HR Today Nr. 11/2017: Querdenker

Querdenken verboten?

Viele Unternehmen bezeichnen sich als «innovativ» und suchen in Stelleninseraten nach «kreativen» Mitarbeitern. In Tat und Wahrheit haben es wirklich querdenkende Menschen schwer, sich in der Arbeitswelt zu etablieren, meinen die Referenten des ZfU-Querdenkerforums 2018.

Das Wort «Diversität» ist aus Unternehmensbroschüren nicht mehr wegzudenken. Denn von gut durchmischten Teams erhofft man sich innovative Ideen, die Firmen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen sollen.

Schenkt man den drei Referenten des 21. ZfU-Querdenkerforums Glauben, scheinen es querdenkende Menschen in der Arbeitswelt jedoch nicht leicht zu haben. In traditionellen Unternehmen gelten sie allzu häufig als «Unruhestifter», weil sie Bestehendes infrage stellen. Viele ideenreiche Querdenker schaffen es allerdings gar nicht erst ins Unternehmen: Sie scheitern bereits im Auswahlprozess und an den Recruiting-Richtlinien, die sich mehrheitlich an Standard-Lebensläufen orientieren. Ohne Querdenker gefährden Unternehmen jedoch ihr Überleben, so der Grundtenor der befragten Referenten des ZfU-Querdenkerforums 2018 (siehe Statements weiter unten).

Gemäss IBM-ThinkLab-Innovationsexpertin Karin Vey zwingt die fortschreitende Digitalisierung Unternehmen, sich permanent zu verändern, anzupassen und neu zu erfinden. Führungskräfe sollten deshalb nicht nur Querdenkende im Unternehmen zulassen, sondern mit Vorteil diesen Geist auch selbst kultivieren und entsprechend an der eigenen Persönlichkeit feilen. Die künstliche Intelligenz fordere Unternehmen heraus, menschliche Kernkompetenzen wie soziale Intelligenz, kritisches Denken, Intuition oder die Kunst des Fragens auf ein höheres Niveau zu heben, um «eine Partnerschaft zwischen Mensch und Maschine herzustellen». Wer den Fortbestand des Unternehmens sichern wolle, tue deshalb gut daran, Andersdenkende im Betrieb einzubinden. Auch wenn das auf den ersten Blick mühsam sei.

Firmen, die es mit dem Diversitätsgedanken ernst meinten, sollten in einem ersten Schritt überprüfen, welchen Eindruck sie mit ihrem Employer Branding erwecken würden, fordert Unternehmensberater Mario Herger. Wimmle eine Bewerberwebsite etwa von Checkboxen, Auswahlfeldern, Schachteln, Boxen und Schubladen, «haben Firmen bereits alles getan, um Querdenker abzuschrecken».

Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel der IBM, wo für querdenkende Spezialisten besondere Karrierepfade geschaffen wurden. So bestehe der Höhepunkt einer Fachkarriere bei IBM in einem sogenannten «Fellowship», erklärt Karin Vey. «Haben Mitarbeitende diesen Status erreicht, bestimmen sie ihren Arbeitsinhalt selbst, solange sie dem Top-Management in regelmässigen Zeitabständen plausibel machen, welchen Wert die initiierten Projekte für das Unternehmen haben.»

«Ich bin kein grosser Fan des Begriffs ‹Querdenker›, weil er nur einen Aspekt einer Person darstellt, die innovativ und unternehmerisch tätig ist.»

Mario Herger, Trendforscher Silicon Valley Enterprise Garage Consultancy

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«Querdenker sind das Immunsystem eines Unternehmens. Wie bei Impfungen rufen Querdenker Abwehrkräfte hervor, die das Unternehmen aber letztlich auf die Zukunft vorbereiten.

Querdenken alleine hilft aber nicht. Querdenker müssen auch handeln und die Fähigkeit besitzen, sich an einigen Stellen zu arrangieren und an anderen ihre Vision durchzusetzen. Ohne Unterstützung der anderen wird es ein Querdenker nicht schaffen. Insofern bin ich kein grosser Fan des Begriffs ‹Querdenker›, weil er nur einen Aspekt einer Person darstellt, die innovativ und unternehmerisch tätig ist. Ich verwende meist den Begriff ‹Intrapreneur›. Kurzfristig bereiten sie dem Unternehmen Schmerzen und Mehrarbeit ohne Aussicht auf rasche Gewinne. Auf lange Sicht ermöglichen sie hingegen dessen Überleben.

Es scheitert allerdings oft nicht erst bei der Integration von Querdenkern, sondern bereits bei deren Anstellung. HR ist gar nicht darauf ausgerichtet, Querdenker ins Unternehmen zu holen oder zu behalten. Recruiting-Prozesse sind auf Effizienz ausgerichtet, um möglichst schnell Personen mit vorgegebenen Qualifikationen zu finden, einzustellen und produktiv zu machen. Querdenker haben jedoch oft ungewöhnliche Lebensläufe, lassen sich nicht einfach kategorisieren und werden vom HR deshalb bereits im Vorfeld aussortiert.
Schauen Sie sich als Personaler Ihre Website an: Quillt sie über von Checkboxen, Auswahlfeldern mit Kategorien und sonstigen Schachteln und Schubladen? Dann haben Sie alles getan, um Querdenker abzuschrecken.

Am Querdenkertag konzentriere ich mich darauf, aufzuzeigen, wie das Verhalten der Menschen im Silicon Valley diese Region zur Innovationshauptstadt der Welt macht.»

