Ethik

HR-Management: Wächter der Ethik?

Das ethische Verhalten einer Organisation gewinnt zunehmend an Relevanz. Dem HRM kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Was bedeutet Ethik im Unternehmenskontext?

Was ist Ethik? Im Duden wird der Begriff mit «Sittenlehre» und «Moralphilosophie» definiert, doch auch damit wird nicht eindeutig klar, was damit gemeint ist. Jeder Mensch versteht wohl etwas anderes unter dem Begriff. Fragt man Ethikprofessor Markus Huppenbauer von der Universität Zürich, unterscheidet er zunächst zwischen Moral und Ethik: «Unter Moral sind die Normen und Werte in einer Gesellschaft zu verstehen, die das richtige Handeln im Zusammenleben regeln. Ethik ist die Reflexion über die Moral», so Huppenbauer. Jedes Individuum verfüge über eine Moral und somit sei auch jeder Mensch in gewisser Weise Ethiker, weil er darüber nachdenken müsse, wie er mit anderen zusammenleben wolle.

Eine kurze und knappe Definition liefert Ulrich F. Zwygart, Professor an der Universität St. Gallen und Experte für Führungsfragen: «Ich definiere Ethik mit verantwortungsbewusstem Handeln.» Im Unternehmenskontext heisst das für Zwygart, dass das Unternehmen die staatlichen Gesetze und seine eigenen Werte einhält. Ob sich ein Unternehmen aber effektiv danach richtet, sei gar nicht so einfach zu erkennen. Unethisches Verhalten dagegen sei leichter erkennbar, etwa wenn Kunden belogen, Gesetze missachtet, Bestechungsgelder bezahlt, Insider-Geschäfte getätigt oder Gelder gewaschen würden. «Manager verhalten sich unethisch, wenn sie ihre Machtstellung missbrauchen, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen, gegen Normen und Wertvorstellungen der Firma verstossen oder Gesetze verletzen», so Zwygart.

Zur Person

Markus Huppenbauer ist Doktor der Philosophie und Titularprofessor für Ethik an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich. Dort leitet er den universitären Forschungsschwerpunkt Ethik. ­Huppenbauer ist zudem Gründungs- und Vorstandsmitglied des European Business Ethics Network Schweiz und Jury-Mitglied des Swiss Excellence Forums, welches den Swiss Ethics Award verleiht.

Prof. Dr. Ulrich F. Zwygart ist Executive in Residence an der Executive School of Management, Law and Technology der Universität St. Gallen, Consultant und Coach für Topmanager und Geschäftsleitungen, ehemaliger Chief Learning Officer der Zurich Insurance Group und in einer ähnlichen Funktion bei der Deutschen Bank in London tätig. Ulrich Zwygart gilt als Experte zum Thema Führung und hat dazu ­verschiedene Bücher verfasst.

Ethik als «Set von Wertvorstellungen»

Verantwortungsbewusstes Handeln erhält in vielen Unternehmen einen immer höheren Stellenwert. Fast jede Firma hat inzwischen einen «Code of Conduct» entworfen und die «Corporate Social Responsibility» im Firmenleitbild verankert. So auch die Raiffeisenbank. Pierin Vinzenz, Vorsitzender der ­Geschäftsleitung der Raiffeisenbank-Gruppe, definiert Ethik im Unternehmenskontext als «Set von Wertvorstellungen, die für das Unternehmen definiert werden müssen». Alle unternehmerischen Entscheide müssten dieser Definition unterworfen werden, sagte Vinzenz im Rahmen der Verleihung des Swiss Ethics Awards Ende Mai in Luzern. Für Huppenbauer ist Ethik in Unternehmen ebenfalls von fundamentaler Bedeutung. Ohne moralische Werte und Normen wie Ehrlichkeit, Respekt und Fairness könnten Firmen wirtschaftlich gar nicht funktionieren. Denn benehme sich eine Organisation unethisch, indem sie etwa Kunden belüge, so spreche sich das früher oder später herum, so dass länger­fristig niemand mehr mit ihr Geschäfte machen wolle. «Eine Hochglanzbroschüre mit dem Code of Conduct zu haben, reicht sicher nicht als ­Beweis für ethisches Handeln», so Huppenbauer.

Ethik nützt der Reputation

Finanziell gesehen ist der Nutzen von ethischem Verhalten unklar. «Bezüglich der Reputation ist es aber von Vorteil», betont der Ethiker. Wer sich ethisch benehme, gerate weniger unter Beschuss von Öffentlichkeit und Medien und verhindere, dass der Staat als Regulator eingreife. Verhalte sich allerdings eine ganze Branche unethisch, könne es für ein einzelnes Unternehmen wirtschaftlich von Nachteil sein, wenn es ethisch handle. Es kann aber auch das Gegenteil der Fall sein. Als Beispiel führt Huppenbauer jene Schweizer Banken an, die von Anfang an nicht auf Steuerhinterziehung setzten und jetzt keine Angst vor den US-Behörden haben müssen. «So wird ethisches Verhalten sogar zum Wett­bewerbsvorteil.»

