Spannungsfeld HRM - Linie

Backsourcing vom HRM an die Linie:
 Im Dienste besserer Führung

Durch die Rückdelegation von Personalauswahl und -entwicklung an die Linienvorgesetzten sollen sich diese mehr 
verantwortlich fühlen. Schliesslich hängt das Engagement der Mitarbeitenden entscheidend von den Führungsqualitäten ab. Aufgabe des HR-Managements ist es, die Führungskräfte für diese Aufgaben zu befähigen – im besten Fall macht 
es sich dabei selbst überflüssig.

Ein Beispiel: Ein grosser Konzern verzichtet neuerdings auf die bisher gepflegte Assessmentkultur mit dem Argument, die Führungskräfte sollten sich für die Einstellentscheidungen wieder verantwortlicher fühlen. Gerade in erfolgreichen Unternehmen ist zu beobachten, dass sich die Führungskräfte aufgrund vieler Flops wieder mehr Zeit für die Mitarbeiterselektion und die Entwicklung der Potenziale nehmen. Wenig verbreitet ist nach wie vor das persönliche Engagement der Führungskräfte in der Führungsschulung.

Stärkung der Führungsqualität als vornehmste Aufgabe

Die Toptreiber für Mitarbeiterengagement sind gemäss einer Umfrage von Towers Perrin (Global Workforce 2007–2008) eindeutig die Führungskräfte und nicht das HR-Management. Für die Umsetzung der HR-Strategie, die Auswahl, Führung und Entwicklung der Mitarbeitenden sowie die konsequente Handhabung der Personalsysteme sind primär die Führungskräfte zuständig. Sinn, Spass und Spielraum kann nur in der täglichen Führungsarbeit vermittelt werden. Niemand hat auf das Lernvermögen der Mitarbeitenden einen grösseren Einfluss als der direkte Vorgesetzte. Auch die Entwicklung und permanente Anpassung von Kernkompetenzen ist Sache der Führungskräfte. Eine Studie der amerikanischen Wilson Learning Corporation besagt, dass 39 Prozent der Gewinne eines Unternehmens auf die soziale Kompetenz der Chefs zurückzuführen sind. Die meisten Personalrisiken stehen in Zusammenhang mit der Führungsqualität.

Daraus folgt, dass die unmittelbare Personalarbeit so weit wie möglich an die Linie zurückdelegiert werden sollte. Die vornehmste Aufgabe des HR-Managements müsste dann darin bestehen, die Führungskräfte zu befähigen, ihre Personalaufgaben professionell wahrzunehmen, das heisst sie für eine hochstehende Personalarbeit zu gewinnen und sie dann tatkräftig darin zu unterstützen, ihre Rolle effektiv wahrzunehmen. Oder, noch weiter zugespitzt, das HR-Management hätte dann seine Aufgaben am besten erfüllt, wenn es sich selbst überflüssig gemacht hätte.

Für das HR-Management bedeutet eine Rückdelegation, den Fokus auf die Befähigung der Führungskräfte zu legen, sie zu beraten und zu unterstützen. Daneben sind 
diejenigen Aufgaben zu definieren, für die das HR-Management weiterhin als professioneller Dienstleister in Teilbereichen wirken soll.

Führung muss einen ganz anderen Stellenwert erhalten. Wenn die Führungskräfte die primären Träger der Personalarbeit sein sollen, braucht es selbstverständlich auch eine Entlastung von anderen Aufgaben.

Ungenügende Führungsleistung ist nicht hinnehmbar

Führung heisst, Mitarbeitende auf eine Art und Weise gewinnen, dass sie hinter den Unternehmenszielen stehen und sich dafür einsetzen. Es heisst auch, die individuellen Mitarbeiterbedürfnisse wahrnehmen und auf sie eingehen.

