HR-Debatte

Psychologisierung 
der Führung

Burnout und psychische Erkrankungen nehmen zu. Auf der Suche nach den Ursachen geraten auch die Chefs ins Visier. Es stellt sich die Frage nach ihrer Verantwortung und ihrer Rolle in der Prävention. Doch inwieweit gehört das mentale Wohl von Mitarbeitern zum Aufgabenbereich von Führungskräften? Gar nicht, findet Regina Mahlmann. Die Soziologin stellt die Psychologisierung von Führung fundamental in Frage. Nach Psychologe und HR-Dozent Dirk Hanebuth
 hingegen lassen sich psychosoziale Aspekte im Arbeitskontext nicht ausblenden.

Für Führungskräfte ohne
Teflonbeschichtung

Wie geht es Ihnen? – Entschuldigung, rhetorische Frage. Ich lasse abperlen, was mein Weiterkommen behindert, meinen Führungsstil in Frage stellt oder meine soziale Unsicherheit entblösst. Die Jacke «Führungskraft» ist mir zwar eine Nummer zu gross. Aufblähen hilft aber.

Führungskräfte, die psychosoziale Aspekte im Arbeitskontext ausblenden sind so naiv wie ein Fussballtrainer, der nur Beinmuskeln trainiert, Taktik lehrt, die Anzahl der zu schiessenden Tore vorgibt und meint, das Wohlbefinden der Spieler sei nicht spielentscheidend.

Führungskräfte leisten viel: Sie jonglieren mit beeinflussbaren und nicht beeinflussbaren, mit sich verändernden und konstanten Faktoren, sie kommunizieren hierarchieübergreifend, geben Orientierung, beraten, fördern, loben, kritisieren, steuern, regulieren. Gut geführte Mitarbeitende kennen ihre Bringschuld in diesem komplexen Geschehen und unterstützen ihrerseits die Führungskraft. Psychische Belastungen und gesundheitliche Einschränkungen sind ein realer Faktor in diesem Geschehen, sie zu ignorieren, ist ein Fehler. Denn obwohl sie ihre Ursache im privaten Kontext haben können, beeinflussen sie menschliches Verhalten und Erleben auch im Arbeitskontext.

Das Führungsverhalten selbst ist gesundheitswirksam und steht in einem klaren Zusammenhang mit Leistung, Belastung, Zufriedenheit und Wohlbefinden der Mitarbeitenden. Gute Führung ist auch immer gesunde Führung, damit trägt die Führungskraft eine Mitverantwortung. Viele Führungskräfte wissen sehr wohl, wie es geht, sind aber handlungsunfähig, weil zeitliche oder andere Ressourcen fehlen oder weil Konkurrenz und  Angst den Arbeitsalltag prägen. Die Teflonbeschichtung, an der vieles abperlt, wird zur Überlebenstaktik.

Führungskräfte können keine Burnouts oder Depressionen kurieren. Aber sie müssen sensibel und sensitiv sein und wissen, was zu tun ist, wenn Geführte Anzeichen eingeschränkter Leistungsfähigkeit oder Leistungsbereitschaft zeigen. Das ist ihre Rolle in der (Burnout-)Prävention im Unternehmen.

Die Rolle der Organisation geht Hand in Hand mit derjenigen der Führungskräfte. Sie schafft den Raum für einen regelmässigen, offenen und konstruktiven Austausch zwischen Führungskräften sowie zwischen Führungskräften und Geführten zu Gesundheitsthemen. Sie unterstützt Führungskräfte und Mitarbeitende aber auch gezielt mit Schulungen zum Thema Arbeit und Gesundheit. Kein Return on Investment? Reduzierter Shareholder Value? Im Gegenteil, ein gesundes Team mit Spielfreude schlägt die vom Trainer demoralisierte Gegenmannschaft. Die Organisation muss den Mut haben, ihre Kultur zu hinterfragen. Sie muss Führungskräfte mit ihren Anliegen ernst nehmen, bei fachlichen und sozialen Aufgaben stärken, Führungskräfte und Mitarbeitende müssen Gefühle und auch Schwächen zeigen dürfen. Den Raum hierfür zu schaffen, ist die Crux. Führungskräfte und Unternehmen können nur gemeinsam einen Ausweg aus dem Irrsinn der Gewinnsteigerungs-Steigerung finden und eine intelligente und im Kern vitale Organisation schaffen.

Es gibt eine physiologische und logische Grenze für Profitabilität, ohne dass sich das Unternehmen selbst kannibalisiert. Lächeln aufsetzen, Ölstand-Kontrollleuchte abkleben, einfach immer weiterfahren. Bis es knallt, hat man die Position gewechselt. Den Schaden soll der Nachfolger aufräumen.

Wer will so geführt werden? Stellen Unternehmen so ihre Wettbewerbsfähigkeit sicher?

  • Dr. Dirk Hanebuth ist Gründer und Geschäftsführer von sciencetransfer. Der Psychologe hat an der ETH Zürich im Bereich Absentismus-Forschung promoviert, hat das Copenhagen Burnout Inventory für Führungskräfte weiterentwickelt und ist an der Kalaidos FH Zürich Dozent für HRM.

