Checkliste

Vom Mittelständler zum Global Player

Viele Mittelständler haben sich in den zurückliegenden Jahren von Klein- und Mittelunternehmen zu High-Tech-Unternehmen und Global Playern entwickelt. Doch leider hinkt ihre Personal- und Organisationsentwicklung oft der Entwicklung des Gesamtunternehmens hinterher.

Inhabergeführte Unternehmen und Familienunternehmen gibt es in der Schweiz sehr viele. Sie werden oft als das Rückgrat der Wirtschaft bezeichnet – aufgrund ihrer Zahl und aufgrund folgender Stärken, die für KMU typisch sind:

  • Sie sind kundenorientiert. Als Nischenproduzenten/-anbieter sind sie es gewohnt, individuelle Kundenwünsche zu erfüllen und Service zu erbringen.
  • Sie arbeiten «ganzheitlich» und ergebnisorientiert. Sie waren nie vollständig «taylorisiert». Die Arbeitsteilung und Trennung von Hand- und Kopfarbeit waren in ihnen nie extrem ausgeprägt.
  • Sie sind dynamisch. Sie sind es gewohnt, schnell und flexibel auf neue Anforderungen zu reagieren.

In den zurückliegenden 20 Jahren hat sich das Profil vieler mittelständischer Betriebe stark gewandelt. Sie haben sich von handwerklich geprägten (Produktions-)Unternehmen zu weltweit tätigen High-Tech-Unternehmen entwickelt. Entsprechend stiegen die Qualifikationsanforderungen an ihre Mitarbeitenden, und entsprechend wuchs ihre Mitarbeiterzahl – nicht selten weltweit. Mit dieser Entwicklung hielt ihre Personal- und Organisationsentwicklung nicht Schritt – mit der Folge, dass viele Mittelständler, die sich in den vergangenen ein, zwei Jahrzehnten zu einem Champion in ihrer Branche und einem Global Player entwickelt haben, mit folgenden Probleme kämpfen:

  • Es fällt ihnen schwer, die Mitarbeiter mit der benötigten Qualifikation zu finden und an sich zu binden – insbesondere dann, wenn sich ihr Standort eher im ländlichen Raum befindet, der vor allem für junge Arbeitnehmer eine geringere Anziehungskraft als die städtischen Metropolen hat.
  • Es fällt ihnen schwer, die Qualifikation ihrer Mitarbeiter und ihre Organisationsstruktur so zu entwickeln, dass sie der wirtschaftlichen Entwicklung des Gesamtunternehmens entspricht.

Eine zentrale Ursache hierfür ist: Obwohl sie inzwischen faktisch Grossunternehmen mit 500, 1000 oder gar mehr Mitarbeitern sind, kämpfen sie oft noch mit Problemen, die für Klein- und Mittelunternehmen typisch sind:

  • In ihnen fehlt eine systematische Organisation.
  • Sie haben wenig Kompetenz in den Bereichen Organisations- und Personalentwicklung.
  • Ihre Entwicklungsplanung erfolgt meist kurzfristig, und wenn eine längerfristige Planung existiert, gerät sie im «daily business» oft in Vergessenheit.

Stärkere strategische Denke im Personalbereich

Weil die Entwicklungsplanung weitgehend ad hoc erfolgt, haben viele Mittelständler, die in den letzten ein, zwei Jahrzehnten stark wuchsen, Defizite in fast allen Bereichen, die mit einer systematischen Personal- und Organisationsentwicklung zusammenhängen. Eine Ursache hierfür ist oft: Ihre Personalfunktion wuchsen nicht so wie das Gesamtunternehmen. Deshalb haben die wenigen Personal- und Organisationsentwicklungsexperten in der Organisation, sofern sie überhaupt existieren, ein sehr breites Aufgabenfeld. Darum haben sie kaum Zeit für ein konzeptionelles, strategisches Arbeiten. Die Bedeutung einer strategischen Personalarbeit und -entwicklung wird zwar oft betont, doch faktisch sind sie im Alltag primär mit «Trouble Shooting» beschäftigt – also mit dem Reagieren auf akute Betriebsprobleme. Und dabei kämpfen sie vielfach noch mit dem Problem: Den Top-Entscheidern im Unternehmen fehlt das Bewusstsein, dass hinter den meisten Betriebsproblemen – wie zum Beispiel mangelnde Qualität – ein Manko im Bereich Personal- oder Organisationsentwicklung steckt. Entsprechend viel Überzeugungsarbeit müssen sie leisten.

