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Firmenkulturen legen Frauen dicke Brocken in den Weg

Die berufliche Situation von Frauen und Männern in technischen Berufen unterscheidet sich erheblich. Eine Studie identifiziert dysfunktionale Merkmale von Unternehmenskulturen als grösstes Karrierehemmnis für Frauen.

Technik und IT sind die bis heute am stärksten männlich geprägten Berufsfelder in der Schweiz. Seit den 70er-Jahren gibt es viele empirische Studien und theoretische Ansätze, die die familiäre und schulische Sozialisation als Ursachen dafür sehen, dass Frauen in technischen Berufen unterrepräsentiert sind. Dementsprechend konzentriert sich die Förderung des weiblichen Nachwuchses heute darauf, die technischen Kompetenzen und das Interesse für Technik bei Mädchen und jungen Frauen zu erhöhen.

Ende der Leaky Pipeline unter die Lupe nehmen

Neben dieser Nachwuchs-Baustelle ist es sinnvoll, auch das Ende der sogenannten Leaky Pipeline zu untersuchen: Warum verliert das Schweizer Bildungssystem und die Arbeitswelt Frauen für Ingenieur-Berufe? Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms NFP 60 (siehe Kasten unten) hat das Forschungsbüro Rütter + Partner die Studie «Frauen in Ingenieur-Berufen – gesucht und respektiert?» durchgeführt. Das Forschungsprojekt nimmt die berufliche Situation und die Entwicklungsmöglichkeiten von Ingenieurinnen unter die Lupe. Empirische Grundlage der Resultate sind Fallstudien in zehn Grossunternehmen und KMU sowie Daten der AbsolventInnen-Befragungen des Bundesamtes für Statistik (BFS) und einer repräsentativen Befragung von Alumni der beiden Eidgenössischen Technischen Hochschulen und von Fachhochschulen.

NFP 60: 21 Forschungsprojekte zur Gleichstellung

Die Studie «Frauen in Ingenieur-Berufen – gesucht und respektiert?» ist Teil des Nationalen Forschungsprogramms «Gleichstellung der Geschlechter» (NFP 60). Die Forscherinnen und Forscher des NFP 60 untersuchen, warum in der Schweiz weiterhin Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern bestehen. In 21 Projekten erarbeiten sie fundiertes Wissen zu allen zentralen Bereichen der Gesellschaft. Im Mittelpunkt steht die Analyse der Arbeitswelt, der Bildungs- und Karrierechancen sowie der Familien und Privathaushalte. Das NFP 60 wird im Auftrag des Bundesrates vom Schweizerischen Nationalfonds durchgeführt.

Das HR Today wird in einer Serie bis Ende des Jahres die Ergebnisse aus vier Studien vorstellen. In Ausgabe 6 erhalten Sie Einblick ins Forschungsprojekt «Gleichstellung bei älteren Arbeitnehmenden».

Beruflicher Status unterscheidet sich deutlich

Ingenieurinnen und Ingenieuren fällt der Berufseinstieg im Vergleich zu anderen Berufsgruppen relativ leicht. Der Fachkräftemangel macht Hochschulabsolventinnen und -absolventen technischer Studienrichtungen auf dem Arbeitsmarkt begehrt – die Erwerbstätigenquote liegt bei ihnen deutlich oberhalb, die Arbeitslosenquote deutlich unterhalb derjenigen anderer Fachrichtungen. So weit die objektiv messbaren Daten. Die subjektiven Einschätzungen fallen jedoch bei den Frauen im Vergleich zu den Männern negativer aus: So geben ein Jahr nach Studienabschluss 24 Prozent der Absolventinnen der Eidgenössischen Technischen Hochschulen und 30 Prozent der Absolventinnen von Fachhochschulen an, dass sie Schwierigkeiten hätten, nach dem Studienabschluss einen Job zu finden – gegenüber 22 Prozent beziehungsweise 20 Prozent der Männer. Rund ein Drittel dieser Absolventinnen von ETHZ und EPFL sowie rund ein Viertel der FH-Ingenieurinnen führen dies auf ihr Geschlecht zurück.

