30.07.2015

Grenzgänger-Streit: Italienische EU-Politikerin will Justiz anrufen

Die italienische EU-Parlamentarierin Lara Comi will im Grenzgänger-Streit zwischen Italien und dem Kanton Tessin den Europäischen Gerichtshof und das EU-Parlament anrufen. Sie spricht von einer «inakzeptablen Provokation» der Behörden in Bellinzona. Nun sucht der Bundesrat erneut das Gespräch mit den Tessiner Behörden.

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Brüssel (sda/ans). Die Tessiner Regierung müsse auf ihren Entscheid zurückkommen, wonach Antragsteller für eine Aufenthaltsbewilligung einen Strafregisterauszug aus Italien vorweisen müssen. «Das ist eine Frage der Vernunft und des Respekts vor den Vereinbarungen zur Personenfreizügigkeit», erklärte die italienische EU-Parlamentarierin Lara Comi am Mittwoch.

Der Schweizer Botschafter Giancarlo Kessler war am Dienstag in Rom ins italienische Aussenministerium einbestellt worden. Dieses sieht in den Massnahmen des Kantons Tessin eine Verletzung der Personenfreizügigkeit. Kessler sei darüber informiert worden, dass Italien eine «rasche Lösung» erwarte, teilte das italienische Aussenministerium weiter mit.

Italien stellt Antrag bei EU-Kommission

Diese Erklärungen reichen laut Comi aber nicht aus. Die bilateralen Verträge müssten «unverzüglich» respektiert werden. «Seit vier Jahren prangere ich die zahlreichen Diskriminierungen an, denen italienische Grenzgänger ausgesetzt sind», sagte Comi.

Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) hielt sich auf Anfrage bedeckt. Der Bundesrat werde sich in nächster Zeit mit dem Thema beschäftigen und gemeinsam mit den Tessiner Behörden nach einer Lösung suchen, sagte ein EJPD-Sprecher. Für konkrete Massnahmen seitens des Bundes sei es aber noch zu früh.

Dass das generelle Einfordern von Strafregisterauszügen das Personenfreizügigkeitsabkommen verletzt, hatte Justizministerin Simonetta Sommaruga dem Kanton Tessin bereits 2013 mitgeteilt – damals hatte der Südkanton erstmals einen Versuch unternommen, flächendeckend Strafregisterauszüge zu verlangen.

Gobbi lenkt nicht ein

Der Kanton Tessin führte die neue Massnahme im April 2015 ein. Betroffen sind Antragsteller für eine Aufenthaltsbewilligung B aus den EU-/EFTA-Staaten sowie Grenzgänger aus Italien.

Die bestehende Regelung werde nicht zurückgenommen, teilte der Tessiner Regierungspräsident Norman Gobbi (Lega) am Mittwoch auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda mit. Es handle sich um eine einfache Informationsabfrage, die keinen ausländischen Arbeiter daran hindere, seinem Beruf im Tessin nachzugehen, sofern er keine schweren Straftaten begangen habe.

Er werde das Thema sicherlich mit Bern vertiefen, liess der Staatsrat mitteilen. Das Tessiner Departement der Institution, dem Gobbi vorsteht, arbeite derzeit an einem Antwortschreiben an den Staatssekretär für Migration Mario Gattiker. Dieser hatte das Tessin Ende Juni in einem Schreiben darüber informiert, dass das generelle und flächendeckende Einfordern von Strafregisterauszügen dem Personenfreizügigkeitsabkommen und dem europäischen Gemeinschaftsrecht widerspreche.

Der Tessiner Grosse Rat hatte ausserdem beschlossen, den Steuerfuss für Grenzgänger von 78 Prozent auf 100 Prozent zu erhöhen. Damit dürfte der Kanton jährlich rund 20 Millionen Franken mehr einnehmen. Ende Juni hatte Italien dies zum Anlass genommen, um bei der EU-Kommission einen Antrag zu stellen, damit ein Verfahren gegen die Schweiz eröffnet wird.