Kommentar

Chatbots? Nicht im Recruiting

Sind Chatbots geeignete Interviewpartner im Recruiting-Prozess? Die Online-Kommunikationsberaterin und HWZ-Dozentin Karin Friedli findet: Nein. Ein Kommentar.

Lassen Sie mich eins vorwegnehmen: Ich hätte wahnsinnig gerne ein Chatbot-Projekt. Immer wieder denke ich über Einsatzmöglichkeiten nach. Eine Option verwerfe ich jedes Mal: Recruiting. Parallel dazu werden Chatbots als das nächste grosse Ding in Recruiting und HR gefeiert. Die Hoffnungen sind riesig: Die Verfügbarkeit, das Tempo, die Effizienz!

Gut getextet ein lustige Sache

Für jemanden wie mich, die sich im Berufsalltag viel mit Prozessen und Funktionalität beschäftigt, sind das attraktive Versprechen. Ein Blick auf die gängigen Beispiele ist jedoch ernüchternd: Zunächst einmal sind viele Anwendungen genau genommen keine Chat-, sondern vielmehr Click-and-tell-Bots. Nach einem definierten Schema blenden sie Schaltflächen mit Frage- und Antwortoptionen ein und nehmen Keyword-Abfragen vor. Gut getextet, kann das eine lustige Sache sein.

Trotzdem werde ich den Verdacht nicht los, dass der Candidate Experience in den meisten Fällen mehr geholfen wäre, würde man die Informationsarchitektur der Karriereseite zu Ende denken, eine richtig gute Volltextsuche einbauen und in attraktiven, aussagekräftigen Meta-Inhalt investieren. Dort wo der eigentliche Freitext-Dialog tatsächlich zustande kommt, unterliegt er der Beschränkung der erdachten Datenbank: Wird eine Frage nicht erkannt, weiss das System keine Antwort.

Recruitier Experience leidet

Nun sollen Sie sich nicht von sinnvollen Vorhaben abhalten lassen, bloss weil es in der Umsetzung noch Luft nach oben gibt, da haben Sie natürlich Recht. Der wichtigere Grund, warum ich mich mit Händen und Füssen gegen die Automatisierung von Dialog im Recruitingprozess wehre, ist der umgekehrte, nämlich die Recruiter Experience. Das Zeitfenster ist klein, in dem ich herausfinden kann, wer von den interessierten Menschen da draussen der richtige für mich und mein Team ist.

Ich bin überzeugt, dass sich jede persönliche Interaktion mit Bewerberinnen und Bewerbern lohnt, denn jeder einzelne Austausch, und sei er noch so trivial, gibt beiden Seiten Aufschluss darüber, ob diese potentielle Beziehung funktionieren kann oder nicht. Wie drückt sich mein Gegenüber aus? Haben wir uns verstanden? Wie priorisiert und verarbeitet er oder sie meine Informationen?

Stellenprofile werden zunehmend komplexer; die Skillsets von Kandidatinnen und Kandidaten sind immer spezifischer. Die Suche nach dem oder der Richtigen in einer Vielzahl von Dossiers ist schon anspruchsvoll genug, wenn man bloss die harten Fakten berücksichtigt.

Zieht man nun auch noch in Betracht, dass man die richtige Persönlichkeit für die Vakanz finden will, erübrigt sich die Frage nach Automation des Dialogs. Paradoxerweise wären die technischen Möglichkeiten, die heute zur Verfügung stehen, wohl just in diesem Feld nützlicher gewesen in einer Zeit, in der es sie noch nicht gab.

Wie gesagt: Ich hätte wahnsinnig gerne ein Chatbot-Projekt. Aber der Bot, der mir die Interaktion mit potentiellen Mitarbeitenden abnehmen kann, muss erst noch erfunden werden.

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Karin Friedli ist Mitgründerin der tinkla GmbH, Beraterin für dialogorientierte Online-Kommunikation und Dozentin an der Hochschule für Wirtschaft Zürich sowie am MAZ in Luzern. www.tinkla.com

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