HR Today Nr. 4/2019: swissstaffing-News

Fehlen in der Schweiz Fachkräfte?

Ob und in welchen Berufen ein Fachkräftemangel besteht, wird heiss diskutiert. Dank einer gemeinsamen Studie von swissstaffing und gfs-zürich gibt es neue Einsichten: Ein Fachkräftemangel existiert, aber anders als gedacht.

Das Gewinnen gefragter Fachkräfte ist die 
Königsdisziplin erfolgreicher Personalverantwortlicher. Unter dem Stichwort Fachkräftemangel steht dieser Aspekt des Personalwesens regelmäs-sig im Licht der Öffentlichkeit. Das breite Interesse hat seine Gründe: Fehlen in einem Land Fachkräfte, begrenzt der Faktor Mensch das Wachstum der betroffenen Unternehmen, der Volkswirtschaft und der Steuereinnahmen.

Geringer Fachkräftemangel in 
der Schweiz

Die Manpower Group führt seit 2006 jährlich in 43 Ländern eine Unternehmensbefragung zum Fachkräftemangel durch.1 Im Jahr 2018 gaben 33 Prozent der befragten Personalverantwortlichen in der Schweiz an, Schwierigkeiten bei der Rekrutierung zu haben. Weltweit liegt dieser Anteil bei 45 Prozent. Der deutlich höhere internationale Wert zeigt: Hierzulande ist der Fachkräftemangel vergleichsweise gering ausgeprägt.

Drei Gründe erklären dieses Ergebnis: Die Schweiz ist aufgrund der wirtschaftlichen Schwächephase nach dem Frankenschock in einem frühen Stadium des Aufschwungs. Wir sind deshalb noch nicht so stark wie andere Länder von einem allgemeinen Arbeitskräftemangel betroffen. Zweitens verfügt die Schweiz über ein gutes System der universitären und beruflichen Aus- und Weiterbildung, weshalb inländische Arbeitskräfte in der Regel sehr gut qualifiziert sind. Drittens ist die Schweiz ein kleines, aber für Zuwanderer attraktives Land. Fehlende Fachkräfte können deshalb erfolgreich im Ausland gewonnen werden. Insbesondere eröffnen die geringen Migrationsbarrieren zu den benachbarten gleichsprachigen Ländern mit knapp 220 Millionen Einwohnern Zugang zu einem riesigen Fachkräftereservoir.

Mit den Daten der Manpower Group lässt sich der grosse Einfluss der Migration auf die Ausprägung des Fachkräftemangels verdeutlichen: Stieg der Ausländeranteil in einem entwickelten Land zwischen 2005 und 2017 um einen Prozentpunkt, nahm der Anteil der Unternehmen mit Rekrutierungsschwierigkeiten in diesem Land um durchschnittlich 4,2 Prozent ab.

Eine subjektive Einschätzung

Ob in einer Branche oder einem Beruf von fehlenden Fachkräften gesprochen werden kann, ist mit vielen subjektiven Elementen verbunden: Zwischen wie vielen Bewerbern können Personalverantwortliche auswählen? Wie gut passen die Kandidaten auf das gesuchte Profil? Aus diesem Grund ist die subjektive Arbeitsmarkteinschätzung durch Personalverantwortliche und Mitarbeitende aufschlussreich. Das Markt- und Sozialforschungsinstitut gfs-zürich hat hierzu 2018 im Auftrag von swissstaffing, dem Verband der Schweizer Personaldienstleister, eine Befragung unter Unternehmen und Temporärarbeitenden durchgeführt.

Die Unternehmen wurden gefragt, ob ihnen die Rekrutierung neuer Fachkräfte Schwierigkeiten bereitet. Die Temporärarbeitenden wurden wiederum um die Einschätzung gebeten, ob es durchschnittlichen Stellensuchenden mit ihrer Berufsqualifikation leicht fällt, eine neue Stelle zu finden. Die Angaben der Arbeitnehmenden zeigen, dass es im Gastgewerbe, in der Hotellerie und im Bausektor einfach ist, eine neue Stelle zu finden. Das legt nah, dass der Fachkräftemangel in diesen Branchen besonders stark ausgeprägt ist. Die Einschätzung der Arbeitgeberseite bestätigt dies. So klagen Personalverantwortliche dieser Bereiche überdurchschnittlich oft über eine schwierige Rekrutierungssituation.

Objektiv betrachtet

Eine Aufschlüsselung nach Berufen liefert der Fachkräftemangel Index, den die Adecco Group Schweiz gemeinsam mit dem Stellenmarkt-Monitor der Universität Zürich jährlich herausgibt.2 Dieser Index setzt die offenen Stellen verschiedener Berufsprofile ins Verhältnis zur Zahl der gemeldeten Arbeitslosen. Unter den zehn gefragtesten Berufsprofilen befinden sich gemäss der jüngsten Veröffentlichung Managementberufe wie Treuhänder und Geschäftsführende, technische Berufe wie Ingenieure und Informatiker sowie Juristen und Mediziner.

Erst durch die Betrachtung eines geeigneten Indikatorsystems entsteht ein zuverlässiges Bild, in welchen Branchen tatsächlich von einem Fachkräftemangel gesprochen werden kann und in welchen nicht. Unter den Berufen mit akademischem Hintergrund scheint der Fachkräftemangel im Management, in der Medizin und in technischen Berufen besonders ausgeprägt zu sein. Bei Berufen, die eine Berufsausbildung voraussetzen, fehlen Fachkräfte im Bau, in der Industrie und im Gastgewerbe. Im internationalen Vergleich steht die Schweiz jedoch dank einem hervorragenden Bildungssystem und guten Rekrutierungsmöglichkeiten im Ausland gut da.

Erfolgreiche Personalstrategien

Unabhängig von der aktuellen Arbeitsmarktsituation in der Branche und den Berufsbildern ist es stets das Ziel eines Personalverantwortlichen, die besten Talente für das Unternehmen zu gewinnen und zu halten. Je knapper jedoch Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt sind, umso schneller und stärker wirken sich Versäumnisse auf die Zusammensetzung der Belegschaft und die damit verbundenen personellen Herausforderungen aus. Durch die Zusammenarbeit mit Personaldienstleistern erhält das Unternehmen Zugang zu bestehenden Talentpools der Personaldienstleister und kann von deren Personalgewinnungsstrategie profitieren: Zahlreiche Fachkräfte nutzen die gute Arbeitsmarktlage bewusst, um als Temporärarbeitende und Freelancer flexibel zu arbeiten.

Über Temporärarbeit kann ein Unternehmen ausserdem Fachkräfte für Projekte beiziehen, zu denen es ohne diese flexible Arbeitsform keinen Zugang hätte. Mit der Digitalisierung und Automation der Wirtschaft wird auch das Personalwesen komplizierter. Unternehmen, die als Pioniere vorangehen und neue Dienstleistungen in der Rekrutierung einsetzen, können Wettbewerbern einen Schritt voraus sein.

Denn aufgrund der Komplexität der digitalen Angebote ist es für Personaldienstleister und Softwareanbieter heute nahezu unmöglich, alle Dienstleistungen aus einer Hand anzubieten. Die nahe Zukunft im Personalwesen gehört daher dynamischen Firmennetzwerken, die Innovationen im Personalwesen gemeinsam voranbringen und für die Wirtschaft nutzbar machen. Das Wettrüsten im Kampf um Fachkräfte hat gerade erst begonnen.

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Marius Osterfeld ist Ökonom bei ­swissstaffing.

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