Recruiting Guide 2018

Fallstricke der digitalen Transformation im Recruiting

Prozesse werden konsequent automatisiert. Die digitale Transformation hat mittlerweile auch das Recruiting erreicht. Dadurch werden viele Abläufe beschleunigt oder zumindest vereinfacht. Beispielsweise erleichtern schlaue CV Parsing und Matching Tools oder Robot Recruiting das Leben vieler Recruiter. Der Markt für Fachspezialisten ist aber immer noch ein klassischer Angebotsmarkt. Der Einsatz recruitingerleichternder Tools liegt auf der Hand.

Als Personalberater und Recruiter treffe ich in der Praxis jedoch häufig folgendes Szenario an: HR-Abteilungen, die zwar mit intelligenten Tools ausgestattet sind, aber an kleinen und wichtigen Details scheitern, die für eine effiziente Rekrutierung von hoher Bedeutung sind. So werden passende Kandidaten nicht genügend rasch geprüft und zum Vorstellungsgespräch eingeladen oder das Vertragsangebot verzögert sich. Dies hat zur Folge, dass das Recruiting einen grossen Aufwand betreibt, ohne genügend neue Mitarbeitende erfolgreich einzustellen.

Kandidaten-Warteschlaufe

Ein Scheitern ist oft auf einen oder mehrere dieser Gründe zurückzuführen:

  • Der Kandidat wird wegen Heuristiken falsch eingeschätzt und nicht für ein zeitnahes Vorstellungsgespräch berücksichtigt, obwohl er gepasst hätte.
  • Es wird zu lange mit einer Einladung zum ersten oder zweiten Vorstellungsgespräch oder mit dem Vertragsangebot zugewartet, um sich alle Optionen offen zu halten, oder weil Entscheidungsträger abwesend und nicht verfügbar sind.
  • Kandidaten erhalten vom HR gar kein (!) oder ein ungenügendes Feedback.
  • Die Prüfung der Bewerbenden erfolgt nicht parallel, sondern sequentiell.

Aufgrund dessen ergeben sich für die Kandidierenden Wartezeiten. In Kombination mit einer nicht-stimulierenden Kommunikation resultiert beim Kandidaten Frust. Dadurch verliert man nicht nur den möglicherweise besten Kandidaten, sondern auch Alternativ-Kandidaten, die sich wegen des ausbleibenden oder verspäteten Feedbacks nicht ernst genommen fühlen und sich bei anderen Firmen bewerben, wo es im Rekrutierungsprozess Schlag auf Schlag vorwärts geht.

Diese negativen Faktoren haben nur wenig mit der digitalen Transformation zu tun und können unabhängig vom Technologie-Standard im Unternehmen verbessert werden:

  • Unternehmen, in denen HR und insbesondere das Recruiting fernab der Geschäftsleitung beziehungsweise der Linie agiert: Mit der aktuellen Phase der in der ganzen Wirtschaft stattfindenden Digitalisierung werden technische Berufe noch spezialisierter und das Finden von Top-Mitarbeitenden immer wichtiger. Wenn die HR-Mitarbeitenden nicht in der technischen Komponente geschult wurden und über keine technische Affinität verfügen, wie sollen sie ein gutes von einem schlechten Profil unterscheiden? HR muss verstehen und nachvollziehen können, welche Anforderungen Kandidaten weshalb erfüllen müssen. Damit lässt sich das Gesamtbild von Kandidaten einschätzen und eine optimale Vorselektion für die Linie gewährleisten.
  • Abstimmungsprobleme zwischen HR und Linie: Diesen Fall treffen wir häufig an. Die Linie sucht dringend neue Mitarbeitende. 
Erhält sie einen Kandidaten auf dem Silbertablett serviert, hat sie in den nächsten Tagen aber keine Zeit für ein Interview. Die Linie ist sich dabei der Tragweite der Verzögerung oft nicht bewusst: Während der Kandidat bei ihrer Firma noch im Wartezimmer sitzt, befindet er sich anderswo bereits in Vorstellungsgesprächen und erhält laufend Updates, wo er steht. Ein Vertragsangebot bei einem Konkurrenzunternehmen kann oft zur direkten Annahme desselben führen. Eine Sensibilisierung der Linie durch HR ist darum wichtig, auch wenn man sich nicht immer beliebt macht. Spätestens mit der Anstellung eines neuen Kandidaten, der dadurch im Rekrutierungsprozess gehalten werden konnte, wird die Linie die Hartnäckigkeit der HR-Mitarbeitenden entschuldigen.
  • HR informiert Kandidaten nicht ausreichend: Straff dimensionierte HR-Teams sind in der Regel mit Terminen und Interviews mehr als stark ausgelastet. Dies kann bei administrativen Aufgaben wie schnelles Feedback auf eine Bewerbung zu Verzögerungen führen. Die Ansprüche der Kandidaten an einen raschen Informationsaustausch sind heute hoch. Hier helfen Rückmeldungen wie Statusupdates.

Administrativer Wettbewerbsvorteil

Zielgerichtetes Recruiting kann nur stattfinden, wenn alle im Unternehmen am selben Strang ziehen,  den optimalen Kandidaten zu finden und für sich zu gewinnen. Dabei kann die digitale Transformation wesentlich unterstützen, jedoch nur, wenn dabei auch das A und O einer persönlichen, wertschätzenden Kommunikation eingehalten wird. Das wird auch die kommenden Jahre wichtig sein.

Die meisten Leser dieses Textes werden wohl HR Spezialisten sein und sind geneigt, zu denken, dass die beschriebenen Fälle Ausnahmen sind, was leider nicht der Fall ist. Die, die es richtig machen, haben darum einen guten Wettbewerbsvorteil.

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Werner Raschle ist CEO und Eigentümer von Consult & Pepper AG, einem spezialisierten Schweizer Rekrutierungsunternehmen im Bereich IT, Engineering, Consulting und Finance. Talentakquisition und -management stellten seit Karrierebeginn wesentliche Grundpfeiler seiner Tätigkeiten dar, weshalb er auch bei Consult & Pepper mit Herzblut nebst der Unternehmensführung die Kunden bei der Besetzung von Schlüsselpositionen operativ unterstützt. In einem früheren Leben arbeitete Werner Raschle als Regional Head Central Switzerland bei der Credit Suisse.

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