Weiter bestätigen sich bei den Absolventinnen einige Klassiker der Genderforschung: So arbeiten Ingenieurinnen schon in jungen Jahren häufiger Teilzeit als Ingenieure und sind in der Familie hauptsächlich für die Kinderbetreuung zuständig. Auch bezüglich beruflicher Position und Einkommen öffnet sich die Geschlechterschere in den ersten fünf Berufsjahren bereits deutlich: Frauen weisen häufiger als Männer keine Führungsfunktion auf und verdienen weniger. Ausserdem ziehen sich Ingenieurinnen in den ersten fünf Jahren leicht bis stark aus der Industrie und aus Grossunternehmen zurück. Sie wechseln in KMU und staatliche Betriebe oder machen sich selbständig. Im späteren Berufsleben erhärten sich diese Trends weiter.

Unternehmenskulturen bevorzugen Männer

Wo sind die Ursachen dieser Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern zu suchen, die es nach Einschätzung von Personalverantwortlichen und Führungskräften gar nicht geben dürfte? Denn diese halten Chancengleichheit und Gleichstellung in ihren Unternehmen grösstenteils für bereits realisiert und meinen, dass bei Personalentscheiden allein Leistung und Kompetenz zählen.

Für die Erklärung muss man die explizit geäusserte Wahrnehmung von HR- und Linien-Verantwortlichen beiseiteschieben und tiefer graben. Sie liegt in den historisch gewachsenen und stabilen Grundannahmen darüber, wer in den Unternehmen wie Karriere macht.

Hemmnisse wirken dabei aus zwei Richtungen auf die beruflichen Möglichkeiten von Frauen: Erstens schreiben Personalverantwortliche und Führungskräfte Frauen stereotype Persönlichkeitsmerkmale, Fähigkeiten und Verhaltensweisen zu, die den Kriterien für Karriereaspiranten entgegenstehen. Zweitens entsprechen die Berufsbiografien vieler Frauen aufgrund familiärer Verpflichtungen tatsächlich nicht der Normalbiografie männlicher Mitarbeiter in diesen Unternehmen.

Vor allem drei Elemente der Unternehmenskulturen in der Schweizer Industrie mindern die Karrierechancen von Frauen:

  • Karrierehemmnis 1: 
Fachkompetenz überbewertet
    Die Faszination für Technologie führt dazu, dass nicht nur Fach-, sondern auch Führungskräfte eher nach ihren fachlichen beziehungsweise technologischen Kompetenzen ausgewählt werden und Kriterien wie Sozial- und Führungskompetenzen untergeordnet sind. Führungskräfte haben den Anspruch, selbst noch möglichst viel operativ tätig zu sein, und betrachten Managementaufgaben oft als weniger wichtig. Sie gehen davon aus, dass ihre Akzeptanz als Führungskraft bei den Mitarbeitenden von ihren fachlichen Fähigkeiten und weniger vom Führungsstil abhängt. Fatal für Frauen ist, dass ihnen stereotyp vor allem Sozial- und Führungskompetenzen (bezogen auf «menschliche» Aspekte) zugeschrieben werden.
  • Karrierehemmnis 2: 
Männlich geprägte Unternehmenskulturen
    Die Linienverantwortlichen assoziieren mit Führungskräften Eigenschaften wie Entscheidungsfreudigkeit, Durchsetzungsvermögen und Machtorientierung – alles Charakteristika, welche die Linie Männern zuschreibt. Zudem lehnen viele Frauen männliche Machtspiele ab, wie aggressives Gebärden in Sitzungen, die Hackordnung in Teams oder das typische Bierchen nach Feierabend – zu ihrem Nachteil, weil sie nicht wahrgenommen werden oder wichtige Informationen an ihnen vorbeigehen.
  • Karrierehemmnis 3: Präsenzkultur
    Die Linien-Verantwortlichen erwarten von Mitarbeitenden und (potenziellen) Führungskräften, dass diese sich mit vollem Engagement dem Beruf widmen. Belastbarkeit und Flexibilität sind hoch angesehen und werden bei Führungsanwärtern und -anwärterinnen mit Auslandseinsätzen und dem Bewältigen-Können von Krisenprojekten geprüft. Dies ist nach wie vor das grösste Karrierehindernis für Personen, die sich familiären Aufgaben widmen möchten beziehungsweise müssen – in der Mehrzahl heute (noch) Frauen. Teilzeitpensen und Arbeitsunterbrüche wie Mutterschaftspausen lehnen die Führungskräfte überwiegend ab. Argumentiert wird da oft mit Gründen der Arbeitsorganisation oder der Akzeptanz bei anderen Teammitgliedern. Engagement wird oft mit Präsenz gleichgesetzt. Zudem schätzen die Führungskräfte Frauen als wenig flexibel und wenig an einer Karriere interessiert ein.

