Zukunft der Führungskultur

Das HR zwischen 
Macht und Ohnmacht

Wer im Arbeitsfeld des HR tätig ist, sieht sich oft widerstreitenden Einflüssen ausgesetzt: zwischen Macht und Ohnmacht, Fremd- und Selbstbestimmung. Doch woher stammen die Ohnmachtsgefühle? Welche Wertschätzung erfährt das HR heute? Was kann es beitragen, um als gleichberechtigter Business Partner wahrgenommen zu werden? Vier HR-Verantwortliche geben Antwort.

«Ohnmächtig fühle ich mich, wenn die Linie eigenmächtig entscheidet, ohne die Auswirkungen ihres Handelns zu berücksichtigen, und HR das Thema dann ausbaden darf», sagt Yves Birchmeier, Head of Human Resources, Kistler Group. Bei dem Winterthurer Unternehmen für Hightech-Messtechnik mit weltweit 1200 Beschäftigten wurde das HR kürzlich aufgewertet. Neu ist die HR-Leitung direkt dem CEO unterstellt und nicht mehr der Finanzabteilung.

Beim Agromulti Syngenta, Arbeitgeber von global 27 000 Mitarbeitenden, sitzt der Head des HR sogar direkt in der Geschäftsleitung. «Das ist selten», sagt Georg Lange, Global Business Process Lead HR, «höchstens fünf Konzerne in der Schweiz haben eine solche Struktur.» Dennoch sind auch ihm Ohnmachtsgefühle nicht unbekannt: «Man möchte im HR oft viel mehr machen, als man kann», sagt Georg Lange. Als grösste «Bremser» ortet er die Angst vor Veränderung oder die «Regelungswut» des Gesetzgebers.

Ebenfalls Einsitz in der Geschäftsleitung hat Walter Jenny, Personalleiter der Verkehrsbetriebe Luzern AG mit rund 415 Mitarbeitenden: «Als Mitglied der Geschäftsleitung bin ich nicht nur in HR-Themen, sondern auch bei strategischen Fragen wie einer Standorteröffnung involviert und kann die personellen Auswirkungen, die ein solcher Entscheid hat, auch aufzeigen.»

Bei der Sulser Group, einem mittelständischen Unternehmen mit Hauptsitz im zürcherischen Otelfingen und 140 Beschäftigten, ist die Leitung HR mit der Leitungsfunktion Finance gekoppelt. Ein Widerspruch? Im Gegenteil. So können die Interessen des HR im Budgetierungsprozess besser eingebracht werden, meint Jörg Frei, CFO und Head of HR. 

Globalisierung beschneidet 
die Macht des HR

Die vier befragten HR-Verantwortlichen sehen sich gegenwärtig alle in einer Position, in der sie «Macht ausüben» und die Anliegen des HR im Austausch mit anderen Geschäftsmitgliedern und dem Verwaltungsrat einbringen und durchsetzen können. Im Vergleich zu ihrer «privilegierten» Situation schätzen die Befragten die Rolle des HR in der Schweiz tendenziell als «machtloser» ein.

Doch nicht nur strukturelle, auch gesellschaftliche Strömungen beeinflussen die Macht und Ohnmacht des HR. So stehen die Unternehmen nicht zuletzt infolge der Globalisierung unter zunehmendem Kostendruck. Diese Entwicklung macht auch vor dem HR-Bereich nicht Halt. Gemäss Lehrbuch «HR Governance, wirksame Führung und Steuerung des Personalmanagements» von Martin Hilb und Marcel Oertig wurden bis zum Jahr 2005 Kosten im HR vor allem durch «Verschlankung» der HR-Strukturen eingespart und Effizienz durch Investitionen in die IT erzielt.

Heute steht  hingegen die Kompetenzentwicklung der HR-Mitarbeitenden und -Verantwortlichen im Vordergrund, um den Herausforderungen der Zukunft wirksam zu begegnen und einen messbaren Mehrwert für das Unternehmen zu schaffen.  Der Einbezug des HR bei strategischen Fragen wird in diesem Zusammenhang wichtiger. Dies verdeutlicht etwa auch das Kompetenzmodell von Dave Ulrich, das die neuen Aufgaben des HR herausschält und den strategischen Beitrag des HR ins Zentrum seiner Überlegungen stellt.

