Arbeit und Recht

Arbeitszeugnisse – der Wahrheit, 
Klarheit und Vollständigkeit verpflichtet

Codes, die unklar oder mehrdeutig sind, dürfen in Arbeitszeugnissen nicht verwendet werden. Ebenso unstatthaft ist es, gewisse Tatsachen und Verhaltensweisen aus wohlwollenden Gründen nicht zu erwähnen, wie ein Bundesgerichtsurteil zu qualifiziertem Schweigen festhält.

Immer wieder werden in der Praxis Arbeitszeugnisse verfasst, die dem gesetzgeberischen Auftrag (Artikel 330a OR) und der dazugehörenden Gerichtspraxis nicht entsprechen. Solche Zeugnisse haben in der Regel wenig Aussagekraft und führen dazu, dass der Stellenwert des Arbeitszeugnisses in der Praxis abnimmt. Ein Arbeitszeugnis, das den Anforderungen der Gerichtspraxis entspricht, ist zwangsläufig aussagekräftig und eine nicht zu unterschätzende Hilfe bei der Stellenbewerbung (Arbeitnehmendensicht) wie auch beim Selektionsprozess von Neubesetzungen (Arbeitgebendensicht).

Das Verwenden von Zeugniscodes, also unklaren und mehrdeutigen Formulierungen, hat in den vergangenen Jahren abgenommen. Was hingegen weiterhin noch häufig praktiziert wird, ist das qualifizierte Schweigen im Arbeitszeugnis. Das heisst, die guten Sachen werden gesagt und die negativen weggelassen. So werden grundsätzlich zwar Fakten ins Zeugnis aufgenommen, die nicht falsch sind. Aber häufig ist das Resultat so unvollständig, dass die Aussagekraft des Arbeitszeugnisses deutlich abnimmt und somit der Stellenwert erheblich gemindert wird. Diese Praxis verstösst sehr häufig gegen die vier von den Gerichten geprüften Zeugniserstellungsgrundsätzen.

1. Das Zeugnis muss wahr sein

Das Wahrheitsprinzip ist das oberste Prinzip bezüglich des Zeugnisinhaltes. Alle anderen Grundsätze haben sich diesem Prinzip unterzuordnen. Grundsätzlich ist es die Wahrheit des Arbeitgebers. Dieser hat somit einen gewissen Ermessensspielraum. Er darf aber die Wahrheit nicht willkürlich festlegen, sondern er hat einen betriebsüblichen Wertmassstab für alle Mitarbeitenden anzuwenden. Dieser betriebsübliche Wertmassstab hat sich an den branchenüblichen Werten zu orientieren.

2. Der Grundsatz des Wohlwollens

Dieser Grundsatz beinhaltet, dass negative Qualifikationen nur dann in das Zeugnis aufgenommen werden dürfen, wenn sie trotz wohlwollender Beurteilung für das gesamte Arbeitsverhältnis prägend, das heisst charakteristisch, waren. Beispiele hierfür sind strafrechtlich relevantes Verhalten zu Lasten des Arbeitgebers, sexuelle Belästigungen oder mehrfache Missachtung von berechtigten Weisungen. Nicht aufgenommen werden 
darf aber beispielsweise seltenes Zuspätkommen oder gelegentlich vorgekommene
 schlechte Arbeitsleistungen.

3. Das Klarheitsgebot

Zeugnisse müssen klar abgefasst werden und frei sein von jeder verdeckten Kennzeichnung. Zeugniscodes sind somit unzulässig.

4. Die Vollständigkeit

Das Arbeitszeugnis muss sämtliche wichtigen Tätigkeiten und das Verhalten gegenüber sämtlichen Personengruppen qualifizieren. Somit ist auch klar gesagt, dass das vorerwähnte qualifizierte Schweigen verboten ist, da es gegen das Vollständigkeitsprinzip, aber auch häufig gegen das Wahrheitsprinzip verstösst.

Das Bundesgericht hat sich in einem Leitfall zu diesem qualifizierten Schweigen beziehungsweise zum unvollständigen Arbeitszeugnis geäussert.

Ein fachlich qualifizierter Mitarbeiter, dessen Verhalten gegenüber sämtlichen Personengruppen tadellos war, beging zu Lasten seines Arbeitgebers eine Veruntreuung. Diese führte zur fristlosen Kündigung durch den Arbeitgeber. In der Folge erstellte der Arbeitgeber ein sehr gutes Arbeitszeugnis, ohne aber die Veruntreuung beziehungsweise die daraus resultierende fristlose Entlassung im Arbeitszeugnis zu erwähnen. Mit Hilfe dieses Arbeitszeugnisses gelang es dem Angestellten, wieder eine verantwortungsvolle Position in einem anderen Unternehmen zu erhalten. Aufgrund finanzieller Probleme beging der Angestellte am neuen Arbeitsplatz wiederum eine Veruntreuung zu Lasten des neuen Arbeitgebers mit einer Deliktsumme von circa 150 000 Franken. In der Folge verlangte der neue Arbeitgeber vom Zeugnisaussteller 150 000 Franken als Schadenersatz. Dies mit der Begründung, dass das ausgestellte 
Arbeitszeugnis, auf das er vertraut habe, die damalige Veruntreuung nicht enthalten hätte, somit unvollständig und unwahr gewesen sei. Wäre das Delikt erwähnt worden, hätte er diesen Arbeitnehmer nicht angestellt und dieser hätte in seinem Betrieb keine Veruntreuung begehen können. Das Bundesgericht schützte diese Rechtsauffassung und verurteilte den alten Arbeitgeber zur Bezahlung des Schadens in voller Höhe. Somit steht fest, dass der Verstoss gegen das Wahrheits- und das Vollständigkeitsprinzip nicht nur die 
Aussagekraft des Arbeitszeugnisses stark 
mindert, sondern dass diese immer wieder anzutreffende Praxis auch die nicht zu unterschätzende Gefahr beinhaltet, schadenersatzpflichtig zu werden. Die Schadenssummen können sehr hoch sein.

Wer also die Aussagekraft des Zeugnisses mindert, indem er unklar oder unvollständig formuliert, begibt sich in eine nicht zu unterschätzende Risikosituation. Diese Art von Zeugnissen ist aber auch gegenüber dem Arbeitnehmer nicht fair. Immer wieder ist festzustellen, dass Angestellte meinen, ein gutes Zeugnis erhalten zu haben, und nicht merken, dass wesentliche Qualifikationsteile fehlen. Da solche Lücken in der Regel bei der Stellenbewerbung negativ zu Lasten der Arbeitnehmenden ausgelegt werden, haben sie bei der Stellensuche häufig Schwierigkeiten. Es gehört zu einer guten Unternehmenskultur, dass offen und ehrlich kommuniziert wird. Dieser Grundsatz gilt auch für das Arbeitszeugnis. Dies im Interesse von Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden.

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Text: Edi Class

Prof. Dr. Edi Class ist 
Rechtsanwalt und Konsulent bei der Kanzlei Bratschi, Wiederkehr & Buob Rechtsanwälte.
 

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