20 Jahre HR Today

«Manchmal vergessen Chefs ihre Mitarbeitenden»

Ohne Wertschätzung gebe es keine Konfliktbewältigung, sagte Hamid Peseschkian 2005 in einem Interview mit HR Today. Wir haben ihn um ein Update gebeten und wollten wissen, wie Teams mit schwierigen Kollegen umgehen sollen.

Chefs würden ihren Mitarbeitenden gegenüber zu wenig Wertschätzung zeigen, sagten Sie im 2005 in einem Interview mit HR Today. Wie hat sich dies seither entwickelt?

Ich denke, ja. Auch wenn natürlich jede Firma einzigartig ist, sind Themen wie Homeoffice, Work-Life-Balance, Elternzeit, Frauenförderung oder Lohngerechtigkeit viel präsenter und akzeptierter als noch vor zehn Jahren. Mitarbeitende sind selbstbewusster und gleichzeitig in vielen Branchen auch eine Mangelware geworden.

Wie wirkt sich das auf die Unternehmen aus?

Ich denke, dass Mitarbeitende heute mehr Forderungen stellen. Insbesondere die Generation Y hat eine zum Teil völlig andere Einstellung zur Arbeit. Von «leben, um zu arbeiten», über «arbeiten, um zu leben», sind wir heute bei «leben auf der Arbeit» angekommen. Da wird Wertschätzung einfach vorausgesetzt.

2005 sahen Sie die Ursache dafür, dass Chefs ihren Leuten nicht genug Wertschätzung zeigten, auch darin, dass diese selbst unter Druck stünden ...

Der Druck ist immer noch da und durch die voranschreitende Digitalisierung wohl noch grösser geworden. Trotzdem ist dies keine Entschuldigung, seinen Mitarbeitenden keine angemessene Wertschätzung zu zeigen. Manchmal vergessen Chefs ihre Mitarbeitenden, aber sie sollten sich dann schnell vor Augen führen, dass beide einander benötigen.

Wie wichtig ist eigentlich die Wertschätzung der Mitarbeitenden für die Chefs?

Da Chefs auch Menschen sind, benötigen sie auch Wertschätzung.

Wie viel bekommen sie davon?

Hier bin ich nicht so optimistisch. Es fehlt ein Verständnis für das Unternehmertum, zumindest in Deutschland. Auch wird oft nicht zwischen angestellten Managern und Unternehmern unterschieden. Das Bild des Managers mit den grosszügigen Boni wird auf Unternehmer übertragen, die jedoch fast immer nachhaltig und langfristig denken. Mitarbeitende unterschätzen häufig die 24/7-Belastung von Unternehmern.

Im Artikel von 2005 ging es auch um Konflikte. Sie sagten, Konflikte entstünden bei mangelnder Selbstreflexion – auch des Chefs.  Was meinten Sie damit?

Selbstreflexion bedeutet unter anderem, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen. Diese Mühe machen sich sehr wenige Menschen – man könnte dabei ja etwas Negatives über sich selbst erfahren. Aber nur durch Selbstreflexion können wir unser eigenes Verhalten korrigieren.

In der Psychotherapie haben wir dieses Thema häufig und viele Patienten und Klienten entscheiden sich, ihr Leben zu verändern, weil sie gelernt haben, sich in ihr Gegenüber hineinzuversetzen und erleben, wie anstrengend sie für ihre Mitmenschen sind.

Serie: 20 Jahre HR Today

HR Today wird 20 Jahre alt. Am 5. Juni 2018 feiern wir unser Jubiläum. Bis dahin blicken wir jede zweite Woche zurück auf den HR-Diskurs der vergangenen 20 Jahre. Dafür haben wir im Archiv gekramt, alte Artikel ausgegraben und uns auf die Suche gemacht nach den damaligen Protagonistinnen und Protagonisten sowie ehemaligen Chefredaktorinnen, um mit ihnen über die Entwicklungen im HR zu sprechen. Zur Übersicht

Apropos anstrengende Mitmenschen: Sie haben zu dieser Thematik zusammen mit Connie Voigt ein Buch geschrieben mit dem Titel «Psychovampire». Können Sie uns Ihren Ansatz kurz erläutern?

Manche Mitmenschen rauben uns jegliche Energie. Manchmal reicht der blosse Gedanke an sie, damit wir uns ausgelaugt und leer fühlen. Das Konzept der Psychovampire soll im Umgang mit solchen Mitmenschen helfen. Und vor allem zeigen, wie man ihre negativen Einflüsse ins positive wendet.

2005 sagten Sie, um einen eingefahrenen Konflikt zu lösen, könne man sich die Wirkung der Gruppendynamik zunutze machen. Was meinen Sie damit?

Wenn sich ein Konflikt nicht direkt zwischen den beiden Konfliktparteien lösen lässt, kann das offene Einbringen ins Team eine neue Dimension in die eingefahrene Situation bringen. Man sagt der betroffenen Person, dass man das Thema ins Team bringen wird, da man keine Lösung im Zweiergespräch findet.

Sich «die Wirkung der Gruppendynamik zunutze» machen – geht das nicht in Richtung Mobbing?

Da der Betroffene an diesen Gesprächen teilnimmt, ist es weder Mobbing noch üble Nachrede. Viel schlimmer ist es, wenn alle Mitarbeitenden im Stillen negativ über jemanden reden. Natürlich werden Betroffene nicht immer begeistert darauf reagieren, wenn man ein Problem im Team anspricht – und die Tatsache, dass eine Lösung nicht möglich war, sagt ja auch etwas aus.

Sie raten einer Gruppe, in einem solchen Gespräch klare Worte zu finden. Zum Beispiel: «Entweder du änderst dein Verhalten oder wir werden ohne dich weiterziehen.» Das ist schon sehr deutlich. 

Meine Arbeit und meine Erfahrungen der letzten Jahre haben mich ermutigt, klarer zu kommunizieren, und Dinge nicht ewig zu ertragen.

In vielen Interviews oder Publikationen von Unternehmern oder Managern kann man immer wieder lesen, dass sie eines bereuen: Personalentscheidungen zu lange hinausgezögert zu haben. Das Gefährliche an einem Energieräuber ist, dass eine Person den Fortschritt einer ganzen Firma, Organisation oder Familie negativ beeinflussen und aufhalten kann.

Man wird nicht beim ersten Konflikt gleich das Thema in die Gruppe bringen und solche deutlichen Worte finden, aber wenn sich trotz Mahnungen und Rückmeldungen nichts ändert, muss man es tun. Das klingt hart, aber manchmal muss man an seine Firma, sich selbst oder seine Familie denken – und nicht einem Einzelnen erlauben, alles zu zerstören.

Zur Person

Dr. med. habil. Hamid Peseschkian ist Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, ärztlicher Direktor des Wiesbadener Psychotherapie-Zentrums und Geschäftsführender Institutsleiter der Wiesbadener Akademie für Psychotherapie. Er ist Präsident des Weltverbandes für Positive und Transkulturelle Psychotherapie. Peseschkian leitet Seminare im In- und Ausland mit den Schwerpunkten Work-Life-Balance, Konfliktmanagement, Stressbewältigung und transkulturelles Management.

 

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