24.06.2016

Briten stimmen für Loslösung von Europäischer Union

Die Briten wollen als erstes Land überhaupt die Europäische Union verlassen. Eine Mehrheit von knapp 52 Prozent der Stimmen sprach sich für den Brexit aus, den Austritt aus der Europäischen Union.

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London (sda/dpa/reu). Die Europäische Gemeinschaft mit bisher 28 Staaten wird damit in die schwerste Krise ihrer Geschichte gestürzt. Die politischen und wirtschaftlichen Folgen für Grossbritannien könnten schwerwiegend sein. Aktien britischer Unternehmen stürzten am Morgen ab, das Pfund Sterling erreichte den tiefsten Stand seit 1985.

Politische Kräfte in Nordirland und in Schottland machten sich noch vor Bekanntwerden des Endergebnisses für eine Abspaltung von Grossbritannien und den Verbleib in der EU stark. Schotten und Nordiren hatten mehrheitlich für den Verbleib in der EU votiert.

Mehr als eine Millionen Stimmen Unterschied

51,9 Prozent stimmten für den Austritt aus der EU. Insgesamt hätten 17,4 Millionen Menschen für den Brexit votiert, teilten die britischen Behörden am Freitagmorgen nach Auszählung sämtlicher 382 Wahlbezirke mit. 16,1 Millionen Menschen und damit 48,1 Prozent der Beteiligten stimmten dagegen für den Verbleib im Staatenbund.

Die Wahlbeteiligung lag bei 72,2 Prozent, zuvor hatten sich 46,5 Millionen Wähler für die Abstimmung registriert. Das Referendumsgesetz legt streng genommen nicht fest, dass Grossbritannien auch wirklich aus der EU austreten muss. In der Praxis jedoch hätte das Parlament wohl keine Wahl.

Cameron dürfte noch am Vormittag vor seinem Amtssitz Downing Street 10 eine Erklärung abgeben. Ein Rücktritt des seit 2010 amtierenden Regierungschefs wird nicht ausgeschlossen. Er hatte das Referendum bereits 2013 vorgeschlagen — vor allem mit dem innenpolitischen Kalkül, EU-Kritiker in den eigenen Reihen ruhigzustellen. Das ging nicht auf.

Rennen bis zuletzt offen

Der Ausgang des Votums hing bis zuletzt am seidenen Faden: Umfragen hatten ganz überwiegend ein Kopf-an-Kopf-Rennen vorausgesagt, zuletzt mit Vorsprung für das "Remain"-Lager. Allerdings gab es erhebliche Unsicherheitsfaktoren: Rund zehn Prozent der Wähler waren bis zuletzt unentschlossen, für welche Seite sie sich entscheiden sollten.

Innerhalb der EU ging nicht zuletzt die Sorge um, dass ein Brexit Austrittsbegehren auch in anderen Ländern der EU fördern könnte. Cameron hatte sich im Wahlkampf stark auf Warnungen vor massiven Einbussen im Falle eines Brexits konzentriert. Er drohte sogar damit, notfalls müssten Rentenkürzungen hingenommen werden.

Das Brexit-Lager bezeichnete solch düsteren Szenarien als Panikmache. Brexit-Wortführer Boris Johnson argumentiert stattdessen, ein Austritt würde Londons Abhängigkeit von Brüssel beenden und dem Land seine Souveränität zurückgeben.

Ukip-Chef Nigel Farage sprach von einem «Unabhängigkeitstag» für Grossbritannien. Ausserdem gebe es innerhalb der Gemeinschaft keine Chance, die Einwanderung aus der EU zu begrenzen. Kritiker warfen Farage und Johnson dagegen vor, das Reizthema Migration zu missbrauchen, um Ängste in der Bevölkerung zu schüren.

Frust und Freude in Europa

Politiker aus ganz Europa äusserten sich am Freitagmorgen bestürzt, dass das Lager der Brexit-Anhänger beim Referendum in Grossbritannien die Mehrheit erlangt hat. Zugleich gab es Appelle, die EU zusammenzuhalten und die Verhandlungen über den britischen Austritt aus der Staatengemeinschaft rasch aufzunehmen.

Der deutsche Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel schrieb auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: «Damn! Ein schlechter Tag für Europa.» Aussenminister Frank-Walter Steinmeier sprach von ernüchternden Nachrichten aus Grossbritannien.

Der französische Aussenminister Jean-Marc Ayrault sagte in einer ersten Reaktion, der Ausgang des Referendums sei «traurig für Grossbritannien». Europa werde weitermachen, aber es müsse reagieren, um das Vertrauen der Menschen wiederzugewinnen.

Der rechtsextreme Front National forderte ebenfalls ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft Frankreichs. «Die Freiheit der Völker siegt am Ende immer», twitterte Parteivize Florian Philippot. Auch der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders forderte eine Volksabstimmung in seinem Land. Dagegen rechnete EU-Parlamentspräsident Martin Schulz nicht mit Nachahmern und einer Kettenreaktion.