HR Today Nr. 9/2017: Start-ups

Überflieger und Rohrkrepierer

International schiessen HR-Start-ups wie Pilze aus dem Boden. Die Schweizer HR-Start-up-Szene präsentiert sich derweil noch sehr überschaubar. Eine Markteinschätzung.

Es gibt ausreichend gute Gründe, ein Unternehmen im HR-Bereich zu gründen, denn die Arbeitswelt wird sich in den nächsten Jahren erheblich verändern. Nicht zuletzt die Frage, ob es überhaupt ein HR braucht, bringt potenzielle Unternehmer darauf, sich im HR-Bereich zu betätigen.

Noch ist das HR in vielen Unternehmen hauptsächlich administrativ tätig: Neue Technologien, insbesondere die künstliche Intelligenz sowie die Automatisierung, werden die Wertschöpfung der HR-Abteilung jedoch grundlegend umkrempeln. Die Symbiose von Mensch und Maschine bringt grosse Herausforderungen für die HR-Arbeit mit sich.

Erfolgsfaktoren in einem konservativen Markt

Nur in wenigen Marktnischen sind die Markteintrittsbarrieren für Newcomer so tief wie im Personaldienstleistungsbereich. Oft genügen eine Visitenkarte, eine Website und eine Telefonnummer, um als Einzelunternehmer Umsatz zu erzielen. Die über 4000 beim Seco registrierten Personalvermittlungs- und -verleihbetriebe sprechen eine deutliche Sprache.

Diese vermeintlich einfach zu erntenden HR-Früchte hängen aber oft höher am Baum und lassen sich nicht auf die Schnelle pflücken. Im Gegenteil: HR-Budgets werden eher verkleinert und zudem oft von Entscheidern verabschiedet, die mit operativem HR herzlich wenig zu tun haben. HR-Mitarbeitende stehen Innovationen zudem häufig kritisch bis ablehnend gegenüber.

International schiessen HR-Start-ups wie Pilze aus dem Boden, während die Schweizer HR-Start-up-Szene noch sehr überschaubar ist und sich in zwei Bereiche unterteilen lässt: HR-Tech-Start-ups und HR-Service-Start-ups. Ob sich diese wie die Vorzeigeunternehmen Beekeeper, Haufe-Umantis, Jobchannel, Prospective oder Yousty erfolgreich auf dem Markt behaupten können, ist abhängig von der Höhe ihrer Kapitalisierung, ihres finanziellen Erfolgs, der Anzahl Kunden oder Partner, dem strategischen Eigentümer oder dem Aktionariat, ihrem Bekanntheitsgrad sowie ihrem Image. Je länger ein Unternehmen auf dem HR-Markt tätig ist, desto wahrscheinlicher ist seine künftige Erfolgsgeschichte.

Damit HR-Start-ups im heutigen Umfeld bestehen können, benötigen sie Dienstleistungen oder Produkte, die HR-Kunden-Prozesse möglichst wenig verändern, einen spürbaren Leidensdruck beheben und den Einkaufsverantwortlichen auf Anhieb überzeugen. Zudem sollte der Kunde das Produkt oder die Dienstleistung ausprobieren können. Verringert das Produkt oder die Dienstleistung zudem den Personalaufwand und werden heikle Themen wie der Datenschutz nicht tangiert, sind das weitere Pluspunkte.

Dass disruptive Geschäftsmodelle bei diesen Bedingungen nicht auf idealen Nährboden stossen, zeigen viele HR-Start-ups wie Recomy, Talentoo oder Hirschfactor, die an der mangelnden Bereitschaft ihrer Kunden für Neues scheiterten. Nur dieser Wandlungsunwille erklärt auch, weshalb im HR immer noch vieles so funktioniert wie vor zwanzig Jahren.

Big Data-Geschäftsmodelle als Abräumer

Selbst ohne Fähigkeit, in der Glaskugel zu lesen, lässt sich vorhersehen, welche Unternehmen oder welche Geschäftsmodelle das HR-Rennen machen: Es sind jene, welche die im Unternehmen vorhandenen Daten auswerten und die zukünftig benötigten Skills im Unternehmen aufzeigen.

Auf der Basis von Big Data und intelligenten Algorithmen erhalten People-Analytics-Kunden ein verblüffend schnelles und akkurates Bild von den aktuell vorhandenen Skills sowie jenen, welche die Unternehmensstrategie erfordert. Die sogenannten wissensbasierten Expertensysteme bilden damit das ab, was an Daten und an Expertenwissen im Unternehmen zur Verfügung steht. Aus dieser Sicht lässt sich auch das enorme Potenzial am Beispiel von Yousty skizzieren. Als Matchmaker-Plattform zwischen Berufseinsteigenden und Lehrstellenanbietern ist nicht die Technologie der Erfolgsfaktor, sondern die Menge an Daten, die auf beiden Seiten generiert wird und mittelfristig von den Unternehmen genutzt werden kann. Wenn Yousty weiss, dass ein junger Mensch im Sommer 2017 eine dreijährige Lehre als Fachperson Gesundheit im Heim XY angefangen hat, dann weiss Yousty auch, wann er in den Jobmarkt eintreten wird.

