Personalentwicklung 2.0

Häppchen für Häppchen – 
Lernen in Mini-Einheiten

Microlearning, das Lernen in kleinen Portionen, ist zwar kein ganz neues Phänomen. 
Doch dank der Verbreitung von Smartphones entwickeln Firmen zunehmend Microlearning-
Programme für mobile Endgeräte.

One word a day – ein Wort pro Tag – verspricht der deutsche Gratislernservice www.owad.de. Wer diesen abonniert, erhält täglich ein Mail mit einem englischen Wort und drei Vorschlägen, was dieses bedeuten könnte. Ein Beispiel: «overhead bin» bedeutet

a) a hat that is worn in the winter
b) a stowage compartment on an aircraft
c) 
a rubbish container that animals cannot reach

Klickt man a) oder c) an, erhält man auf einer sich neu öffnenden Internetseite eine abschlägige Antwort, und bei b) wird man mit einem «Your choice was right!» und der deutschen Übersetzung «Gepäckablage im Flugzeug» belohnt. Damit man sich das Wort wirklich einprägen kann, folgen Textschnipsel aus den Medien, die «overhead bin» enthalten.

China-Knigge auf dem Smartphone inklusive Aussprache-Übungen

Das ist ein typisches Beispiel für Microlearning. Der Begriff steht für das Lernen mit kleinen und kleinsten Inhalten, sogenanntem Microcontent. In der Regel ist dabei ein elektronisches Gerät involviert. Das kann zum Beispiel ein PC sein, aber auch ein Smartphone, welches es erlaubt, die Lerneinheit an einem beliebigen Ort abzurufen. Verschiedene Begriffe beziehen sich auf diese Lernart: Neben Microlearning ist auch die Rede von Microcontent Learning, Wissenshäppchen oder Learning Nuggets.

Microlearning kann spontan erfolgen. Etwa wenn man in einem Text auf ein Fremdwort stösst und dieses sogleich im Internet nachschlägt, sich also das Wissen holt, das man für den Beruf braucht.

Microlearning kann aber auch im Rahmen eines regelmässigen Programms beziehungsweise einer Ausbildung oder eines Trainings erfolgen. Claudia M. König, Kommunikationswissenschaftlerin und Karrierecoach mit eigenem Unternehmen in Aachen und Hannover, hat eine Seminarreihe für Führungskräfte entwickelt und setzt dabei das Microcontent-Lernen als begleitende Massnahme ein. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Wirtschaftsinformatik der Leibniz Universität Hannover kreierte sie unter anderem einen China-Knigge: Führungskräfte erhalten auf ihren mobilen Endgeräten neun Aufgaben, die sich rund um den fiktiven Geschäftspartner Mister Wang drehen. Die einzelnen Aufgaben tragen Titel wie «Guten Tag! Begrüssung in chinesischer Sprache», «Händeschütteln in China», «Konversation mit Mr. Wang» oder «Tischsitten». Die Lerneinheit «Guten Tag» enthält unter anderem auch die korrekte chinesische Aussprache in einer Audio-Datei. Die Bearbeitung jeder Einheit dauert 10 bis 15 Minuten.

Mit spielerischen Elementen neue Zielgruppen ansprechen

Die Vorteile vom Microlearning mit mobilen Geräten liegen auf der Hand: Lernen ist möglich zu jeder Zeit an jedem Ort. «Den China-Knigge lesen und bearbeiten Sie zum Beispiel auf dem Flug nach China, um gut vorbereitet zu sein», so König. Auch können mit Micro-learning neue Lernzielgruppen angesprochen werden. Udo Sonne, zuständiger Manager für die Themen digitale Medien und Lernsysteme bei der Deutschen Lufthansa AG: «Wir können mit Microlearning die Reichweite erhöhen und auch jene erreichen, die eigentlich nie Zeit haben, insbesondere Führungskräfte.» (Zum Projekt der Lufthansa s. Kasten.)

Auch sinkt die Lern-Hemmschwelle, für weniger lernaffine Leute tut sich eine Möglichkeit auf. Christian Swertz, Professor für Medienpädagogik an der Universität Wien: «Technikbegeisterte Menschen, die ihr iPhone lieben, können durch Microlearning eine 
Motivation zum Lernen finden.» Auch Roman Spiess, Leiter Kompetenzzentrum Neue Medien beim Migros-Genossenschafts-Bund und mitverantwortlich für ein Microlearning-Pilotprojekt für Lernende im 3. Lehrjahr (siehe Kasten), sieht hier eine Chance: «Viele 17- bis 19-Jährige sind motivierter, wenn sie mit neuen Technologien lernen können. Dies auch deshalb, weil spielerische Elemente in das Lernen mit einbezogen werden können.»

