Gastronomie und Hotellerie

Der Lernende von heute ist der Spitzengastronom von morgen

Gerne beklagt sich die Gastronomie-Branche über den Fachkräftemangel, welcher nun auch die Schweiz erreicht hat. Bei der Rekrutierung und der Mitarbeiterbindung stehen die Gastronomen und Hoteliers in der Pflicht. Machen sie zu wenig, um den aktuellen Arbeitskräftemangel zu beheben?

Für einige tönen die Klagen der Tourismusunternehmer über Fachkräftemangel provokativ. Immerhin ist in keiner anderen Branche die Arbeitslosenquote so hoch wie in der Gastronomie. Im Juni lag sie bei über 7 Prozent, während sie im ganzen Dienstleistungssektor 3,2 Prozent betrug. Im Kontrast dazu scheinen Hotels und Restaurants in Zukunft unter einem schwerwiegenden Nachwuchsproblem zu leiden. Hoteliers bestreiten dabei, dass dies in erster Linie mit den Löhnen zu tun habe. Abschreckend würden vielmehr die Arbeitszeiten wirken. Hotels und Restaurants hätten ausgerechnet dann einen überdurchschnittlichen Personalbedarf, wenn Angestellte gerne ihre Freizeit geniessen möchten – der gesellschaftliche Trend hin zum Individualismus mache hier nicht halt. Gleichzeitig sei die Fluktuation in der Branche hoch. Vor allem junge Angestellte würden oft die Stelle wechseln, um Erfahrungen zu sammeln. Zunehmende Konkurrenz erhielten die Arbeitgeber des Tourismussektors mitunter durch Altersheime, Spitäler und Kantinen. Diese Arbeitgeber seien eher in der Lage, Angestellten geregelte Arbeitszeiten zu bieten.

Statistiken stützen Annahmen

Einerseits interessieren sich viele Jugendliche für eine Karriere in der Gastronomie und Hotellerie, wie etwa der der «Tag der offenen Zimmertüre – Please disturb» im März 2016 zum dritten Mal zeigte. Beat Waldmeier, Mediensprecher des Branchenverbandes hotelleriesuisse: «170 Hotels öffneten unter dem Patronat des Branchenverbandes hotelleriesuisse ihre Türen und das Interesse war gross: Rund 16‘000 Besucherinnen und Besucher nutzten den Tag, um hinter die Kulissen zu blicken.»

Andererseits herrscht in Schweizer Hotels und Restaurants Fachkräftemangel. Was die Branche subjektiv wahrnimmt, wird durch Daten des Bundesamtes für Statistik bestätigt: Vergleicht man die Jahre 2013 und 2015, sind die Ausbildungszahlen in Hotelfach, Küche und Restauration, Gastronomie und Hotellerie gesamthaft betrachtet rückläufig:

  • Hotel- und Gastrofachleute: minus 49 Prozent
  • Köche/Köchinnen: plus ein Prozent
  • Restaurationsfachleute: minus neun Prozent
  • Hotelfachleute: plus drei Prozent

Gut qualifizierter Nachwuchs ist somit für viele Betriebe schwer zu finden.

Angestellte kündigen ihren Chefs

Wir können die aktuelle Lage auf den demografischen Wandel schieben. Wir können aber auch ein bisschen tiefer nach den Ursachen suchen und erörtern, ob es doch auch an unserem System liegen könnte. Eventuell sind andere Aspekte für die Misere mitverantwortlich: Warum werden Ausbildungen abgebrochen? Warum wechseln nach Ausbildungsabschluss so viele Fachleute die Branche?

Eine Redewendung besagt: «Angestellte kündigen nicht ihre Jobs, sondern ihren Chefs.» Die meisten Menschen, die ein Unternehmen verlassen, tun dies aufgrund ihrer direkten Vorgesetzten. Gesucht sind also Chefs, die den Nachwuchs fördern, bestärken, motivieren und zu Höchstleistungen anspornen. Die Ausbildung der Ausbildner, die Führungskräfteentwicklung, ist ein ganz entscheidender Erfolgsfaktor für die Gastronomie und Hotellerie. Beat Waldmeier, Mediensprecher hotelleriesuisse, sagt dazu: «Generell können wir sicher sagen: Je besser qualifiziert die Küchenbrigade, desto höher die Qualität der Kochausbildung.»