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Gegen Chefs, die sich als
 Laienpsychologen betätigen

Soll die Führungskraft im Unternehmen als Rundumsorgerin auftreten? Meine Antwort ist klar: nein.

Aktuell legt die Führungskräften breitenwirksam zugeschriebene Verantwortung am Burnout von Mitarbeitern offen, dass Chefs Pflichten zu erfüllen haben, die mit der Primäraufgabe von Führung in einer Wirtschaftsorganisation bestenfalls auf Umwegen zu tun haben. Führung ist psychologisiert worden: Führungskräfte sollen «einfühlsam» auf ihre Mitarbeiter eingehen, ihnen Selbstverwirklichung und psycho-physisch-soziales Wohlergehen ermöglichen. Sie sollen innere Befindlichkeiten und Bedürfnisse der empfindsamen Mitarbeiterseele zum Gegenstand der Art und Weise machen, wie sie führen.

Psychoexperten haben es geschafft, ein Menschenbild für allgemeingültig zu erklären, das definiert, unter welchen Bedingungen Selbstverwirklichung und persönliche Sinnfindung nötig und möglich sind. Als essenzieller Bereich für sinnhafte Lebensführung wird der Arbeitsplatz identifiziert und postuliert. Fortan «muss» so geführt werden, dass «der ganze Mensch sich entfalten» kann.

Dieser Imperativ ist fundamental in Frage zu stellen, sowohl prinzipiell und aus gesellschaftskritischer Sicht als auch mit Blick auf die Leistbarkeit. Dafür eignet sich unter anderem das Konzept der Rolle. Führende wie Geführte begegnen einander als Rolleninhaber. Das Unternehmen ist nicht interessiert an Potenzialen, Präferenzen, Kompetenzen etc. des «ganzen Menschen», sondern nur an für Rolle und Funktion relevanten Aspekten. Kein Segelclub interessiert sich für die Qualitäten, die ein Mitglied als Liebespartner hat, sondern nur, welchen Beitrag es  bei einer Regatta leisten kann.

Jede Rolle verfügt über einen Kernbereich, der innerhalb eines definierten Geltungsraums (hier Wirtschaftsunternehmen) verbindlich ist. Es geht um Rechte und Pflichten und damit auch um Inhalte, die legitimerweise zum Gesprächsthema gemacht werden können. Konzentrieren sich Führende und Geführte auf ihre betriebliche Rolle, erleichtern sie sich die Zusammenarbeit, weil Erwartungen schärfer markiert und klar(er) sind und es möglich ist, einem pragmatischen statt einem psychologischen Paradigma zu folgen. Es kommt dann mehr auf das an, was offensichtlich, beobachtbar ist, und weniger darauf, was innerseelisch sein könnte. Psychologisierte Hypothesenbildung ist möglich, gehört indes nicht zum Obligo für Führung. Der Rekurs auf die «Rolle» erleichtert eine Versachlichung von Führung:

  • 
Er ermöglicht die Rückbesinnung auf die Kernfunktionen von Führenden und Geführten.
  • 
Er stoppt den Trend zur Infantilisierung und Legitimierung psychologisierter Ansprüche sowie den Trend zur Totalisierung von Führung und Unternehmen.
  • 
Er nimmt Mitarbeitende in ihrer auf Partizipation zielenden Aufforderung beim Wort, «auf Augenhöhe» zu kommunizieren und «ernst genommen» zu werden.
  • 
Er entlastet Führende von prinzipiell nicht wünschenswerten und ebenso wenig leistbaren Anforderungen.

Führenden steht es frei, beispielsweise einfühlsam zu führen. Es soll jedoch keinen Anspruch darauf geben. Nicht-Fachleute sollen nicht verpflichtet sein, sich in psychotherapeutischer Gesprächsführung zu üben und als Laienpsychologen zu betätigen, um erwachsene Menschen für etwas zu motivieren, zu dem diese sich freiwillig verpflichtet haben. Führungskräfte müssen die (Rück-)Delegation von Verantwortung für persönliche Lebensgestaltung von Mitarbeitern im Rahmen ihrer Führungsfunktion verweigern dürfen.

  • Dr. Regina Mahlmann ist Soziologin und Philosophin. Sie ist unter anderem als Unternehmensberaterin und Coach tätig und ist Autorin des Buches «Unternehmen in der Psychofalle. Wege hinein, Wege hinaus» (Business Village 
Verlag, 2013).
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Dr. Dirk Hanebuth ist Gründer und Geschäftsführer von sciencetransfer. Der Psychologe hat an der ETH Zürich im Bereich Absentismus-Forschung promoviert, hat das Copenhagen Burnout Inventory für Führungskräfte weiterentwickelt und ist an der Kalaidos FH Zürich Dozent für HRM.

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Dr. Regina Mahlmann ist Soziologin und Philosophin. Sie ist unter anderem als Unternehmensberaterin und Coach tätig und ist Autorin des Buches «Unternehmen in der Psychofalle. Wege hinein, Wege hinaus» (Business Village 
Verlag, 2013).

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