Ethik

«Die Krise ist entstanden, weil die 
Gesamtheit des Wirkens unbeachtet blieb»

Mathieu van den Hoogenband ist Verwaltungsrat bei Weleda. Das Traditionsunternehmen vertreibt ganzheitliche 
Arzneimittel, diätetische Aufbaupräparate und Körperpflegeprodukte. Damals wie heute orientiert sich Weleda ganz an 
den Bedürfnissen der Ärzte und Patienten, die nach anthroposophischen Arzneimitteln fragen. Ein Interview über 
Firmenphilosophie, weltweite Impulse und holistisches Denken, Fühlen und Wollen.

Herr van den Hoogenband, wird Weleda nach anthroposophischen Werten geleitet?

Mathieu van den Hoogenband: Wir definieren Weleda als Ort der menschlichen Entwicklung. Jeder Mitarbeitende ist weit über seine Funktionalität hinweg eine wichtige Innovationsquelle für das ganze Unternehmen. Weleda orientiert sich bewusst an den ethischen Prinzipien: Der Mitarbeitende bewegt sich als Individuum auf der Mikro-Ebene, wobei er einerseits für sich selbst freiwillig verantwortlich handelt und andererseits auf der Meso-Ebene im Interesse des 
Unternehmens mit gemeinsamen Aufgaben arbeitet. Diese gemeinsamen Aufgaben wiederum dienen dem Wohle der gesamten Gesellschaft, deren reale Bedürfnisse mit unseren Produkten gedeckt werden. Das kann man als anthroposophischen Ansatz bezeichnen. (Siehe auch Artikel Seite 20 über angewandte Ethik.)

Nach welchen Führungsprinzipien funktioniert Weleda?

Wir richten uns nach den Bedürfnissen der Mitarbeitenden innerhalb der strategischen Entwicklung – binden sie sozusagen in das Übergeordnete ein. Das Ganze findet im Dialogmanagement statt, wodurch wir sicherstellen, dass alle Teams sich mit der 
Geschäftsleitung in die gleiche Richtung entwickeln.

Wie greift dieses Dialogmanagement weltweit in allen 20 Tochtergesellschaften?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir die Geschichte des Unternehmens anschauen. Weleda ist nicht im Sinne eines Entrepreneurtums gewachsen, denn es gab keinen Entrepreneur, der sich zum Ziel setzte, die Welt mit seinem Unternehmen zu erobern, sondern es lief umgekehrt. Überall in der Welt befassten sich Pharmazeuten und Ärzte mit natürlichen Heilmethoden und suchten eine Dachgruppe. Weleda fungierte also zunächst wie ein moderner Think Tank, in dem man sich über anthroposophische und frühe ökologische Ansätze austauschte. Individuelle Aktivitäten und Ideen für Innovationen sammelten sich bei Weleda an. Voraussetzung für diese Entwicklung war eine Offenheit zum ständigen Dialog, die bis heute unser Unternehmensprinzip ist.

Weleda - das Unternehmen

Weleda ist als Unternehmen für die Gesundheit mit 1800 Mitarbeitern auf allen Kontinenten präsent. Es wurde 1921 in Arlesheim im Kanton Baselland als erstes «Klinisch-therapeutische Institut» gegründet. In der Nachbargemeinde Dornach hatte Rudolf Steiner (1861-1925) die «Freie Hochschule für Geisteswissenschaft» gegründet. Steiner selbst nahm regelmässig an ärztlichen Konsultationen in der Klinik teil. Seine Fragen zur Anamnese und seine Ideen zu Arzneimitteln und Heilverfahren eröffneten der Gründerin, der holländischen Ärztin Ita Wegman (1876–1943), und ihren Mitarbeitern neue Perspektiven. Die ersten Heilmittel wurden in einem  pharmazeutischen Labor hergestellt. Sie bildeten den Grundstock für die Weleda-Arzneimittel. Das Weleda Leitmotiv «Im Einklang mit Mensch und Natur» bedeutet: Erforschung von Gesetzmässigkeiten des Lebens, des Seelischen und des Geistigen im Menschen und in den Naturreichen. Aus den daraus abgeleiteten Entsprechungen werden ganzheitliche Arznei- und Körperpflegemittel konzipiert und hergestellt.
Die Weleda-Unternehmensgruppe hat auch heute noch ihren Stammsitz in Arlesheim. Insgesamt 20 Beteiligungsgesellschaften in der ganzen Welt gehören der Gruppe an, wovon sich die Zweigniederlassung im deutschen Schwäbisch Gmünd befindet. Weleda arbeitet so ausschliesslich wie möglich mit ökologisch reinen Rohstoffen, wie von Fairtrade, die kürzlich für 2008/09 eine Umsatzsteigerung um 8 Prozent meldete. Im Krisenjahr 2008/09 verzeichnete Weleda ein Umsatzwachstum von 13 Prozent. Mehr unter www.weleda.com.