Hat das HR in der Schweiz mit dieser Entwicklung Schritt gehalten oder rühren «Ohnmachtsgefühle» auch daher, dass diese Veränderungen auf organisatorischer und personeller Ebene noch nicht vollzogen wurden?

«Die Bereitschaft, das HR als strategischen Partner anzuerkennen, ist allgemein noch gering», sagt Georg Lange. Meist ist das HR zudem dem CFO unterstellt, ergänzt Yves Birchmeier und fordert: «In der Schweiz brauchen wir mehr HR-Kompetenz auf Stufe der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrates.»

In KMUs sieht die Lage etwas anders aus. Die fehlende Vertretung auf Stufe Geschäftsleitung liege weniger in der mangelnden Akzeptanz des HR als daran, dass ein zusätzliches Geschäftsleitungsmitglied «Mehrkosten» verursache, erläutert Jörg Frei. «Meist ist das HR in KMUs jedoch in der erweiterten Geschäftsleitung eingebunden und kann sich durch die kurzen Entscheidungswege im Unternehmen einbringen.»

«Viele Ohnmachtsgefühle des HR sind auch hausgemacht», so die Einschätzung von Georg Lange. Er sieht deshalb erheblichen Weiterbildungsbedarf im HR. «Um mitreden zu können, müssen sich HR-Verantwortliche unbedingt betriebswirtschaftliches Wissen und unternehmerische Fähigkeiten aneignen.» Auch Yves Birchmeier betont, dass betriebswirtschaftliches Wissen auf oberster Stufe des HR wichtig sei, um strategische Zusammenhänge zu verstehen und Mehrwert für die Organisation zu generieren.

«Agieren statt reagieren»

Dass das HR allzu oft noch nicht gelernt hat aufzuzeigen, inwiefern es einen Beitrag zum unternehmerischen Erfolg leistet, davon ist auch Georg Lange überzeugt: «Das HR muss agieren, statt zu reagieren, und nachweisen, dass sich das, was getan wird, auch auszahlt. Erst damit verschafft sich das HR die Chance zur Einflussnahme auf die Entscheidungsträger.» Die wichtigsten Kompetenzen des HR sieht Yves Birchmeier in der Fähigkeit, Visionen und Strategien mit zu entwickeln, mit der «Fahne voran in die Schlacht zu ziehen» und diese Visionen und Strategien auch vor der Geschäftsleitung und dem Verwaltungsrat zu vertreten. Aus seiner Sicht ist die Mitarbeit des HR an strategischen Fragen zwingend. Dazu müssen jedoch auch HR-Prozesse sichtbar gemacht werden und das HR muss erkennen, wo es andere in ihren Prozessen unterstützen kann, um die Organisation weiterzuentwickeln.

In der ganzen Diskussion um Kostenfragen und Effizienzsteigerungen droht die langfristige Planung in den Hintergrund zu geraten. Die Krux dabei: Die Wirksamkeit von HR-Massnahmen zeigt sich oft erst in einem grösseren Zeitrahmen. «HR ist kein kurzfristiges Business», gibt Walter Jenny zu bedenken. «Eine Unternehmenskultur zu verändern, bedeutet, ein grosses Schiff zu lenken. Bei häufigen Wechseln im HR sind die Leute jedoch wieder weg, bevor sie Erfahrungen sammeln und diese einbringen konnten. Hier gilt es, sich zu fragen, wie geduldig und hartnäckig Personalfachleute selbst sind.»

Solange alles funktioniert, wird das HR nicht wahrgenommen, so lautet eine weit verbreitete Meinung. Doch stimmt das? Und wie erfahren HR-Fachleute Wertschätzung?

