Invalidisierung. Die Probleme, die zu einer Invalidisierung führen können, zeigen sich meist schon früh am Arbeitsplatz.

Die Daten wie auch die praktische Erfahrung zeigen auf, dass alle Beteiligten – Mitarbeiter, Vorgesetzte und Personalverantwortliche wie auch die Arbeitskollegen – in diesen Situationen emotional erheblich belastet werden. Die negative Dynamik, die sich aus derartigen Problemen ergeben kann, darf nicht unterschätzt werden. So ist es nicht überraschend, dass – nach einer durchschnittlich fast dreijährigen Problemdauer – in neun von zehn Fällen die «Lösung» schliesslich in der Auflösung des Arbeitsverhältnisses bestand. Das Problem liegt darin, dass Personalverantwortliche die wahrgenommenen Probleme meist zu spät direkt ansprechen und zu wenig klare Vorgaben machen. Und, wenn überhaupt, zu spät externe Hilfen beiziehen. Die verbreitete Hemmung, psychisch auffälliges Verhalten rasch und direkt anzusprechen und Bedingungen zu stellen, ist sympathisch und nachvollziehbar. Bei psychischen Problemen führt dies über kurz oder lang aber meist zur Eskalation und zu Entlassungen.

Eine Optimierungsmöglichkeit ist, Personalverantwortliche zu schulen, wie sie in solchen Fällen wirksam intervenieren können. Ein aktuelles Beispiel ist ein mit der Helsana zusammen entwickeltes Online-Trainingstool für Personalverantwortliche, mit dem mehr Sicherheit im Umgang mit solchen Situationen vermittelt wird (www.leaderscare.ch). Solches Know-how sollte auch in der Ausbildung von HR-Verantwortlichen vermittelt werden.

Bewusstsein und Kompetenzaufbau bei Personalverantwortlichen reichen aber nicht aus. Der OECD-Bericht zur psychischen Gesundheit und Beschäftigung in der Schweiz (OECD, 2014) wie auch der kürzlich publizierte Synthesebericht «Fit Mind, Fit Job» (OECD, 2015) zeigt unter anderem auf, dass die Zusammenarbeit von Arbeitgebern und behandelnden Ärzten verbessert werden sollte. Die Schweiz hat im OECD-Vergleich bei Weitem die höchste Dichte an Psychiatern. Diese behandeln ihre Patienten oft über längere Zeit und kennen deren Probleme und Fähigkeiten. Diese Ressource wird noch zu wenig genutzt, um Arbeitgeber zu unterstützen. Obwohl kaum etwas so stark zur psychischen Genesung beiträgt wie eine Erwerbstätigkeit. Voraussetzung ist aber, dass die Arbeitgeber bei einer entsprechenden Problemstellung auf einem Kontakt mit dem behandelnden Arzt bestehen, damit dieser sie informieren darf, was vom betreffenden Mitarbeiter verlangt werden kann, wie mit ihm umzugehen ist und welche Arbeitsplatzanpassungen hilfreich wären. Zudem sollten Arbeitgeber frühzeitig und bei Bedarf über längere Zeit externe Fachleute zu Rate ziehen können.

Für sehr viele psychisch kranke Personen ist eine wertschätzende, ehrliche und sichere Beziehung zur Führungskraft die wichtigste Ressource, um Probleme am Arbeitsplatz zu bewältigen und nach einer Krankschreibung rasch wieder zurückzukehren. Damit Führungskräfte diese Rolle erfüllen können, müssen sie von Beginn weg die nötige Unterstützung einfordern. Damit entlasten sie nicht nur sich selbst, sondern auch die betreffenden Mitarbeiter und die Arbeitskollegen.

Buchtipp

Baer N.; Frick U.; Fasel T.; Wiedermann W. (2011): «Schwierige» Mitarbeiter Wahrnehmung und Bewältigung psychisch bedingter Problemsituationen durch Vorgesetzte und Personalverantwortliche – eine Pilotstudie in Basel-Stadt und Basel-Landschaft.


Online-Plattform für Führungskräfte zum Umgang  mit psychisch erkrankten Mitarbeitenden: www.leaderscare.ch

 

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Dr. Niklas Baer ist Psychologe und Leiter der Fachstelle für Psychiatrische Rehabilitation der Psychiatrie Baselland. Er ist Mitglied der OECD-Arbeitsgruppe «Mental Health and Work».

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