Personal ist natürlich ein Kostentreiber – aber vor allem eine Investition. Es ist eine Anlage mit einem ausgezeichneten Return on Investment und einer nachhaltigen Wirkung. Es ist bekannt, dass es günstiger ist, einen Gast zu behalten, als einen neuen Gast zu akquirieren. Dieses Bewusstsein muss die Gastronomie nun auch auf Mitarbeitende anwenden. Die Umsetzung von Employee Relations ist angezeigt.

Führungskräfte als Gütesiegel

Ausbildungsbetriebe, die eine positive Führungskultur haben, kennen weniger Fachkräftemangel. Ihre Stellenausschreibungen stossen auf Resonanz und die Betriebe haben weniger Fluktuation. In guten Ausbildungsbetrieben sollten gute Lernende – wie es in der Informatikbranche bereits Bestand hat, nach Lehrabschluss übernommen werden. Talente bleiben, wenn sie stolz darauf sind, in ihrem Betrieb zu arbeiten.

Neben flexiblen Arbeitsmodellen ist das Lohngefüge ein weiterer Erfolgsfaktor. Dies bedeutet nicht, dass ein Gastro- oder Hotelbetrieb Spitzenlöhne zahlen muss, um qualifizierte Arbeitskräfte zu finden. Es bedeutet jedoch, dass Hotels und Restaurants faire Löhne budgetieren müssen, welche die Qualifikationen und die Leistung der Angestellten widerspiegeln.

Investieren in neue und bestehende Mitgastgeber

Adrian K. Müller, Gastgeber im Romantik Hotel Stern und Präsident der Romantik Hotels & Restaurants Schweiz, hat die prekäre Situation erkannt und sagt: «Der Lernende von heute ist der Spitzengastronom von morgen.» In der allgemeinen, wirtschaftlich herausfordernden Situation investiere das Hotel deswegen in seine «Mitgastgeber» und gehe dabei neue Wege. «Investitionen werden in unserer Branche häufig mit grossartigen Umbauten in Verbindung gebracht», so Müller. «Ich investiere lieber in meine Mitarbeitenden!»

Der Nutzen dieser Investitionen wird laut Müller dann konkret, wenn Engpässe im Service nicht zu schlechterer Dienstleistung am Gast führen, sondern im vornherein umschifft werden. Dies, weil die Mitarbeitenden vom ersten Lehrtag an verstehen, was die Qualität eines guten Hotels und Restaurants ausmacht.

Zudem danken im Stern die Lernenden ihrem Vorgesetzten das Vertrauen jeweils mit überdurchschnittlich guten Abschlussnoten. In den letzten zehn Jahren hat das Haus 30 Auszubildende erfolgreich durch die Lehrabschlussprüfung (LAP) gebracht. Von diesen jungen Fachkräften arbeiten einige nach der Ausbildung weiterhin im Stern. Dennoch hat Müller die Massnahmen zur Mitarbeiterbindung verstärkt. Seit Mai hat Michèle Bandli, eine ehemalige Auszubildende des Betriebes, den eigens geschaffenen Posten der Ausbildungsbetreuerin übernommen. Ziel sei es, so Bandli, junge Menschen früh über die verschiedenen Arbeitsbereiche in der Gastronomie zu informieren und sie «mit dem Virus Gastgewerbe» anzustecken. Dafür wird die intensive und aktive Zusammenarbeit mit dem Branchenverband und dessen Projekten, aber auch mit den Schulen der Oberstufe in Chur angestrebt. Die Auszubildenden werden schrittweise an ihr neues Leben herangeführt, vor allem aber in der «Familie Stern» willkommen geheissen.

Das Hotel Stern betreut und fördert nicht nur jungen Berufseinsteigenden individuell, sondern auch Fach- und Hilfskräfte. Derzeit befindet sich ein zwischenzeitlich anerkannter Flüchtling in der hausinternen Ausbildung zum Hilfskoch. Eine ältere Mitarbeiterin holt ihr eidgenössisches Fähigkeitszeugnis (EFZ) nach. Der Sous-Chef absolviert die eidgenössische Ausbildung zum Küchenchef. Müller: «Die Kunst ist es, das Potenzial eines Menschen zu erkennen und sich nicht nur von Noten, Zeugnissen oder momentanen Hierarchiestufen leiten zu lassen.»

Wille und Innovation fehlen

Der vermeintliche Fachkräftemangel in der Gastronomie und Hotellerie ist mehr als die Folge des demographischen Wandels. Es ist einerseits der fehlende Wille, in gute Mitarbeiter zu investieren, andererseits das Fehlen von innovativen Arbeitszeitmodellen und gut ausgebildeten Führungskräften.

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