Porträt

«Eine Feministin – das bin ich. Und zwar mit meiner ganzen Leidenschaft»

Der Gerechtigkeitssinn hat sich bei Patricia Schulz schon früh im Leben geregt. Die Direktorin des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann setzt sich ab nächstem Jahr als erste Schweizerin im UNO-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau ein. Und sieht sich dabei in ihrem Leben vom Glück gesegnet.

In Rente gehen und dann nichts tun, das ist nicht ihre Sache. Als erste Schweizerin wurde 
Patricia Schulz im Juni in den UNO-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (CEDAW*) gewählt. Keine Sekunde habe sie gezögert. «Die Chance, dort mitzuarbeiten ist die Krönung meiner Aktivitäten im Bereich Gleichstellung. Und zeitlich passt es genau.» Seit 16 Jahren ist Schulz Direktorin des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) in Bern. Das EBG ist das kleinste Amt der Bundesverwaltung und dem Eidgenössischen Departement des 
Innern (EDI) unterstellt.

Die 61-Jährige lässt keinen Zweifel daran, dass der Name des Büros auch ihr persönliches Programm ist. «Wir haben in puncto Gleichstellung viel erreicht, aber es gibt noch einiges zu tun», ist sie überzeugt. Bei sommerlichen Temperaturen ist sie heute in eine zarte Leinenhose und eine passende lockere Bluse gekleidet. Die grauen Haare trägt sie als flotten Kurzhaarschnitt, der ihren frechen, selbstbewussten Ausdruck betont. Das UNO-Mandat sei für sie die Chance ihres Lebens, sagt sie. Mit 62, so hatte sie geplant, wollte sie sowieso beim EBG aufhören. Mit ihren gesellschaftlichen und politischen Ambitionen kann sie sich künftig auf internationalem Parkett einbringen.

116 Gespräche lang war der Weg zum Sitz in den UNO-Ausschuss

Der Sitz im UNO-Ausschuss ist kein gewöhnlicher Job. 23 Spezialistinnen aus der ganzen Welt kommen drei Mal im Jahr für drei- oder vierwöchige Sessions zusammen. Zwei Mal in Genf, ein Mal in New York. Für die Wahl kandidierte zunächst die Schweiz als Land und schlug Schulz als geeignete Kandidatin vor. Unter Federführung des Eidgenössischen Departements des Äussern (EDA) folgte eine aufreibende Wahlkampagne. Das EDA schickte ihr CV weltweit an alle Schweizer Botschaften, um eine starke Unterstützung zu bekommen. In New York führte Schulz 116 Gespräche mit Staatsvertretern, um für sich und ihre Mission gegen Diskriminierung zu werben.

Die Frage der Gleichstellung von Frau und Mann zieht sich wie ein roter Faden durch Schulz’ Leben. Sie erinnert sich an sehr persönliche Gründe, warum das so ist. Mit 20 begann sie ein Rechtsstudium. Das war 1969 und Frauen hatten auf nationaler Ebene noch kein Stimmrecht. «50 Prozent der erwachsenen Schweizer Bevölkerung ohne Stimmrecht», sinniert sie. Als ihr Professor in der Vorlesung zum x-ten Mal vom universellen Stimmrecht sprach, hob sie die Hand und sagte: In Anbetracht der Tatsachen müsse man wohl eher von einem universell männlichen Stimmrecht sprechen. «Alle lachten. Sowohl meine Mitstudierenden als auch der Professor fanden meine Bemerkung total daneben!» Dass mündige, kompetente Frauen keine Möglichkeit haben sollten, an der Gesetzgebung teilzunehmen, war für sie unfassbar. Heute studieren viel mehr Frauen als früher, oft sogar mit besseren Ergebnissen als die Männer. «Und dann», so Schulz, «trifft sie die Diskriminierung doch. Spätestens mit dem ersten Kind. Das war’s dann. Plötzlich wachen sie auf und sehen die Realität. Die Karriere bricht weg.»