«Durch die Neupositionierung meiner Funktion bei der Kistler Group fühle ich mich in meiner Position gestärkt. Mit der direkten Unterstellung unter den CEO wurde bei uns bewusst eine Möglichkeit geschaffen, dem HR mehr Einfluss in der Geschäftsleitung zu verschaffen», sagt Yves Birchmeier. Und ergänzt: «Wertschätzung im HR erhält man vor allem dann, wenn der Linienvorgesetzte die geleistete Arbeit schätzt und er sich auf seine tägliche Arbeit konzentrieren kann. Die Qualität der HR-Arbeit überzeugt dann, wenn ein Prozess sauber läuft und von allen verstanden wird.»

Für Jörg Frei zeigt sich die Wertschätzung seiner Arbeit vor allem darin, dass das HR bei der Sulser Group als «Anlaufstelle» für alle Fragen rund ums HR betrachtet wird. Je weiter jemand vom HR «entfernt» sei – zum Beispiel Mitarbeitende an einem anderen Standort –, desto häufiger sei jedoch die Frage zu vernehmen: «Was machen die überhaupt?»

Weniger, aber besser 
qualifiziertes HR

Wenn sich die Tendenz zur verstärkten Beschäftigung mit strategischen Themen fortsetzt, wird dem HR vermehrt der Rücken gestärkt und dessen Arbeit aufgewertet. Doch werden die Zeichen der Zeit in der Praxis auch erkannt oder droht dem HR doch eine Abwertung?

«Abwertung entsteht aus meiner Sicht nur dann, wenn der Eindruck besteht, jemand anders könne einen Prozess besser machen, wenn sich das HR im Unternehmen nicht einbringt und auch keine Akzeptanz hat», so die Einschätzung von Yves Birchmeier. «Die gesellschaftlichen Veränderungen bedingen, dass auf Konzern- und VR-Stufe HR-Kompetenzen integriert werden müssen. Administrative Arbeiten werden auch in Zukunft durch das HR erledigt werden. Nicht alles lässt sich automatisieren, sämtliche HR-Prozesse sollten jedoch möglichst ‹lean› geführt und auf ihren Nutzen geprüft werden.»

Jörg Frei von der Sulser Group kommt zu einem ähnlichen Schluss: «Aufgrund der heutigen Arbeitsmarktlage müsste das HR höher eingestuft werden. Das HR muss in der Geschäftsleitung vertreten sein, denn oft fehlt gerade dort das Fachwissen, wenn es beispielsweise darum geht, den Aufwand für die Rekrutierung von Fachleuten oder die Folgen von anderen personellen Entscheiden abzuschätzen. HR soll das Mauerblümchendasein hinter sich lassen, mit Enthusiasmus eigene Ideen vertreten und Fachkompetenz zeigen. Ob das HR gehört wird, hängt jedoch entscheidend von der Unternehmenskultur ab.»

Nach Georg Langes Ansicht wird sich die Rolle des HR in Zukunft bedeutend verändern. In den Unternehmen wird das HR eine deutlich «hochwertigere» Rolle in beratender und begleitender Funktion einnehmen und sich im Wesentlichen um die «menschliche Komponente» kümmern, wie zum Beispiel die Ausgestaltung der Unternehmenskultur, das Talentmanagement und die interne Kommunikation. Administrative HR-Prozesse werden hingegen vermehrt standardisiert, automatisiert oder gar in andere Länder verlagert. Die verbleibenden HR-Kernprozesse erfordern demnach weniger, jedoch hoch qualifizierte Mitarbeiter.

Strukturen sind das eine, persönliche Komponenten das andere, das entscheidet, in welchem Grad sich das HR einbringen kann. Strukturen mögen zwar die Einflussnahme des HR auf die Geschäftsleitung oder den Verwaltungsrat fördern oder behindern, sie sind bei weitem aber nicht die einzige Erklärung für Macht oder Ohnmacht des HR. Vielmehr liegt es auch am HR selbst, sich im Unternehmen richtig zu positionieren. Das bedeutet, sich gezielt Wissen anzueignen, Fachwissen und Ideen aktiv in den Gremien einzubringen, aufzuzeigen, welchen Beitrag das HR zum Unternehmenserfolg leistet, und sich selbst noch besser zu vermarkten.

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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