Heft Nr. 11/2015: Laufbahnentwicklung

Knowledge Worker 
entwickeln und binden

Die Suche nach hochqualifizierten Fachspezialisten ist in Zeiten des demografischen Wandels 
und Fachkräftemangels besonders herausfordernd und kostenintensiv. Eine Auseinandersetzung 
mit den Karrieremotiven dieser Knowledge Worker hilft dabei, attraktive Laufbahnmöglich
keiten zu entwickeln und damit die Personalgewinnung und -bindung wirksamer zu gestalten.

Nicht nur die Komplexität heutiger Arbeitsprozesse, sondern auch die disruptive Entwicklung digitaler Technologien und Businessmodelle macht uns eines bewusst: Die Wissens- und Innovationspotenziale der Mitarbeitenden sind definitiv zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor für Unternehmen geworden. Dies gilt insbesondere für Expertenorganisationen und innovationsbasierte Unternehmen, die auf das weit verzweigte Fach- und Branchenwissen, die Analyse- und Problemlösefähigkeiten und die Kreativität schwer ersetzbarer Spezialisten angewiesen sind. Umso mehr überrascht es, wie wenig intensiv sich die deutschsprachige HR-Forschung bis dato mit der Frage auseinandergesetzt hat, was diese am Arbeitsmarkt stark umworbenen Schlüsselpersonen mit einer attraktiven beruflichen Entwicklungsperspektive verbinden und wie betriebliche Karriere- und Anreizsysteme zielgruppenadäquat gestaltet werden können.

Arbeits- und Karrierewelten im Wandel – 
Herausforderungen für das HR-Management

In den vergangenen zwanzig Jahren ist viel über fundamentale Umbrüche in den Mustern und Spielregeln beruflicher Karrieren geschrieben worden, während die Karriereforschung manch spektakulärer These ihren Glanz nahm. Nüchtern betrachtet lassen sich allerdings folgende Veränderungen der Arbeits- und Karrierewelten festhalten:

  • 
Abnehmende Planbarkeit: Der beschleunigte technologische Wandel und die Erfordernis permanenter Anpassungsprozesse auf strategischer und organisatorischer Ebene entziehen dem klassischen Ansatz organisationaler Karriereplanung seine Grundlage. Viele Berufstätige halten ihren Entwicklungsweg zudem bewusst offen.
  • Individualisierte Karrieresteuerung: Der gesellschaftliche Wertewandel in Richtung Individualisierung und Selbstverwirklichung hat bewirkt, dass viele Individuen ihre berufliche Entwicklung selbst in die Hand nehmen und entlang persönlicher Vorstellungen und Ziele aktiv gestalten.
  • Pluralisierte Karrieren: Galten der positionale Aufstieg und der betriebliche Status einer Führungsposition lange als unhinterfragte Insignien erfolgreicher Karrieren, orientieren sich heutige Nachwuchs- und Fachkräfte kaum noch an der klassischen, linear verlaufenden Führungslaufbahn. Arbeitgeber-, Berufs- und Tätigkeitswechsel sowie Aktivitäten eines Lifelong Learnings gewinnen an Bedeutung. Als erfolgreich gilt immer mehr, wem es gelingt, eine sinnstiftende und spannende Berufstätigkeit mit einem erfüllten Privatleben vereinbaren zu können.

Buchtipp

Das Buch «Karrieremanagement in wissensbasierten Unternehmen» zeigt auf, was Knowledge Worker unter attraktiven Arbeitsbedingungen und Entwicklungsperspektiven verstehen und wie sich hiervon ausgehend innovative Laufbahnmodelle entwickeln lassen. Es richtet sich an Lesende, die wissenschaftlich fundierte und praxisnahe Umsetzungsmöglichkeiten für die Laufbahnentwicklung in wissensbasierten Unternehmen suchen.

Kels, P., Clerc, I., Artho, S. (2015): Karrieremanagement in wissensbasierten Unternehmen. Innovative Ansätze zur Karriereentwicklung und Personalbindung. Springer Gabler, Wiesbaden.

Karrieretypen im wissensbasierten 
Unternehmen

Im Rahmen eines von der KTI geförderten Forschungsprojekts unter der Leitung des Verfassers wurde untersucht, was Knowledge Worker punkto Arbeit und Entwicklungsmöglichkeiten nachhaltig motiviert und wie wissensbasierte Unternehmen hierauf aufbauend Karriere- und Personalbindungssysteme ausrichten können. Auf Grundlage von insgesamt 45 berufsbiografischen Interviews mit Fachspezialistinnen und Projektleitenden1 konnten fünf tätigkeitsfeld- und unternehmensübergreifende Karrieretypen 
identifiziert werden. Jeder Karrieretyp steht für ein spezifisches Muster an Arbeits- und Karrieremotiven, mit denen sich unterschiedliche Erwartungen an die eigene Laufbahnentwicklung verbinden (siehe Kasten).