Als sie selbst jung war, dachte Schulz noch, man könne Ungerechtigkeiten doch eigentlich schnell aus der Welt schaffen. «Heute weiss ich etwas mehr über sozialen Wandel und verstehe, warum manche Dinge eben so lange dauern.» Was sie nicht davon abhält, immer wieder auf Veränderung zu drängen. «Die Struktur und Organisation unserer Gesellschaft beruht noch auf dem alten Bild der Hierarchie der Geschlechter.» Selbst Menschen, die mittlerweile von der Gleichstellung überzeugt seien, erzählten ihren Buben, sie müssten in der Lage sein, später eine Familie zu ernähren, und ihren Mädchen, sie könnten ja wählen, ob sie später ihren Beruf ausüben oder sich zu Hause um die Kinder kümmern wollten … «Diese Rollenbilder kleben förmlich an uns.»

Statistiken zeigen, dass 40 Prozent Frauen im gebärfähigen Alter mit tertiärem Abschluss keine Kinder haben. Es sei zwar oft die bewusste Entscheidung der Frauen, aber oft auch begründet in der noch immer unmöglichen Vereinbarkeit von Beruf und Familie, so Schulz. Selbst Frauen, die sich gegen Kinder entschieden, würden oft im Beruf benachteiligt, weil der Arbeitgeber denke, sie könnte ja doch irgendwann Mutter werden. Patricia Schulz ist eine der unermüdlichen Kämpferinnen, denen junge Frauen heute ein Stück Freiheit, Unabhängigkeit und Gleichstellung verdanken. Mit der Bezeichnung «Feministin» hat sie gar kein Problem. «Das bin ich», sagt sie. «Und zwar mit ganzer Leidenschaft.»

Eine starke Mutter als Vorbild für eine kämpferische und engagierte Frau

1949 wurde sie in Genf geboren. Zu Hause wurde viel über den Krieg gesprochen. Zum ersten Mal im Leben regte sich ihr Gerechtigkeitssinn, der sie auch in ihrem weiteren Leben leiten sollte. Menschen, die andere schlecht behandeln, sind für sie sehr schwer zu ertragen. Sie wählte das Rechtsstudium, weil Recht ein Instrument sei, mit dem innerhalb einer Gesellschaft gegen Ungerechtigkeiten agiert werden könne. Aber auch, weil sich durch das Recht die Machtverhältnisse ein bisschen besser verstehen liessen.

Schulz’ Eltern betrieben eine private Sprach- und Sekretärinnenschule. Ihre Mutter wurde in den USA geboren und wuchs in Frankreich auf. Mit 23 Jahren kam sie in die Schweiz. Ihr Vater stammt aus dem Waadtland. Er sprach Französisch, Hochdeutsch und Schweizerdeutsch, ihre Mutter Englisch und Französisch. Schulz wuchs zweisprachig mit Französisch und Englisch auf. Ihr fliessendes Deutsch mit dem typischen französischen Akzent lernte sie in der Schule. «Aber mit Schweizerdeutsch habe ich immer noch so meine Probleme», lacht sie. Wegen einer Krankheit des Vaters übernahm die Mutter selbständig das Geschäft und wurde so zum Vorbild einer starken Frau für die Tochter.

Nach dem Rechtsstudium arbeitete Schulz vier Jahre als Rechtsanwältin. 1977 ging sie nach Madagaskar als Expertin der «International Labour Organisation». Ab 1984 war sie an der Rechtsfakultät der Universität Genf Lehrbeauftragte im Öffentlichen Recht. In den folgenden Jahren hielt die Juristin Referate und schrieb zahlreiche Artikel zur Gleichstellung von Frau und Mann zwischen Recht und Wirklichkeit und zu den politischen Konsequenzen der Geschlechterverhältnisse. Als Präsidentin der Gleichstellungskommission der Universität Genf setzte sie sich für die Chancengleichheit ein.

Als sie die Ausschreibung des EBG für den Direktionsposten las, dachte sie: «Das ist jetzt mein Ding.» Sie war 44 und hatte gerade die Bewilligung für ein Forschungsprojekt im Rahmen des Schweizerischen Nationalfonds an der Uni Genf erhalten. Zwei Jahre lang sollte sie das institutionelle und politische System der Schweiz aus der Perspektive der Gleichstellung untersuchen. Sie war hin- und hergerissen, entschied sich dann aber für einen Job, der ihr einen grösseren Handlungsspielraum gab und in dem sie für ihr Engagement in Sachen Gleichstellung endlich bezahlt wurde. Schulz konnte sich nun sowohl national wie auch international für die Gleichstellung engagieren. So nahm sie 1995, ein Jahr nachdem sie beim EBG begonnen hatte, an der Weltfrauenkonferenz in Peking teil.