Zweifellos ist das Führungsumfeld anspruchsvoller geworden. Schneller Wandel, Umstrukturierungen, anspruchsvolle Projektarbeit und netzwerkartige Strukturen, fordernde Mitarbeitende, individualisierte Arbeitszeiten, moderne Informationssysteme und Shareholdererwartungen fordern die Führungskräfte stark. Dazu kommen die Spannungsfelder zwischen Tagesgeschäft und 
strategischen Aufgaben, Einzelinteressen 
und Unternehmensinteressen, schnellen 
Entscheiden und breitem Einbezug, Kontrolle und Vertrauen. Da ist es nicht immer einfach, die stimmige Balance zu finden.

Wenn ein Backsourcing gelingen soll, braucht es zuerst einmal viel Überzeugungsarbeit und das Herausstellen des Nutzens einer solchen Schwerpunktverlagerung.

Der Beitrag des HR-Managements besteht primär darin, die richtigen Führungskräfte auszuwählen, sie für die Führungsaufgabe zu sensibilisieren, zu befähigen und zu qualifizieren.

Grösster Hebel ist die Entwicklung der Führungskräfte, sodass sie in die Lage versetzt werden, ihre Mitarbeitenden entsprechend dem Unternehmensanspruch zu fördern und zu entwickeln. Dabei ist die ganze Palette der Möglichkeiten zu nutzen, beispielsweise  Mentoring, Seitenwechsel, Lerngruppen.

Entwicklung der Führungskräfte schliesst auch ein, ungenügende Führung zu thematisieren und nicht einfach hinzunehmen. Für das Umfeld ist es unzumutbar, wenn über wesentliche Führungsmängel immer wieder hinweggesehen wird. Auf ungenügende Führungsleistung ist rasch und konsequent zu reagieren.

Qualität der Führung muss gemessen und belohnt werden

Führungsqualität sollte an klaren Standards gemessen werden, wenn sie beachtet werden will. Heute mangelt es den Führungskräften jedoch oft an Anreizen, sich in der Personalarbeit zu engagieren. Führungsgrundsätze werden aber immer Lippenbekenntnisse bleiben, solange die Führungsqualität nicht gemessen und belohnt wird. Darin liegt der eigentliche Prüfstein für den Stellenwert der Führung.

In der Praxis gibt es eine breite Palette von Ansätzen, um Führungsqualität zu messen (Führungsbarometer, Führungsindex aufgrund Mitarbeiterbefragung, Vorgesetztenfeedback, 360-Grad-Beurteilung, Management Audit). Periodizität, Form (mündlich oder schriftlich), Beteiligung (obligatorisch oder freiwillig) und der Umgang mit den Ergebnissen (Teamgespräch, Massnahmen, Moderation) werden sehr unterschiedlich gehandhabt.

Solche qualitativen Beurteilungen dürften in Zukunft vermehrt durch die Beurteilung der Führungsqualität über Kennzahlen ergänzt werden. Kennzahlen können direkt dem Personalcontrolling entnommen werden, während sich die Indikatoren für Führungsqualität und Commitment aus der Mitarbeiterbefragung ergeben. Dazu kann die Selbst- und Fremdbeurteilung kommen, wie weit die in den Führungsgrundsätzen gesetzten Standards erreicht worden sind. Ein integriertes Modell basiert also auf den Elementen Kennzahlen, Indizes aus Befragungen sowie Standards, die beurteilt werden. Daraus ergibt sich ein Gesamtbild. Führungskennzahlen aus dem Personalcontrolling werden mit einer qualitativen Beurteilung verbunden, sodass eine Belohnung der Führungsqualität darauf aufgebaut werden kann. Die einzelnen Elemente werden gewichtet und zu einem Gesamtindex der Führungsqualität zusammengefasst.

Wenn man es mit der Bedeutung der Führungsqualität ernst meint, macht es Sinn, sie lohnwirksam zu gestalten. Dafür spricht, dass die Führungsthematik ernster genommen wird, wenn die Ergebnisse Konsequenzen haben.