Auch Ulrich Zwygart ist davon überzeugt, dass sich ethisches Handeln auszahlt. Benehme sich ein Unternehmen oder seine Topmanager unethisch, könne das bis hin zum Untergang der Firma führen – so geschehen etwa bei Enron. Oder aber das Unternehmen muss hohe Bussen zahlen – wie die Fälle der UBS und CS zeigen. «Wiederholt sich unethisches Verhalten, kann das zu Reputationsschäden mit vielfältigen negativen Folgen führen», folgert Zwygart. Ursprünglich habe sich Ethik im Unternehmenskontext vor allem auf ökologische Nachhaltigkeit bezogen, erklärt Ethikprofessor Markus Huppenbauer. Heute gehe es neben der Umwelt aber auch um soziale und damit HR-relevante Aspekte wie die Einhaltung der Menschenrechte, den Respekt gegenüber den Mitarbeitenden und Kunden oder um faire Löhne. «Zum ethischen Verhalten gehört dabei auch, dass Unternehmen sich verpflichten, Dinge zu tun, die über das gesetzlich Vorgeschriebene ­hinausgehen», fordert Huppenbauer. Generell glaubt er, dass das ethische Bewusstsein der Gesellschaft in den letzten zwanzig Jahren zugenommen hat. Gewisse Missstände wie Steuerhinterziehung oder Missachtung der Menschenrechte werden heute nicht mehr einfach geduldet.

Ethisches Bewusstsein wächst

Auch in den Führungsetagen findet mancherorts ein Umdenken statt. Kurse und Weiter­bildungen, etwa zum Thema «werteorientierte Führung», boomen. Gemäss Führungsexperte Ulrich Zwygart können «werteorientierte» und «ethische» Führung als Synonyme verwendet werden. Führen bedeutet für ihn, mit anderen Menschen Ziele zu erreichen. Diese Definition von Führung beinhaltet in dreifacher Hinsicht eine ethische Komponente:

  1. Menschen sind respektvoll und fair zu ­behandeln.
  2. Ziele, also Ergebnisse und Leistungen, sollen einen Mehrwert generieren.
  3. Die Führungskraft ist mit Bezug auf die Geführten und die Ziele verantwortlich und rechenschaftspflichtig.

«Ethisch handelt derjenige, welcher sich nicht nur von der kurzfristigen Gewinnmaximierung oder von persönlichen Vorteilen leiten lässt, sondern Vor- und Nachteile sowie mögliche Konsequenzen für die Anspruchsgruppen sorgfältig abwägt und sich vom langfristigen Wohl der Unternehmung leiten lässt», so Zwygarts Definition.

«Ethical Leadership» ist gemäss Markus Huppenbauer auch in der Forschung ein grosses Thema. Er unterscheidet dabei zwei Ebenen: Auf der Führungsebene soll der «Ethical Leader» selber moralisch integer sein, weil er nach dem Prinzip «Walk the Talk» eine Vorbildfunktion einnimmt. Auf Organisationsebene hingegen soll die Geschäftsleitung Organisationsstrukturen und ­Anreize entwickeln, die es dem Mitarbeitenden erlauben und ermöglichen, sich ethisch zu verhalten. «Zum Beispiel, indem keine überrissenen Gewinnziele gefordert werden, sondern das Anreizsystem so gestaltet ist, dass sich die Mitarbeitenden ethisch verhalten können», erklärt Huppenbauer. Deshalb plädiert der Ethikprofessor dafür, auch moralisches Verhalten mit monetären Anreizen zu belohnen.

Das HRM als «Wächter der Ethik»

In Bezug auf Ethik komme dem HRM eine grosse Bedeutung zu, meint Ulrich Zwygart. Für ihn sind HR-Manager nichts weniger als die «Wächter der Ethik». Von ihnen könne einerseits erwartet werden, verantwortungsbewusstes Handeln vorzuleben und andererseits Verstösse gegen die Ethik der Geschäftsleitung oder dem Verwaltungsrat zu melden. Auch Markus Huppenbauer schreibt der Personalabteilung eine entscheidende Rolle zu. Dabei gäbe es zwei Möglichkeiten, wie ein Unternehmen Ethik im Alltag umsetzen kann: Die Compliance-Strategie hält in einem Code of Conduct und weiteren, oft sehr detaillierten Regeln fest, wie sich Mitarbeiter in welcher Situation verhalten müssen. «In diesem Fall müssen die Mitarbeitenden primär die vor­gegebenen Regeln befolgen, und nicht per se anständig sein.» Andererseits kann das Unternehmen aber auch Mitarbeitende anstellen, die von sich aus ethisch handeln und integer sind. Setzt ein Unternehmen auf die Integrität seiner Mitarbeitenden und pflegt es auch eine entsprechende Kultur, «kommt dem HR eine bedeutende Rolle zu, denn es muss diese Leute rekrutieren und identifizieren», erklärt Markus Huppenbauer und resümiert: «Ethik muss Teil der Unternehmensstrategie sein, sonst kann Ethik nicht wirkungsvoll umgesetzt werden.»