Regelmässig erhält die Direktorin Post von Frauen, die aus ihrem Leben berichten. «Das ist eine wertvolle Quelle für unsere Arbeit.» Das EBG antworte immer, eine individuelle Beratung aber könne es aus Mangel an Ressourcen nicht leisten. Interessant, dass auch viele Männer dem Büro schreiben. Schulz: «Es geht nicht nur um die Frauen. Wenn sich etwas ändern soll, müssen wir auch die Männer unterstützen im Bestreben, Karriere und Familie besser zu vereinbaren.» Ein neues Forschungsprogramm, das Schulz mit einer kleinen Arbeitsgruppe lanciert hat, soll jetzt aktuelle Fragen beantworten zum Wandel in der Geschlechterrolle in der Schweiz. Der Schweizerische Nationalfonds stellt für diese Arbeit acht Millionen Franken bereit.

Professionell wie Schulz ist, lässt sie sich in ihrer Funktion nicht in die Karten schauen. Das hat sie schon als junge Rechtsanwältin gelernt. «Wenn Sie ein Plädoyer vor einem Gericht für jemanden halten, dürfen Sie nicht zeigen, dass Sie vor Angst und Aufregung Bauchweh haben. Der Mandant oder die Mandantin hat ein Recht auf eine kompetente Verteidigung. Bereits als Anwältin wusste ich, dass man aber auch damit leben muss, wenn man mal sein Ziel nicht erreicht.» So hatte sie vor zwei Jahren auf mehr Ressourcen für ihr Büro gehofft, doch die ersehnte Erhöhung blieb aus. Sie war zwar enttäuscht, doch nach aussen liess sie sich nichts anmerken. «In einer harten Diskussion will ich nicht zeigen, dass ich persönlich betroffen bin. Und man muss auch merken, wenn man verloren hat oder die Grenze des Machbaren erreicht ist.»

Der Albtraum von der Gesellschaft, die nur noch dem Profit nachjagt

Energie, Disziplin und Respekt anderen gegenüber sind die Grundlagen ihres Erfolges. «Wenn etwas getan werden muss, dann tue es richtig» ist ihr Leitmotto. Inkompetenz und mangelndes Engagement kann sie nicht leiden, nicht nur beruflich, sondern auch, wenn sie in einem Restaurant 20 Minuten warten muss, bis der Kellner sie überhaupt zur Kenntnis nimmt. Für sie eine klare Sache mangelnden Respekts. Eine Gesellschaft, in der niemand mehr Zeit hat für den anderen, jeder nur seinem persönlichen Profit hinterhereilt, ist für die sozial engagierte Frau ein Albtraum.

Schulz ist ledig und hat keine Kinder. Das hat sich in ihrem Leben einfach nicht ergeben. Vermisst habe sie nichts, sagt sie rückblickend zu ihrem «tollen Leben mit sehr viel Glück». Ende dieses Jahres heisst es also Abschied nehmen vom EBG, das ihr schon sehr ans Herz gewachsen ist. Den Sitz als Expertin im CEDAW wird sie von zu Hause aus wahrnehmen. Dieses wird nach all den Jahren in Bern wieder in Genf sein. Gewählt ist sie für vier Jahre, theoretisch kann sie dann wiedergewählt werden. «Aber dann bin ich 65, mal sehen, vielleicht will ich ja dann wirklich pensioniert werden und mal ganz viel Zeit für mich haben.»

Patricia Schulz

wurde 1949 in Genf geboren. Nach der Matura studierte sie Rechtswissenschaften an der Universität Genf. 1972 schloss sie ihr Studium ab und war anschliessend als Rechtsanwältin tätig. Von 1979 bis 1984 arbeitete sie als Lehrbeauftragte an der Rechtsfakultät der Universität Genf und beschäftigte sich auf praktischer und wissenschaftlicher Ebene eingehend mit aktuellen Gleichstellungsfragen. Seit 1994 ist Patricia Schulz Direktorin des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) in Bern. Ende dieses Jahres wird sie diesen Posten aufgeben und ihre neuen Aufgaben im UNO-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (CEDAW)* wahrnehmen.

* 
Committee on the Elimination of 
Discrimination against Women (CEDAW)

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