«Querdenker sind unbequem, Meister des kritischen Denkens und stellen Fragen, für die man bereits eine Antwort gefunden zu haben glaubt.»

Karin Vey, Executive Innovation Consultant, IBM ThinkLab

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«Ein Querdenker ist jemand, der Limitationen bewusst überschreitet und Wissen aus verschiedenen Bereichen und Disziplinen neu verknüpft. Querdenkern geht es darum, den Status quo zu hinterfragen, Irritationen zu verursachen, Spannungen auszuhalten, sich mit bestehenden Antworten nicht zufrieden zu geben und diese als Anlass für neue Fragen zu nehmen. Sie sind spiel- und experimentierfreudig, wenn es um das Auskundschaften unbekannter Gebiete geht, und haben den Mut, auch ‹ver-rückt› erscheinende Einfälle ernst zu nehmen.

Querdenker können die Innovationskraft einer Organisation steigern, indem sie nach tie­fergehenden Verbindungen und Mustern suchen. Sie widersetzen sich dem kulturellen Diktat, ‹dass man hier etwas eben so macht›. Sie sind unbequem, Meister des kritischen Denkens und stellen Fragen, für die man bereits eine Antwort gefunden zu haben glaubt.

Ist die Organisation gewillt, sich auf sie einzulassen, ermöglicht das eine organisatorische Selbstreflexion und eine schöpferische Aktivität. Zu viele Querdenker können allerdings verhindern, dass Ideen und Erkenntnisse gründlich analysiert und sorgfältig implementiert werden. Zudem besteht die Gefahr, dass Querdenken zur Attitüde wird und Querdenker ihre Vorschläge zunehmend radikaler gestalten, um ihrem Ruf gerecht zu werden. Manchmal laufen sie auch Gefahr, sich von der Kernidentität und den Werten des Unternehmens zu entfernen. Ein weiteres Risiko ist, dass sich die Dominanz mancher Querdenker negativ auf die Kreativität anderer Teammitglieder auswirkt.

In meinem Vortrag werde ich die These ausleuchten, dass künstliche Intelligenz als Impuls für die Entfaltung von Mensch und Organisation wirken kann.»n

«Firmenkulturen werden der Effizienz wegen um den Status quo herum angeordnet. In solchen Unternehmen werden Querdenker von der Skalier-Effizienz-Maschine unterdrückt.»

Martin Wezowski, Chief Designer und Futurist, Innovation Office SAP

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«Querdenker stellen Fragen, überraschen, sind auf einer Entdeckungsreise und machen immer wieder zufällige und unerwartete Funde. Es ist fast schon komisch, sich die Frage stellen zu müssen, was sie bewirken, obwohl diese Frage unglücklicherweise sehr notwendig ist.

Querdenker verhelfen Ideen zum Durchbruch. Diese wiederum sichern den Unternehmenserfolg. Querdenken trägt somit zum Überleben eines Unternehmens bei und ist ein Katalysator für neue Kulturen, neugierige und ehrgeizige Individuen, die sich zu Querdenker-Teams hingezogen fühlen. Das Denken der dritten industriellen Revolution.

Kennzahlen wie skalierbare Effizienz, wiederholbare und vorhersehbare Resultate sind kennzeichnend für traditionelle Organisationen. Incentives und Firmenkulturen werden der Effizienz wegen um den Status quo herum angeordnet. Das ist das komplette Gegenteil von Innovation. In solchen Unternehmen stellen Querdenker einen Unsicherheitsfaktor dar und werden von der Skalier-Effizienz-Maschine unterdrückt. Diversität im Denken ist aber eine Erfolgsvoraussetzung, denn künftige Innovationen werden immer komplexere Probleme vereinfachen müssen. Damit dies gelingt, brauchen Unternehmen auseinandergehende und diverse Denkweisen, denn um eine gute Idee zu generieren, muss man viele unterschiedliche haben. Divers aufgestellte Kulturen ziehen zudem unterschiedliche Menschen an. Das Gegenteil davon ist ‹more of the same›, der Tod der Innovation, des Fortschritts sowie des Spasses an der Arbeit.

An der Tagung spreche ich über die Mechanismen unerwarteter und rascher Veränderungen, über Zukunftsvisionen sowie die Kulturen und Skills, die es braucht, um diese Visionen wahr werden zu lassen.»

21. ZfU-Querdenkerforum

Das Querdenkerforum setzt einen Fokus auf das Thema Mensch, Maschinen und Perspektiven für die Arbeitswelt von morgen und wendet sich an Führungskräfte, Unternehmer, VR- und GL-Mitglieder, die über den Tellerrand blicken möchten.

Kreativität wird neben technologischer Innovation zur Hauptantriebskraft gesellschaftlicher Entwicklung. Das einzelne Genie ist dabei weniger gefragt als das Miteinander kreativer Köpfe aus unterschiedlichsten Sparten. Querdenker, Grenzgänger und Brückenbauer sind insofern für eine erfolgreiche Zukunft unerlässlich. Deshalb widmet sich das Querdenkerforum mit inspirierenden Referenten und Workshops der folgenden Frage: Woher kommen neue Ideen, Inspirationen und die Fähigkeit, Neues zu schaffen?

  • Wann: 24. Januar 2018
  • Wo: Mövenpick-Hotel Regensdorf
  • Preis: CHF 980.–
  • Spezialpreis mit HR Today-Abo: CHF 880.–
  • Kontakt: manuela.palla@zfu.ch

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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