Ein weiterer Vorteil kann die Möglichkeit der kontinuierlichen Wissensvermittlung sein. Ein Beispiel: Automobilhersteller senden den Autoverkäufern regelmässig Kurzinfos zu neuen 
Features. 

Positiv bewertet Christian Swertz die Möglichkeit, dass Mitarbeitende eines Unternehmens selbst Microcontent herstellen, zum Beispiel ein Video drehen und dieses anderen Personen innerhalb der Firma zur Verfügung stellen – und somit ihr Wissen weitergeben. Was dabei nötig sei, ist laut Swertz eine firmeninterne Stelle, welche die Qualität solcher Inhalte überprüft und diese dann freigibt, analog zu Wikipedia.

Die Lernqualität beurteilt Claudia M. König positiv: «Es wird nicht auf Vorrat gelernt, sondern Microlearning wird häufig just in time eingesetzt, man setzt das Gelernte gleich um. Man sollte zwar nicht dem Irrglauben verfallen, durch Microcontent umfassend Inhalte lernen oder ein Seminar samt Gruppendynamik ersetzen zu können. Aber man kann nach einem Intensivseminar mit speziell aufbereiteten Tools dafür sorgen, dass die gelernten Inhalte auch wirklich in den Arbeitsalltag transferiert werden können.» 

Lernen in Leerzeiten

Kontroverse Ansichten bestehen bezüglich des Lernens in Leerzeiten, also wenn man gerade nichts zu tun hat, zum Beispiel auf dem Arbeitsweg im Zug. Die einen loben diese Möglichkeit, Christian Swertz dagegen ist skeptisch: «Einerseits braucht der Mensch diese sogenannten Leerlaufzeiten, um seine Arbeit zu reflektieren. Und andererseits können die Firmen dies auch zur Ausdehnung des Jobs in den Freizeitbereich verstehen: Lernen ja, aber bitte nicht während der Arbeit!»

Grenzen bestehen vor allem im technischen Bereich. Neben den herkömmlichen PCs und Tablet-PCs eignen sich insbesondere Smartphones fürs Microlearning. Die unterschiedlichen Gerätetypen und Betriebssysteme bei den mobilen Endgeräten stellen zurzeit noch eine Herausforderung dar. Nicht jedes Programm läuft auf jedem Gerät. Sowohl Udo Sonne als auch Roman Spiess haben ihre Microlearning-Programme denn auch in verschiedenen Versionen parallel produziert. Sie sind aber beide überzeugt, dass es eine Frage der Zeit ist, bis dieses Problem gelöst sein wird.

Microlearning bei der Lufthansa

Weil bei der Deutschen Lufthansa zunehmend mehr mobile Endgeräte im Gebrauch sind, wurden vor einem Jahr zwei Projekte – mit freiwilliger Teilnahme – lanciert. Beim einen erhalten 50 Blackberry-Benutzer Standardlernmodule, sogenannte E-Nuggets, um sich bezüglich Softskills weiterzubilden, etwa in Gesprächs- und Präsentationstechnik.

Das andere Projekt ist eine Einführung in ein IT-Programm. Es handelt sich dabei um eine Bildergeschichte: Die zwei Chefs des IT-Projektes erscheinen in den E-Nuggets als Comicfiguren, die ihr Projekt vorstellen. Daneben werden auch Text, Bilder, Grafiken, Video und Audio genutzt. Es gibt Infos, Tipps, auch Checklisten, und jede Lerneinheit dauert zwei bis maximal vier Minuten.

Udo Sonne, zuständiger Manager für die Themen digitale Medien und Lernsysteme: «Für die Einführung grösserer Projekte ist diese Lernart optimal. Wir können die Leute Schritt für Schritt informieren, was auf sie zukommt. Das hat auch einen gewissen Teaser-Charakter.»

Als Stärke dieser Lernart bezeichnet Sonne das «Legokastensystem»: «Wir zerlegen unsere Lernprogramme in immer kleinere Module und haben dadurch die Möglichkeit, diese Einheiten je nach Zielgruppe individuell zusammenzubauen. Wir werden so immer flexibler in der Gestaltung neuer Lernszenarien und -umgebungen.»

