Arbeit und Recht

Verweigerung der vertrauensärztlichen 
Untersuchung mit Folgen

Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 
30. Januar 2012 (1B 11 56)

Das Urteil

Der Kläger war bei der Beklagten seit Anfang 2008 angestellt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis rund ein Jahr später. Während der dreimonatigen Kündigungsfrist war der Kläger angeblich krank. Wie von der Beklagten verlangt, unterzog er sich einer vertrauensärztlichen Untersuchung bei Dr. X, entband diesen aber in der Folge nicht von der ärztlichen Schweigepflicht. Die weiteren von der Beklagten vorgeschlagenen Vertrauensärzte hat der Kläger trotz wiederholter Aufforderung nicht aufgesucht. Dafür brachte er ein Arztzeugnis eines Dr. Y, Arzt an einem marokkanischen Spital, bei, das allerdings den Richtlinien des Spitals in eklatanter Weise nicht entsprach.

Die Beklagte beharrte weiterhin auf einer vertrauensärztlichen Untersuchung der von ihr vorgeschlagenen Ärzte in Marokko und der Schweiz beziehungsweise der Entbindung vom Arztgeheimnis von Dr. X. Der Kläger brachte später noch ein Attest seines Hausarztes Dr. W bei, das ihm für mehrere Wochen rückwirkend eine Arbeitsunfähigkeit testierte, sowie ein Schreiben von Dr. V, in dem dieser festhielt, dass beim Kläger eine reaktiv bedingte psychische Dekompensation mit depressiver Symptomatik und Ängsten und psychosomatischen Beschwerden infolge eines beruflichen Konflikts vorliege.

Im anschliessenden Gerichtsverfahren stellte sich primär die Frage, ob die Beklagte eine vertrauensärztliche Untersuchung verlangen durfte, obschon im Arbeitsvertrag keine entsprechende Vereinbarung getroffen worden ist. Das Bundesgericht hat diese Frage bislang offengelassen. Nach herrschender Lehre kann diese Pflicht jedoch aus der Treuepflicht des Arbeitnehmers abgeleitet werden. Das Obergericht entschied hier im Einklang mit der Rechtslehre, dass die Beklagte mit Recht eine vertrauensärztliche Untersuchung verlangen durfte, zumal in diesem Fall objektive Anhaltspunkte für eine Infragestellung der vom Kläger beigebrachten Arztzeugnisse vorlagen. Durch die Nichtentbindung von Dr. X vom Arztgeheimnis und die Weigerung, 
einen der übrigen von der Beklagten bezeichneten Vertrauensärzte aufzusuchen, erweckte der Kläger begründete Zweifel an seiner Arbeitsunfähigkeit.

Ausserdem stützten sich die Atteste von Dr. W und Dr. V offenbar hauptsächlich auf die Aussagen des Klägers. Das Obergericht hielt fest, dass der Kläger seine Arbeitsunfähigkeit im vorliegenden Fall nicht rechtsgenügend dargelegt hat, sondern im Gegenteil die Beweise verteilt hat und die Folgen der daraus resultierenden Beweislosigkeit zu tragen hat. Die Beklagte hat zu Recht die Lohnfortzahlung eingestellt.

Konsequenz für die Praxis

Vor allem im Zusammenhang mit der Zunahme der arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit werden auch Arztzeugnisse immer kritischer hinterfragt. Im Idealfall bedingt sich die Arbeitgeberin das Recht auf eine vertrauensärztliche Untersuchung im Arbeitsvertrag aus. Aber auch wenn dies nicht der Fall ist, muss ein Arztzeugnis nicht in jedem Fall akzeptiert werden. Wenn berechtigte Zweifel bestehen, darf die Arbeitgeberin auf der Untersuchung durch einen Vertrauensarzt beharren.

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Yvonne Dharshing-Elser arbeitet als Anwältin in der Steuer- und Rechtsabteilung der OBT AG in Zürich. Sie berät vorwiegend KMU in Fragen des Arbeits-, Vertrags- und Gesellschaftsrechts.

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