Buchtipp

«Die gesellschaftliche Alterung ist kein Schnupfen»

Die Generation 50+ ist die reichste und am schnellsten wachsende Kundengruppe, konstatiert Buchautor Helmut Muthers. Im Interview spricht er darüber, warum er Seniorenprogramme skandalös findet und warum Unternehmen schleunigst überdenken müssten, wie sie mit ihren älteren Mitarbeitenden und ihrer älter werdenden Kundschaft umgehen.

Herr Muthers, Sie haben das Buch «Ab 50 ist man alt genug, um zu wissen, was man will und kann» geschrieben. Weshalb?


Helmut Muthers: Ich beschäftige mich seit sechzehn Jahren mit der gesellschaftlichen Alterung. Mir fiel damals auf, dass dem gesellschaftlichen Altersbild entsprechend eher die Risiken und die Bedrohungen kommuniziert wurden. Damit sind zahlreiche persönliche Erlebnisse verbunden.

Ab einem nicht bestimmten Zeitpunkt werden die Menschen meist von Jüngeren als alt betrachtet und beginnen dann eigenartigerweise, sich alt zu fühlen. Auf einmal ändern sich die Ansprache und der Umgang. Zu meinem 50. Geburtstag bekam ich vor 16 Jahren ein Glückwunschschreiben, indem ich als «Lieber Senior» angesprochen wurde. Das geht gar nicht. Auch in den Firmen ist der Umgang mit älteren Mitarbeitenden ruppiger geworden: Man will sie loswerden. 


Woher kommt das?

Eine zentrale Ursache ist das vorhandene Altersbild. Viele Menschen verbinden das Älterwerden mit Negativem: Grauhaarig, stur, krankheitsanfällig, senil, gebrechlich, festgefahren im Denken, unflexibel. Das mag irgendwann vor hundert Jahren mal gestimmt haben. Damals waren die Meisten in der Landwirtschaft, im Bergbau oder anderen körperlich belastenden Berufen tätig und wurden durchschnittlich keine 50 Jahre alt.

Die heutigen Älteren sind anders als die Älteren von gestern: Sie sind fitter, mobiler und informierter, kritischer und anspruchsvoller. Der 60-jährige aus dem Jahr 1980 hat mit dem 60-Jährigen von heute nichts mehr gemeinsam. Sie fühlen sich 10 bis 15 Jahre jünger, denken, verhalten und kleiden sich auch so. Sie machen mit 55 ihren ersten Marathon-Lauf, heiraten mit 58 Jahren zum dritten Mal und wollen Kinder. 


Was wollen Sie mit Ihrem Buch erreichen?


Das Buch richtet sich an Führungskräfte, Unternehmer, Wissenschaftler, Politiker und Menschen, die 50 Plus sind oder noch werden. Ich möchte damit erreichen, dass Klischees und Vorurteile über das Älterwerden und die Älteren über Bord geworfen werden. Ältere Menschen sind die einzig wachsende Mitarbeiter-, Kunden- und Bevölkerungsgruppe.


Ohne ihre Potenziale als Mitarbeitende, als Kunden oder ehrenamtlich Tätige werden wir gesellschaftlich nicht weiterkommen. Bisher wurden ältere Menschen vor allem ausgegrenzt und abgeschoben: In die Rente oder ins Altersheim. Künftig geht es um das respektvolle Zusammenwirken aller Generationen, solange der einzelne das kann und will.


Warum weigern sich Unternehmen, ältere Mitarbeitende zu beschäftigen?

Die Alterung ist ein Megatrend. Geschäftsführer und Vorstände, die das ignorieren, handeln nicht im Interesse des Unternehmens. Dabei spielen überholte Klischees und die Vergangenheit eine grosse Rolle.

Immer wieder bekomme ich zu hören, dass ältere Mitarbeiter unproduktiv und zu teuer seien. Deshalb sollen sie möglichst früh raus. Es gibt weltweit keine einzige Studie, die belegt, dass die Produktivität mit zunehmendem Alter abnimmt. Es gibt aber viele Studien, die das Gegenteil beweisen. Kurioserweise glauben aber dieselben Unternehmer, dass sie selbst bis 85 unabkömmlich sind.

Wenn ein Mitarbeiter als zu teuer erscheint, ist das zunächst nicht seine Verantwortung. Führungskräfte sollten ausreichend Fantasie haben und ihre älteren Mitarbeitenden so einsetzen, dass diese eine Gelegenheit haben, einen ausreichenden Beitrag an den Unternehmenserfolg zu leisten. Wer sie raushaben will und sie das spüren lässt, kann keinen Leistungsschub erwarten. Nicht zuletzt ist die Zeit nicht vergessen, als Mitarbeitende politisch gewollt und gefördert mit Mitte 50 aufs Abstellgleis geschoben wurden. Sie sollten Platz machen für die Jungen, die es zu dieser Zeit im Überfluss gab. Das ist aber längst vorbei.

Unzählige Firmen haben seit Jahren grösste Schwierigkeiten, ausreichend junge und qualifizierte Mitarbeitende zu finden. Das wird sich in absehbarer Zeit nicht ändern. In den nächsten Jahren gehen die geburtenstärksten Jahrgänge in die Rente. Für Firmen, die nicht vorgesorgt haben, wird das zum personalpolitischen Desaster. Eine Lösung ist die möglichst lange Beschäftigung sowie die Neueinstellung älterer Mitarbeitender. 

Inwiefern werden ältere Mitarbeitende durch solche schiefen Altersbilder in Ihrer Entwicklung eingeschränkt?

Es gibt Betriebe, die bieten ihren Mitarbeitern ab 50 Seniorensportprogramme oder einen Gesprächspartner für Probleme älterer Mitarbeitender. Das ist naiv und skandalös. Ältere Mitarbeitende werden auch immer wieder gefragt, wie lange sie noch arbeiten müssen und wann sie endlich in Rente gehen. Wer permanent darauf hingewiesen wird, dass er nicht mehr gebraucht wird, verabschiedet sich in die innere Kündigung oder zum schnellstmöglichen Zeitpunkt aus dem Erwerbsleben.

In vielen Unternehmen werden 50 Plus zudem keine Weiterbildungsangebote mehr gemacht. Ein Wahnsinn, denn sie sind noch mindestens 15 Jahre da. Wenn man sich in den Unternehmen dann noch darüber beschwert, dass sie den Anschluss verpasst haben, ist das purer Sarkasmus. Das gilt ebenso für Führungskräfte, die glauben, 57-Jährige sollten genauso arbeiten wie 29-jährige. 

Was ist Ihre Botschaft an das HR-Publikum?

Es gibt keinen Grund, ältere Mitarbeitende zu ignorieren. Nicht das Alter ist das Problem, sondern unsere Einstellung dazu. Setzen Sie auf Ältere – als Mitarbeitende und als Kunden. Alles andere führt ins Abseits. Die gesellschaftliche Alterung ist kein Schnupfen. Sie geht nicht vorbei. 

Buchtipp

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Helmut Muthers: Ab 50 ist man alt genug, um zu wissen, was man will und kann. 256 Seiten. Plassen Verlag, 2017.

 

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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