HR Today Nr. 3/2020: Recruiting – The Show goes on

«Die Beschäftigung älterer Mit­arbeitender liegt in unserer DNA»

40 Prozent aller Erwerbstätigen würden gerne über das Pensionsalter hinaus arbeiten. Noch trifft dieses Angebot auf wenig Nachfrage. Einige Firmen haben jedoch umgedacht. Wir haben mit drei von ihnen gesprochen und zwei Pensionierte befragt.

Älterwerden ist in der Schweiz nicht «sexy». Das bekommen vor allem Menschen ab 60 Jahren zu spüren: Nur 23 Prozent befinden sich dann noch in einem Anstellungsverhältnis. Im Vergleich zu den OECD-Ländern, wo die Erwerbsquote der 60-Jährigen bei 27 Prozent liegt, ist die Schweiz kein Paradebeispiel. Das hat zur Folge, dass das Angebot, nach der Pensionierung weiterzuarbeiten, die Nachfrage in der Schweiz bei weitem übersteigt. In Zahlen ausgedrückt wollen 40 Prozent der in der Schweiz Beschäftigten im Alter zwischen 50 und 64 Jahren nach der Pensionierung weiterarbeiten, doch nur wenige erhalten die Möglichkeit dazu. Für 60 Prozent bleiben die Betriebstüren geschlossen. Das zeigt eine kürzlich veröffentlichte Deloitte-Studie, für die 1000 in der Schweiz wohnhafte Personen zwischen 50 und 70 Jahren befragt wurden.

Das ist bedauerlich, da Unternehmen mit Arbeitnehmenden im Ruhestand Know-how-Lücken schliessen könnten, wenn sie für deren Engagement offener wären. Solche Lösungen scheinen umso dringlicher, als sich die verzweifelte Suche nach Fachkräften durch die anstehende Pensionierungswelle der Babyboomer und den Demografiewandel in den kommenden zehn Jahren nochmals deutlich verschärfen wird. Gemäss einer Analyse der UBS werden bis ins Jahr 2030 zwischen 230'000 und 500'000 Fachkräfte auf dem Schweizer Arbeitsmarkt fehlen.

Aus der Not eine Tugend machen

«Wir beschäftigen Menschen im Ruhestand aus Überzeugung», sagen Stephan Kunz, HR Leiter der Burckhardt Compression AG, Gabriela Küpfer, HR-Leiterin der Seniorenbetreuung Home Instead Basel, und Monica Lamas, HR-Leiterin der Sammelstiftung Vita. Oft aus ganz pragmatischen Gründen. «Die demografischen Auswirkungen, der Druck auf die Sozialwerke und der Fachkräftemangel sind für uns schon heute Realität», betont Stephan Kunz. «Menschen, die bei uns in Pension gehen, verfügen über ein hohes Mass an Wissen und Erfahrung, das in unserer Branche teilweise sehr spezifisch und einzigartig ist.» Deshalb sei es im Interesse von Burckhardt Compression, dieses Know-how im Unternehmen zu erhalten oder Ältere zu ermuntern, es gezielt an jüngere Mitarbeitende weiterzugeben, wenn sie nach der Pensionierung nicht in einem «normalen» Arbeitsverhältnis beschäftigt werden können.

Eine ähnliche Strategie verfolgt die Sammelstiftung Vita: «Ausgewiesene BVG-Experten sind sehr schwer zu finden, weshalb wir unserer Fachkräfte nach der Pensionierung weiterbeschäftigen, auch wenn wir dafür kein spezielles Programm haben.» Eingesetzt würden die Mitarbeitenden generell dort, wo sie einen Mehrwert bringen. Einen besonderen Vorteil bei der Beschäftigung von Pensionierten liegt für Monica Lamas in der Diversität: «Altersdurchmischte Teams funktionieren besser. Nicht nur beim Know-how-Transfer und durch den Perspektivenwechsel. Sie sind auch eine persönliche Bereicherung.»