Führungskräfte müssen ihr Rollenrepertoire erweitern

Wissensbasierte Unternehmen stehen vor der Herausforderung, wirksame Ansätze der Personalgewinnung, -entwicklung und -bindung zu erarbeiten, damit sie das Potenzial ihrer fachlichen Leistungsträger mittel- bis längerfristig nutzen können. Weder die Beförderung der besten fachlichen Talente zur mittelmässigen bis überforderten Führungskraft noch das Aufpolieren verstaubter Fachkarrieremodelle wird hierbei zielführend sein. Aussichtsreicher hingegen ist die Etablierung eines «integrierten Karrieremanagementsystems», das attraktive, gegeneinander durchlässige Karrierewege (unter anderem Fach-, Projekt- und Portfoliolaufbahnen) sowie massgeschneiderte Entwicklungs- und Förderangebote unter einem Dach vereint (siehe Kels u. a. 2015). Damit dieses System mit Leben gefüllt wird, müssen Linienführungskräfte und HR-Verantwortliche ihr heutiges Rollenrepertoire erweitern:

  • Change Agents & Karrieresystementwickler haben die Aufgabe, im Unternehmen plurale Karriereverständnisse, transparente Spielregeln für erfolgreiche Karrieren sowie Alternativlaufbahnen zu etablieren.
  • 
Diagnostiker sensibilisieren sich fortlaufend für zentrale Karrierevorstellungen der Key People (unter anderem über informelle Gespräche, Mitarbeiterumfragen oder Forschungsprojekte).
  • Career Coaches unterstützen Mitarbeitende über eine kompetenz- und potenzialorientierte Laufbahnberatung dabei, ihre Entwicklungsziele und -schritte zu reflektieren und zu klären.
  • 
Gatekeeper unterstützen Mitarbeitende dabei, Schritte einer bereichs- oder pfadübergreifenden beziehungsweise individualisierten Laufbahnentwicklung zu realisieren.

Unternehmensübergreifende Karrieretypen

  1. Experten arbeiten bevorzugt an innovativen und sehr komplexen Aufgaben und möchten sich mittelfristig einen Expertenstatus im Unternehmen und in ihrer fachlichen Community aufbauen. Sie entwickeln ihre Expertenkarriere oftmals unternehmensübergreifend und lehnen sowohl Aufgaben mit Routinegehalt als auch Führungsaufgaben meist kategorisch ab.
  2. Fachspezialisten sind beitragsorientiert denkende und bei erfahrener Wertschätzung sehr loyale Mitarbeitende. Sie möchten ihr fachliches Wissen im Rahmen einer Fachkarriere weiterentwickeln. Abwechslungsreiche Fach- und Projektaufgaben, die eigenständiges Arbeiten sowie analytisch-problemlösende Fähigkeiten erfordern, werden bevorzugt. 

  3. Versatilisten sind mitunternehmerisch denkende, vielseitig kompetente Projektmanager und Business Developer, die Brücken zwischen der Fach- und der Managementwelt bauen. Sie möchten komplexe und businessrelevante Projekte zum Erfolg führen. 
Im Rahmen ihrer Karriere entwickeln sie ihr polyvalentes Skill- und Erfahrungsportfolio über zunehmend komplexere Projekte kontinuierlich weiter.
  4. Autonomieorientierte Generalisten sind sehr ambitioniert und selbstbestimmt agierende Talente, die sich weder an Hierarchien noch an festen betrieblichen Laufbahnstrukturen orientieren. Sie streben danach, ihre individuellen Leidenschaften, Fähigkeiten und Potenziale immer wieder in wechselnde Aufgabenstellungen einzubringen. Vorgesetzte, die das Potenzial der Generalisten erkennen und ihnen Vertrauen, weitreichende Freiräume sowie herausfordernde Aufgaben bieten, können diese Ausnahmetalente wirkungsvoll an das Unternehmen binden.  

  5. Aufstiegsorientierte orientieren sich an etablierten Angeboten im Bereich Management Development. Sie streben Kaderlaufbahnen mit hierarchischen Aufstiegsmöglichkeiten, grösserem Status und Einkommen sowie Führungsverantwortung an.

 

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Prof. Dr. Peter Kels ist Professor für Führung, Organisation und Personal an der Hochschule Luzern – Wirtschaft.

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