 

Microlearning bei der Migros

Eine Umfrage bei allen Lernenden der Migros hat 2009 ergeben, dass:

  • 
sich 98 Prozent pro Woche mindestens 1x im Internet aufhalten,
  • 
80 Prozent ein Mobiltelefon besitzen und
  • 2/3 nicht nur im Schulzimmer, sondern auch online lernen möchten.

2010 startete daher das Pilotprojekt M-Learning (M steht sowohl für Migros wie auch für mobile) unter der Verantwortung von Edith Rutschmann, Leiterin Koordination Berufsbildung in der Migros-Gruppe und Roman Spiess, Leiter Kompetenzzentrum Neue Medien im Migros-Genossenschafts-Bund. 200 Detailhandelslernende des 3. Lehrjahrs aus drei Migros-Genossenschaften erhielten mobile Lerneinheiten zur Vorbereitung auf die Lehrabschlussprüfung.
«Neben den bestehenden, konventionellen Prüfungsvorbereitungen wollten wir den Lernenden etwas ‹Modernes› in die Hand geben», sagt Roman Spiess. Die Inhalte – Fragen und Antworten rund um den Detailhandel – bestanden bereits, fürs Microlearning-Projekt wurden sie für mobile Endgeräte aufbereitet: acht Module mit insgesamt 200 Fragen (Multiple und Single Choice sowie Zuordnungsaufgaben).

Und so funktioniert es: Nach der Beantwortung einer Frage sieht man die Lösung, erhält ein differenziertes Feedback sowie Hinweise auf weiterführende Informationen im entsprechenden Lehrmittel. Eine implementierte Funktion sorgt zudem dafür, dass richtig beantwortete Fragen ausgefiltert werden und die Lernenden sich auf die falsch beantworteten beziehungsweise noch nicht beantworteten Fragen konzentrieren können.
Die Erkenntnisse aus dem Pilotprojekt: «Diese neue Art des Lernens kommt bei den jungen Leuten sehr gut an», so Roman Spiess. Einige Kennzahlen verdeutlichen dies:

  • • 
2/3 der Lernenden haben M-Learning genutzt, wobei
    · 
50 Prozent vor allem am PC,
    · 
40 Prozent vor allem mit dem iPhone und
    · 
10 Prozent vor allem mit einem anderen Mobiltelefon gelernt haben.
  • 
2/3 der M-Learning-Nutzenden haben vor allem unterwegs gelernt.
  • 
90 Prozent aller Lernenden haben mindes-tens 5 Minuten gelernt, wenn sie M-Learning gestartet haben.
  • 
85 Prozent sagten, dass sie sich M-Learning auch für die Prüfungsvorbereitung in anderen Fächern wünschten.

Die Vorteile dieser Art zu lernen sind laut Roman Spiess, dass die Lernenden orts- und zeitunabhängig lernen und das Lerntempo individuell bestimmen können. «Zudem hoffen wir auf diese Weise, Lernende mit einer vorhandenen Leseschwäche anzusprechen, die diese dank ihrer Affinität zu modernen Technologien ein Stück weit kompensieren können.»

In diesen Tagen startet der zweite Pilotversuch, der bis zur Lehrabschlussprüfung im Sommer dauert. Ist auch dieser erfolgreich, dürfte das M-Learning weitere Verbreitung finden. Roman Spiess: «Wir werden wahrscheinlich künftig noch mehr Berufsgruppen einbeziehen, Lerninhalte für mehrere Fächer anbieten und eventuell auch Programme für Lernende im ersten und zweiten Lehrjahr entwickeln.»

 

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Franziska Meier ist Redaktorin und Produzentin mit langjähriger Erfahrung im Zeitungs- und Zeitschriftenbereich. Als Chefredaktorin des Magazins «fit im job» sowie als Fachredaktorin der Zeitschrift «HR Today» hat sie sich auf das Thema «Mensch, Arbeit & Gesundheit» spezialisiert. Zu ihren journalistischen Schwerpunkten gehören insbesondere Persönlichkeitsentwicklung, Coaching, Stressprävention und betriebliches Gesundheitsmanagement. Achtsamkeit praktiziert sie manchmal im Schneidersitz, öfter jedoch auf ihren Spaziergängen rund um den Türlersee.

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