Bei der Seniorenbetreuung Home Instead liegt der Fokus naturgemäss auf älteren Mitarbeitenden. «Der derzeitige Altersdurchschnitt unserer Mitarbeitenden liegt bei 57 Jahren», sagt Gabriela Küpfer. Für sie kein Grund zur Panik, sondern ein Vorteil: «Es ist naheliegend, Mitarbeitende einzusetzen, die unsere Kunden aufgrund des geringen Altersunterschieds besser verstehen. Die Beschäftigung älterer Menschen liegt quasi in der DNA unserer Firma.» Ältere Menschen hätten zudem einen prall gefüllten Rucksack an Lebenserfahrung, den sie mit anderen teilen können. «Das kommt uns zugute, weil wir grossen Wert auf die Passgenauigkeit zwischen Kunden und Mitarbeitenden legen.» Wichtiger als die Verfügbarkeit eines Mitarbeitenden seien seine Gemeinsamkeiten mit dem Kunden: «Einem ehemaligen Kunsthistoriker vermitteln wir beispielsweise eine Mitarbeiterin, die Interesse an Kunst hat, damit sich der Kunde über seine Thema austauschen kann.»

Flexibilität ist gefragt

«Mitarbeitende wollen zwar über das Pensionsalter hinaus arbeiten, aber nicht mehr zu 100 Prozent», sagen Gabriela Küpfer, Stephan Kunz und Monica Lamas. Das erfordere eine gewisse Flexibilität seitens der Unternehmen. «Unser pensionierter Mitarbeitender arbeitet 30 Prozent», erklärt Küpfer, «weil er seine neue Freiheit geniessen und neben seiner Erwerbstätigkeit seinen Hobbys nachgehen will.» Auch Burckhardt Compression macht bei der Arbeitsgestaltung Zugeständnisse: «Wir bieten Beschäftigungsgrade zwischen zehn und hundert Prozent, von aufeinanderfolgenden Tagen, Wochen und Monaten sowie arbeitsfreien Zeiträumen», erzählt Kunz. Eine Mindestbeschäftigungsdauer gibt hingegen Home Instead: «Unsere Mitarbeitenden müssen mindestens 16 Stunden pro Woche verfügbar sein und dürfen keinen Eintrag im Betreibungs- oder Strafregister haben. Das heisst nicht, dass sie so lange arbeiten, für die Planung der Kundenbesuche müssen wir jedoch Zeitfenster festlegen, sonst wird die Koordination zu kompliziert.»

Pensionierte sind Mitarbeitende wie alle anderen, betonen die drei Befragten. «Sie erhalten bei uns dieselben Konditionen und Arbeitgeberleis­tungen sowie eine solide Ausbildung bei der Einführung. Das ermöglicht einen einfachen Start für Quereinsteiger», erklärt Home-Instead-HR-Leiterin Gabriela Küpfer. Daneben stünden Pensionierten Weiterbildungen sowie die Teilnahme an Mitarbeiteranlässen offen. Weil der Ruheständler der Sammelstiftung Vita auf Stundenbasis arbeite, entfallen für ihn einige Fringe Benefits, sagt Monica Lamas. «Bei unseren Teamevents und Firmenanlässen ist er aber wie alle anderen Mitarbeitenden unabhängig von seinem Beschäftigungsstatus dabei.»

Pensionär Hans Anliker arbeitet in der Seniorenbetreuung von Home Instead. Er hilft älteren Menschen zu Hause bei ihren Alltagstätigkeiten.

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Herr Anliker, warum arbeiten Sie auch nach Ihrer Pensionierung?

Hans Anliker: Ich konnte mir nach meinem erfüllten Berufsleben nicht vorstellen, einfach nur meinen Hobbys nachzugehen und herumzusitzen. Ich wollte Teilzeit arbeiten, etwas Sinnvolles tun und das Gefühl haben, nützlich zu sein. Der Zustupf zu meiner Rente ermöglicht es mir zudem, mir ab und zu einen Extrawunsch zu erfüllen.

Welche Tätigkeiten führen Sie aus?

Ich arbeite in der Seniorenbetreuung und helfe älteren Menschen zu Hause bei ihren Alltagstätigkeiten, die sie nicht mehr selbst bewältigen können oder wollen. Je nach Kundenwunsch variiert mein Arbeitspensum zwischen 30 und 50 Prozent.

Wie kam es zu Ihrer Anstellung?