Unpersönliche Kommunikation als Folge von Outsourcing

Alternativ zum Backsourcing werden einzelne HR-Aufgaben schon lange mindestens teilweise outgesourct (Headhunting, Trainings usw.). Es stellt sich die Frage, wie viel HR-Outsourcing sinnvoll ist. Eine reine Kosten
betrachtung genügt nicht, zeigt doch ein sorgfältiger Kosten/Nutzen-Vergleich im HR-Bereich häufig, dass die Vorteile von Outsourcing und die internen Einsparmöglichkeiten überschätzt werden.

Outsourcing eignet sich vor allem für standardisierte Routineaufgaben, die definiert und messbar sind, aber weniger für Kernaufgaben. Das Wertschöpfende muss im HR-Management behalten werden. Das grösste Einsparpotenzial liegt beim partiellen Outsourcing unspezifischer und wenig komplexer Funktionen. Je einfacher und weniger verflochten, desto eher sind Outsourcing-Möglichkeiten gegeben. Chancen und Risiken sind in der Tabelle oben angeführt.

Noch wesentlich weiter geht ein Outsourcing der ganzen Personalarbeit an spezialisierte Unternehmen, wie es neuerdings ein paar internationale Unternehmen umzu
setzen suchen. Erwartet werden primär kostenmässige Vorteile. Die weichen Faktoren werden kaum berücksichtigt. So wird beispielsweise die Beziehung zum Unternehmen für die Mitarbeitenden unpersönlicher, ja eine solches Outsourcing lässt sich kaum mit der postulierten Wertschätzung der Mitarbeitenden vereinbaren. Ausserdem resultieren für Linie und Mitarbeitende mehrere Ansprechpartner. Menschen wollen nicht mit einem Computer oder einem Call-Center kommunizieren, sondern lebendige, zuvorkommende Ansprechpartner vor Ort haben, die ihnen zuhören und sie unterstützen.

In der Aufgabenteilung zwischen Linie und HR-Management geht es darum, die unternehmensspezifisch sinnvolle Balance zu finden. Entscheidungskriterien können Professionalität, Flexibilität, Individualität und Kosten/Effizienz sein. Die Möglichkeiten eines Backsourcing sollten konsequent genutzt werden. Den Mitarbeitenden ist mit einem Backsourcing an die Führungskräfte weit besser gedient als mit einem Outsourcing des ganzen HR-Managements.

Outsourcing von HR-Aufgaben

Risiken

  • 
spezifische Strategie und Kultur werden weniger berücksichtigt
  • 
Gefahr von Know-how-Verlusten
  • 
geringere Synergiemöglichkeiten
  • 
hoher Koordinations- und Controllingbedarf
  • 
neue Schnittstellen; Verlust an Transparenz
  • 
lange Kommunikationswege, Informationsdefizite
  • 
Vertraulichkeit, Datenschutzprobleme
  • 
Abhängigkeit von externen Dienstleistern (oft 
irreversibel)
  • 
reduzierte Einflussmöglichkeiten
  • 
Imageverlust Personalabteilung
  • 
personelle Kontinuität weniger gewährleistet

Chancen

  • 
Kostenreduzierung, Nutzung der Economies of 
Scale
  • 
Freisetzung von internen Ressourcen und damit Möglichkeit vermehrter Konzentration auf Kernkompetenzen
  • 
Steuerung der Qualität
  • 
Nutzung von Spezialisten-Know-how und neuen Technologien; Zugang zu neuen Lösungen
  • 
grössere Flexibilität (Anpassung der Kapazitäten, weniger Mitarbeitende bei Nachfrageflauten)
  • 
transparente, planbare Kosten
  • 
Förderung des Bewusstseins für Preis und 
Leistung
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Dr. Jean-Marcel Kobi ist 
Geschäftsführer des Management-Beratungsunternehmens J.M. Kobi & Partner in Zürich. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen HR-Management, Personalrisiken und -controlling sowie Change Management und Unternehmenskultur.

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