Exklusiver Führungszyklus mit Prof. Dr. Ulrich F. Zwygart

Im September 2014 lancieren Swiss Venture Club und SIB einen exklusiven Führungszyklus unter der Leitung von Prof. Dr. Ulrich F. Zwygart. Der Zertifikatskurs «Werteorientierte Führung für KMU» vermittelt erfahrenen Führungskräften in neun Monaten die Grundlagen der wertebasierten Führung für die erfolgreiche Umsetzung im Unternehmen.

HR Today-Abonnenten profitieren von Sonderkonditionen (SVC-/KV-Rabatt). ­Weitere Infos und Anmeldung: www.sib.ch/wfk

 

«Ethisches Verhalten ist unser USP»

Das Swiss Excellence Forum hat im Mai zum sechsten Mal den Swiss Ethics Award verliehen. Unter den fünf Nominierten war auch die Firma Knecht & Müller, die Brillengläser herstellt. Das Familienunternehmen mit Sitz in Stein am Rhein beschäftigt 50 Mitarbeitende und feiert 2014 sein 100-Jahr-Jubiläum. Die Firma legt grossen Wert auf nachhaltiges und verantwortungsbewusstes Handeln. Die Award-Jury hob vor allem die nachhaltige Geschäftsstrategie und das Innovationsbewusstsein der Firma hervor und attestierte Knecht & Müller eine «hohe moralische Güte».

Frau Müller, was ist für Sie ethisches Verhalten?

Christina Müller*: Ethik ist ein weiter Begriff. Für mich bedeutet ethisches Verhalten, verantwortungsbewusst mit dem Gegenüber umzugehen und zu überlegen, was für Auswirkungen mein Tun und meine Entscheide auf andere haben, auf Mensch und Umwelt.

Inwiefern verhält sich Ihr Unternehmen ethisch?

Wir achten darauf, dass Entscheide für andere verträglich sind, wir berücksichtigen unser Umfeld und unsere Umwelt. Wir schonen die Ressourcen, arbeiten nachhaltig und sind unseren Mitarbeitenden gegenüber sozial. Zudem bieten wir intern viele Weiterbildungen an, etwa Gesundheitsseminare, Yoga, Walkingkurse und Kurse zum Umgang mit Energie-Ressourcen. Wir versuchen, unsere Mit­arbeitenden zu unterstützen und sie für die Zukunft fit zu machen. Es ist allerdings eine Gratwan­derung, da auch der ökonomische Aspekt eine Rolle spielt.

Führungskräfte sind immer auch Vorbilder. ­Inwiefern ist das bei Knecht & Müller der Fall?

Wir gehen einfach menschlich miteinander um, erklären Entscheide, damit sie nachvollziehbar sind, informieren unsere Mitarbeitenden über Nachhaltigkeit und zeigen ihnen auf, was wir durch die Schonung unserer Ressourcen an Kosten eingespart haben.

Wie sparen Sie Ressourcen ein?

Die Produktion von Brillengläsern braucht sehr viel Wasser. Wir konnten die Menge seit 2000 um 16 Prozent reduzieren. Auch den Stromverbrauch konnten wir durch eine bessere Auslastung der Maschinen verringern. Den Rest kompensieren wir, somit sind wir klimaneutral.

Worauf basiert Ihre Unternehmensstrategie?

Auf den sechs Säulen Effektivität, Effizienz, Ressourcenpflege, Schutz vor Belastung, Gerechtigkeit und Solidarität.

Was bedeuten diese Säulen genau?

Effektivität bedeutet für uns, dass wir technisch immer auf dem neusten Stand sind und aus Reklamationen unserer Kunden lernen. Effizient sind wir, weil wir die Produktivität verbessern wollen, dabei aber darauf achten, dass die Wertschöpfung in der Schweiz bleibt. Ressourcenpflege heisst, dass wir zufriedene Mitarbeitende wollen und den Material- und Wareninput prüfen. Schutz vor Belastung garantieren wir, indem wir die Arbeitszeiten möglichst verträglich gestalten. Dies steht allerdings etwas im Kontrast zum Kundendruck: Einerseits wollen wir die Mitarbeiter schützen, andererseits die Kunden zufrieden stellen, die eine rasche Lieferung wünschen.

Und Gerechtigkeit und Solidarität?

Wir sind transparent in Bezug auf die Lohnspanne: Unsere Mitarbeiter kennen das Verhältnis vom höchsten zum tiefsten Lohn. Zudem spenden wir viel zum Nutzen der Allgemeinheit, engagieren uns lokal bei Vereinen und Institutionen.

Was bringt Ihnen die Nominierung zum Swiss Ethics Award?

In unserer Branche sind alle unsere Mitbewerber ähnlich bezüglich Service, Produkt und Preis. Durch die Nominierung und unser ethisches Verhalten können wir uns von der Konkurrenz abheben, es ist unser USP. Gerade neulich hat sich ein Kunde wegen der Werte, die wir vertreten, für uns entschieden. Wie viel die Nominierung aber aus wirtschaftlicher Sicht wirklich bringt, ist unklar.

  • *Christina Müller ist Mitinhaberin, Mitglied der ­Geschäftsleitung und Leiterin Marketing der Schaff­hauser Brillengläser-­Herstellerin Knecht & Müller.
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