Kapitalgeber investieren heute in Daten und darin, wie man diese nutzt. Start-ups, die in der Lage sind, mittels wissensbasierte Expertensys­teme «intelligente» Algorithmen über Big Data zu stülpen, gehören auch im HR-Umfeld zu deren Favoriten. Diese neuen Systeme bilden die Problemlösungsfähigkeit menschlicher Expertise nach und ermöglichen erhebliche Einsparungen beim Personal.

Beispiele hierfür sind:

  • Interpretationssysteme: Wenn das HR wüsste, was es weiss! Rund um das HR existieren Unmengen von Daten, die heute weder analysiert noch interpretiert werden.
  • Prognosesysteme: Stellen Sie sich das Business-potenzial vor, wenn die Maschine mit einer hohen Wahrscheinlichkeit vorgibt, dass Person A für die offene Stelle im Unternehmen X prädes­tiniert ist! Falls Sie jetzt den Kopf schütteln, leiden Sie an einer Algorithmus-Aversion und sollten das Kapitel «Wieso wissen Sie, dass meine Tochter schwanger ist?» aus dem Buch «Das Ende des Zufalls» von Rudi Klausnitzer lesen.
  • Matchingsysteme: Etwa eine «New Work Platform», auf der ein Algorithmus arbeitnehmende Menschen in der Schweiz an Unternehmen für Jobs, Gigs, Aufträge sowie Mandate auf hohem Niveau vermittelt.

Zurückhaltende Investoren

Das Investitionsvolumen in Schweizer HR-Start-ups ist mit geschätzten 120 Millionen Franken im internationalen Vergleich der letzten Jahre bescheiden. Nur wenige Unternehmen erhalten in einer frühen Gründungsphase bereits grössere Summen: etwa Staff Finder mit zweiundzwanzig Millionen, Beekeeper mit acht Millionen oder Hosco  mit sieben Millionen Franken. Bisher ist nicht absehbar, dass sich in der Schweiz Kapitalgeber finden, die ähnliche Summen im HR-Bereich wie im FinTech oder im HealthTech inves­tieren. Möglicherweise wird das Eindringen von Google in den Arbeitsmarkt vieles verändern. Spätestens dann, wenn die ersten Unternehmen beweisen, dass unser Leben mit Big Data vorhersehbar wird, wird HR-Tech jedoch zu einem Eldorado für Investoren.

Angesichts der Tatsache, dass im Schweizer HR-Tech- oder HR-Service-Markt zwei bis drei Milliarden Schweizer Franken umgesetzt werden können, ist die Zurückhaltung der Investoren nur schwer nachvollziehbar. Bereits heute zahlen Firmen in der Schweiz jährlich 200 Millionen Franken für Jobbörsen-Inserate, Suchmaschineneinträge, Werbung in den Social Media und für Printmedien. Dies beinhaltet viel Potenzial für Start-ups, zumal Technologien solche HR-Prozesse weiter vereinfachen werden.

Um HR-Tech voranzubringen, braucht es mehr «Ko-Kreation». So könnten HR-Fachleute zusammen mit HR-Start-ups zukunftsweisende Produkte und Dienstleistungen kreieren, in dem Erstere erklären, wo der HR-Schuh drückt, bei der Produktentwicklung mithelfen, Testkunde werden und sich mit Aktien beteiligen,  während HR-Start-ups von einem oder mehreren strategischen Partnern profitieren. Dabei würde Erstaunliches herauskommen.

Schweizer HR-Start-up-Szene

Eine subjektive Markteinschätzung in alphabetischer Reihenfolge und ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

HR-Start-ups, die gekommen sind, um zu bleiben:

  • Beekeeper (seit 2012)
  • Buddybroker bzw. Eqipia (seit 2012 bzw. 2013; zuerst fusioniert, dann erfolgreich an Xing verkauft)
  • Jobchannel (seit 2013)
  • Jobcloud bzw. Jobs.ch (seit 1996)
  • Prospective (seit 2000)
  • Swisspayroll (seit 2007)
  • Umantis bzw. Haufe-Umantis (seit 2000)
  • x28 (seit 2008)
  • Yousty (seit 2013)

HR-Start-ups, die sich noch beweisen müssen:

  • Adia (seit 2016)
  • CVCube (seit 2015)
  • Coople bzw. Stafffinder (seit 2010)
  • DoD!fferent (seit 2011)
  • Gigme (seit 2015)
  • Hosco (seit 2011)
  • Jacando (seit 2012)
  • Joineer (seit 2016)
  • Metapage (seit 2010)
  • Matchix (seit 2015)
  • People-Analytix (in Gründung)
  • Silp (seit 2011)
  • Solique (seit 2012)
  • Softfactors (seit 2015)
  • Spotcoaching (seit 2014)
  • Swibeco (seit 2015)
  • SwissQualiQuest (seit 2015)
  • Talendo (seit 2014)
  • Weact (seit 2014)
  • Yooture (seit 2013)

HR-Start-ups, die wieder gegangen sind:

  • Hirschfactor (2010–2016)
  • Recomy (2011–2015)
  • Talentoo (2012–2014)

 

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Cornel Müller

Cornel Müller ist Gründer und VR-­Mitglied der Future of Work Group AG und seit über 30 Jahren als Unternehmer im WorkTech-Umfeld aktiv.

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