Ein Umdenken im Personalbereich findet statt

Doch diese Situation ändert sich allmählich. Zunehmend findet bei den Entscheidern in den mittelständischen Unternehmen ein Umdenken statt – unter anderem weil sie registrieren: Die Struktur unserer Mitarbeiter hat sich gewandelt. Unsere Belegschaft ist heute viel heterogener als oft noch zur Jahrtausendwende. Zudem haben unsere Mitarbeiter häufiger einen akademischen Abschluss – zum Beispiel als Ingenieur oder Betriebswirt. Und diese Mitarbeiter stellen ausser an ihren Arbeitgeber auch an ihre Arbeit sowie ihre Führung andere Anforderungen als die Mitarbeiter in der Vergangenheit.

Gerade die mittelständischen Unternehmen spüren zudem immer stärker die Folgen des demografischen Wandels. Es fällt ihnen zunehmend schwer, hochqualifizierte und -motivierte Mitarbeiter zu finden und an sich zu binden. Auch deshalb stellen zurzeit viele Mittelständler ihre Personalführungs- und -entwicklungskonzepte auf den Prüfstand. Dabei lautet die zentrale Frage: Wie können wir unsere Personalarbeit sowie Unternehmens- und Führungskultur so modernisieren, dass sie einerseits den (Arbeits-)Marktanforderungen entspricht und wir andererseits nicht die Stärken eines mittelständischen Unternehmens verlieren? Ein Irrweg wäre es, unreflektiert die Personalentwicklungs- und Führungskonzepte der Konzerne – in abgespeckter Form – auf die mittelständischen Unternehmen zu übertragen. Dies entspräche nicht ihrem Bedarf. Zudem ginge hierdurch ihre Identität verloren. Also muss der Mittelstand eigene, passgenaue Lösungen entwickeln.

Den Prozess Veränderung angehen

Diese Lösungen zu entwickeln und im Betriebsalltag zu realisieren, erfordert Zeit. In der Regel bildet der Startschuss ein Change-Projekt, das sich in folgenden Schritten vollzieht

Schritt 1: Die Ist-Situation erfassen

Zu Beginn der Veränderungsinitiative wird in einer Art Check-Up die aktuelle Situation erhoben – also zum Beispiel ermittelt:

  • Wie haben sich unsere Personalanforderungen – aufgrund der veränderten Marktanforderungen, unseres Wachstums usw. – verändert?
  • Wie hat sich unsere Mitarbeiterstruktur verändert, und inwieweit haben sich hierdurch auch die Erwartungen, Wünsche, Bedürfnisse usw. der Mitarbeiter gewandelt?
  • Welche Tools, Verfahren setzen wir aktuell unter anderem zur Personalsuche, -auswahl und -entwicklung ein? Sind sie noch angemessen?
  • Wie führen und kommunizieren wir heute in unserem Unternehmen, wie sollten wir künftig führen und kommunizieren?
  • Wie arbeiten wir heute zusammen, wie müssen wir künftig voraussichtlich zusammenarbeiten, um für den Markt gerüstet zu sein?

Das Ziel hierbei: Ein Erfassen der aktuellen Situation und des Changebedarfs in der Organisation.

Schritt 2: Ein Zielbild entwerfen

Nach dieser Erhebung gilt es mit den relevanten Stakeholdern ein Zielbild zu erarbeiten, das beispielsweise folgende Dimensionen umfasst:

  • Wohin wollen wir uns entwickeln?
  • Wie soll unser Unternehmen in fünf oder zehn Jahren «ticken» – also welche Kultur soll in ihm existieren?
  • Über welche Kompetenzen verfügt unsere Organisation dann? Was sind ihre Stärken?
  • Wie sorgen wir dann dafür, dass wir über die benötigten Mitarbeiter mit den erforderlichen Eigenschaften sowie Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügen?

Schritt 3: Einen Projekt- und Massnahmenplan erstellen

Aus dem Zielbild und der Analyse der Ist-Situation können konkrete (Teil-)Projekte und hieraus wiederum Massnahmenpläne abgeleitet werden. Dabei gilt es jedoch zu beachten:

  • Der Aufbau einer strategischen Personalarbeit und Personalentwicklung sowie der damit verbundene Kulturwandel ist ein längerfristiger Prozess.
  • Die Change-Kapazitäten jedes Unternehmens sind begrenzt. Schliesslich gilt es neben den Entwicklungsarbeiten noch das Alltagsgeschäft zu erledigen.