Ich habe in der Quartierzeitung ein Inserat gesehen und wurde in derselben Woche von einer Freundin angesprochen, die schon seit längerer Zeit bei Home Instead arbeitet. Als sie einmal mehr von ihrer Arbeit geschwärmt hat, habe ich mich telefonisch gemeldet.

Wodurch unterscheidet sich Ihre jetzige Tätigkeit von Ihrem ehemaligen Beruf?

Der grösste Unterschied ist, dass der Druck aus meinem damaligen Berufs­alltag weg ist. Ich gehe zu meinen Kunden und habe Zeit, kann mein Pensum flexibel gestalten und entscheiden, ob ich einen Einsatz annehme oder nicht. Das kommt mir sehr entgegen und lässt sich mit meinen anderen Plänen gut kombinieren.

Was macht Ihnen am meisten Freude?

Wenn sich meine Kunden freuen, dass ich zu ihnen komme. Ich spüre eine Wertschätzung für meine Arbeit, die ich früher nie erhalten habe.

Wie lange werden Sie weiterarbeiten?

Bis ich selbst Unterstützung und Betreuung brauche und wir die Plätze tauschen. Meine älteste Kollegin ist 77 Jahre alt und sagt, sie werde noch lange arbeiten.

Der pensionierte Hans Ulrich Kaufmann ist bei der SST Vita Dienstleis­tungs AG zu 30 Prozent angestellt. Er arbeitet im Team «Produkte und Services» und organisiert unter anderem Kundenanlässe.

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Herr Kaufmann, warum arbeiten Sie auch nach Ihrer Pensionierung?

Hans Ulrich Kaufmann: Mich mit fachlichen Fragestellungen auseinanderzusetzen, stellt für mich eine willkommene geistige Herausforderung dar. Ich kann meine langjährige Berufserfahrung einbringen und die Kompetenzen des Teams ergänzen. Zudem schätze ich den sozialen Kontakt und dass ich im Team der Sammelstiftung Vita integriert bin.

Welche Tätigkeiten führen Sie aus?

Ich bin in der beruflichen Vorsorge tätig – bei der SST Vita Dienstleistungs AG. Einer Firma, welche die Geschäftsführung der Sammelstiftung Vita wahrnimmt. Ich bearbeite im Team «Produkte und Services» Fragen zur Entwicklung unserer Marktleistungen, organisiere Kundenanlässe und gebe Publikationen heraus. Derzeit entspricht mein Anstellungsverhältnis einem Pensum von ungefähr 30 Prozent.

Wie kam es zu Ihrer Anstellung?

Kurz nach meiner vorzeitigen Pensionierung erhielt ich über mein Netzwerk eine Anfrage für eine auf ein Jahr begrenzte Anstellung als Projektleiter bei der SST Vita Dienstleistungs AG, um ein Marktsegment in der beruflichen Vorsorge zu entwickeln. Während der Projektarbeit kamen weitere Aufgaben hinzu, so dass mein Arbeitsverhältnis nach Projektabschluss verlängert wurde.

Wodurch unterscheidet sich Ihre jetzige Tätigkeit von Ihrem ehemaligen Beruf?

Vor meiner vorzeitigen Pensionierung hatte ich Führungsaufgaben, habe bestehende Kunden betreut und den Geschäftsbereich entwickelt. Mein Arbeitsalltag war von internen und externen Sitzungen geprägt. Durch den Wegfall der Verantwortung für die Mitarbeitenden und die Kunden kann ich mich nun auf die konzeptionelle Bearbeitung von Fachfragen konzentrieren.

Wie lange werden Sie weiterarbeiten?

Die Dauer meiner Arbeitstätigkeit bestimmt sich dadurch, ob mein Arbeitgeber meinen Beitrag als wertschöpfend betrachtet, und durch meine persönliche Einschätzung. Etwa, ob sich meine Berufstätigkeit mit meinen familiären und sportlichen Interessen vereinbaren lässt. Auch die Gesundheit spielt eine grosse Rolle.

Was macht Ihnen am meisten Freude?

Wenn ich mit meiner Arbeit zum Teamerfolg beitrage, indem ich ihnen Lösungsvorschläge unterbreite. Dazu gehört auch, diese kritisch zu besprechen und zu hinterfragen.

 

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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