Entscheider suchen nach «Gleichen»

Personalentscheide sind fast immer mit grosser Unsicherheit verbunden. Deshalb versuchen die Entscheider, diese abzustützen, indem sie ihren Bauch befragen und ihr Team oder Peers hinzuziehen. So besteht jedoch die Gefahr, dass sich die Verantwortlichen zu sehr davon leiten lassen, wie sehr der Kandidat ihnen selbst gleicht, beziehungsweise von der Meinung ihrer überwiegend reinen Männerteams, die Frauen oft noch als irritierende Störfaktoren wahrnehmen.

Gleichstellungs- oder Diversitystrategien münden meist in strukturellen Massnahmen: Unternehmen richten Kinderkrippen ein oder ermöglichen Teilzeitarbeit. Andere bieten auch Frauennetzwerke oder Mentoring-Programme an. Alles richtige und wichtige Massnahmen – sie werden jedoch die dysfunktionalen Elemente der Unternehmenskulturen, an denen Frauen scheitern, nicht beseitigen. Es erscheint angesichts der Resultate des NFP-60-Projekts notwendig, diese Störfaktoren bewusst zu machen und entsprechende Change-Prozesse in den Unternehmen anzustossen.    

NFP 60 kennenlernen

Meeting Point Forschung und Praxis am 12. September um 18.15 Uhr in Zürich

HR Today fördert den Wissenstransfer zwischen Forschenden und Praktikern: Erfahren Sie mehr über die aktuellen Forschungsergebnisse der NFP-60-Projekte. Nach einer kurzen Projekt-Präsentation wird der Austausch zwischen Ihnen und den Forschenden im Mittelpunkt stehen.

Die NFP-60-Studien, die vorgestellt werden:

  • 
«Frauen in Ingenieur-Berufen – gesucht und respektiert?»: Anja Umbach-Daniel (Projektleiterin Rütter + Partner).
  • 
«Geschlechterungleichheiten in Ausbildungs- und Berufsverläufen»: Prof. Andrea Maihofer (Leiterin Zentrum Gender Studies, Basel).

Für Infos wenden Sie sich an sz(at)hrtoday.ch

  • Das Projekt entwickelte auch ein Workshop-Konzept 
für die Arbeit mit Geschäftsleitungen und Führungskräften und testet dieses bis Sommer 2013 in Betrieben. 
    Die Studie wird im Mai 2013 abgeschlossen. Interessenten/-innen für den Schlussbericht können der Projektleitung ein Mail senden (anja.umbach(at)ruetter.ch) mit dem kurzen Vermerk «Schlussbericht NFP 60».
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Anja Umbach-Daniel leitet das NFP-60-Forschungsprojekt. 
Die Soziologin ist 
beim Forschungsbüro 
Rütter + Partner 
verantwortlich für den Bereich Bildung + 
Arbeit.

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