Ist die Weleda-Unternehmensgruppe also rein zufällig entstanden?

Zufälle gibt es nicht. Es gibt aber Impulse, die auf der ganzen Welt zeitgleich ausgelöst werden, genau wie sich die IT-Branche weltweit an verschiedenen Orten entwickelt hat oder sich die Autoindustrie entwickelt oder eben nicht entwickelt, weil manche CEO sich in trügerischer Sicherheit wiegten.

Ein weiteres Beispiel für weltweit gleich stattfindende Impulse sind die Banken, die die Grenzen der Realwirtschaft übersehen haben und der eigenen Virtualität zum Opfer gefallen sind, die wiederum den Entwicklungen der IT zu verdanken ist. Banker haben ihre ursprüngliche Funktion als Vermittler weit überschritten, indem sie ganze Pakete verkauften. Wenn ich aber Pakete verkaufe, bin ich kein Vermittler mehr. Bei dieser Grenzüberschreitung auf unbewusster Ebene hat niemand bewusst über die Auswirkungen in der Realwirtschaft reflektiert. Die Krise ist deshalb entstanden, weil die Gesamtheit des Wirkens unbeachtet blieb. Die Wirkung des Wirkens sollte aber immer wieder, bei allem Tun, ins Bewusstsein geholt werden, so wie wir das jetzt endlich tun bei Fragen der Ökologie. Um nun Ihre Frage auf Weleda zu beantworten: Weleda ist nach den gleichen Naturprinzipien aufgrund von Impulsen entstanden, die von Individuen unabhängig voneinander als Notwendigkeit empfunden wurden.

Damit ist Weleda ein jahrelanger Vorreiter auf der Suche nach neuen Werten ...

Wer mit vollem Bewusstsein offen ist für Veränderungen, die immer wieder auf ihre ganzheitliche Wirkung hin reflektiert werden, hat die gesündeste Basis für Innovationen. Bei unseren Werten geht es um nichts anderes als um die konstante Präsenz im Tun, wobei alle drei Ebenen, die des Denkens, des Fühlens und des Willens, im ständigen Einklang sein sollen (1). Anders ausgedrückt geht es um die totale Bewusstseinserweiterung, wie sie oft in der Parabel des Bauarbeiters zum Ausdruck kommt, der ganzheitlich agierend ein Haus baut – und eben nicht nur Steine aufeinandersetzt. Um nichts mehr geht es in der noch auszuweitenden Methodik des Leadership. Die Wahrnehmung der Präsenz und Wirkung muss viel stärker geschult werden. Ja, ich denke, wir sind da bei Weleda, was dies betrifft, um Jahre voraus.

Wie testen Rekrutierer in Bewerbungsgesprächen diese anthroposophische Geisteshaltung?

In meiner Zeit als CEO stellte ich den Kandidaten Fragen wie «Welche Werte haben Ihr Werden bestimmt?» oder «Welche Begegnungen waren für Sie wichtig?». Die Antworten auf diese Fragen geben Informationen darüber, ob jemand einen Bewusstseinsantrieb hat und welche Werte bewusst im Leben des Gegenübers gewachsen sind. Praktisch orientierte Angaben interessieren mich weniger. Mir ist die Intention hinter dem Tun wichtig.

Masslosigkeit und Profitgier sind derzeit Diskussionsstoff in der Geschäftswelt. Spüren Sie eine gewisse Genugtuung, wenn Sie sehen, dass Ihre Werte jetzt 
Konjunktur bekommen?

Nein, als entwicklungsorientierter Mensch freue ich mich, dass nun diese Optionen offen sind.

Mathieu van den Hoogenband

war von 2000 bis 2008 CEO der Weleda-Gruppe. Er doziert Ethik im Management an der privaten, staatlich anerkannten Fachhochschule SRH Hochschule Berlin und ist Verwaltungsrat der Triodos Bank, einer internationalen Bank für nachhaltiges Banking. Während der jüngsten «International Sustainability Banking Conference» in London wurde die Triodos Bank letzten Monat zur weltweit nachhaltigsten Bank gekürt. Die nächste internationale Niederlassung der Bank entsteht im Frühjahr 2010 in Frankfurt. Mehr unter: www.triodos.com. Im März 2009 wurde die «Global Alliance for Social Banking» ins Leben gerufen, an deren Mitgründung er beteiligt ist.

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Connie Voigt ist 
Executive Coach bei der Firma «Inside Out» sowie Gründerin der Netzwerkorganisation «Interculturalcenter.com GmbH». Zudem ist sie Dozentin für Organizational Behavior an der Edinburgh Business School, FHNW Basel und FU Berlin.

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