Entsprechend wichtig ist eine Priorisierung der Teilprojekte und eine präzise Klärung der Rollen und Verantwortlichkeiten, um nicht der Gefahr zu erliegen, in unkontrollierten Aktionismus zu verfallen und die Organisation zu überfordern.

Schritt 4: Die Veränderungen erfassen und controllen

Kulturelle Veränderungen vollziehen sich langsam. Deshalb ist es wichtig, die (partiellen) Veränderungen systematisch zu erfassen und zu kommunizieren – damit nicht das Gefühl von Bewegungslosigkeit entsteht und die Veränderungsenergie erlahmt. Dieses systematische Erfassen ist auch nötig, um zu kontrollieren: Sind wir (noch) auf dem richtigen Weg oder sind Kurskorrekturen oder ergänzende Massnahmen nötig?

Schritt 5: Teilergebnisse sichern

Ein Kulturwandel erfordert das Ausgeben gewohnter Denk- und Verhaltensmuster. Das fällt allen Menschen schwer. Entsprechend schnell verfallen sie oft wieder in ihre alten Gewohnheiten. Deshalb ist es wichtig, sich zu überlegen: Wie – mit welchen Tools, Instrumenten, Verfahren – stellen wir sicher, dass die erzielten Ergebnisse keine «Eintagsfliegen», sondern nachhaltig sind?

Schritt 6: Mit der Veränderung fortfahren

Die (Teil-)Erfolge sollten nicht nur kommuniziert, sondern gegebenenfalls auch mit den Betroffenen und Beteiligten gefeiert werden – damit neue Veränderungsenergie entsteht. Danach können weitere Teilprojekte gestartet werden, die entweder in der Prioritätenliste nicht oben standen oder auf den abgeschlossenen Teilprojekten aufbauen.

Die Führungsmannschaft ins Boot holen

Ein entscheidender, wenn nicht gar der entscheidende Erfolgsfaktor bei einem solchen Change-Projekt ist es oft, dass sich im Projektverlauf die Einstellung und das Verhalten der Führungskräfte im Unternehmen ändern. Für sie gilt bei Mittelständlern häufig: Sie sind von Haus aus zum Beispiel Techniker oder Ingenieure und in diesem Bereich liegt auch ihre Leidenschaft. Entsprechend ungern befassen sie sich jedoch mit Themen wie Personal- und Organisationsentwicklung. Und eine entsprechend geringe Bedeutung messen sie der Führungsarbeit bei.

Zudem fällt es den Top-Entscheidern in Familienunternehmen oft schwer, zumindest Teile der Personal- und Führungsarbeit völlig loszulassen und zu delegieren – auch weil sie sich sehr stark mit ihrem Unternehmen identifizieren. Deshalb regieren sie im Betriebsalltag häufig nicht nur in die Kompetenzbereiche ihrer Personalfachleute, sondern auch ihrer Führungskräfte hinein, und signalisieren ihnen so (unbewusst): Letztendlich habe ich hier stets das Sagen. Das frustriert gerade junge, hochmotivierte und -engagierte sowie top-qualifizierte Mitarbeiter sehr – weshalb sie häufig nach zwei, drei Jahren den Arbeitgeber wechseln.

Entsprechend wichtig ist es bei solchen Projekten gerade in mittelständischen Unternehmen sicherzustellen, dass die Entscheider mit im Boot sitzen – und nicht, meist unbewusst, das Gesamtprojekt torpedieren. Entsprechend wichtig ist es zudem, dass sie regelmässig ein Feedback über ihr (Führungs-)Verhalten und dessen (unbeabsichtigte) Wirkungen erhalten – und zwar von einer unabhängigen, neutralen Person, deren Kompetenz sie vertrauen.

 

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Dr. Christoph Kuth arbeitet als Senior Consultant für das Machwürth Team International, Visselhövede. Vor seiner Beratertätigkeit war er für mehr als 20 Jahre in verschiedenen Branchen und Unternehmen als Führungskraft für die Personal- & Organisationsentwicklung.sowie für das Inhouse Consulting verantwortlich. www.mticonsultancy.com

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