Entlöhnung

«Manager in Publikumsgesellschaften haben zu viel Macht»

Aus gesellschaftlicher Sicht ist die Minder-Initiative ein klarer Erfolg, sagt die Soziologin und Wirtschaftswissenschafterin Katja 
Rost. Und: Mit einer Regulierung nimmt 
die Schweiz weltweit eine Vorreiter-Rolle ein. 
Das kann Vor- und Nachteile haben.

Frau Rost, wir stehen kurz vor der Abstimmung zur Abzocker-Initiative. Welche Bedeutung hat die Initiative aus soziologischer Sicht?

Katja Rost: Sie ist ganz klar ein Erfolg. Die Bevölkerung konnte ihren Ärger artikulieren. Es ist eine Protestaktion. Die Unzufriedenheit deutet sich schon seit Jahren an, nicht nur in der Schweiz. Auch in den USA, Deutschland, in ganz Westeuropa und neu auch in Osteuropa sind die Managerlöhne ein Thema.

Aber nur in der Schweiz gibt es die Möglichkeit einer Volksinitiative …

Ja, die Schweiz hat mit der direkten Demokratie eine Spezialrolle in dieser Thematik. Die Öffentlichkeit hat hier mehr Einfluss als in anderen Ländern. Das kann in diesem Fall positive wie negative Konsequenzen haben.

Wie meinen Sie das?

Dass die Öffentlichkeit eine Stimme hat, ist positiv und sehr wichtig beim Thema Managerlöhne. Negative Konsequenzen sind zu befürchten, weil die hohen Managerlöhne kein reines Schweizer Phänomen sind. Die Schweiz nimmt mit der Regulierung eine Vorreiter-Rolle ein. Das könnte Wettbewerbsnachteile mit sich bringen. Mehrere Unternehmen haben angekündigt ins Ausland abzuwandern, falls die Initiative angenommen wird.

Sie meinen, die Wirtschaft steuert hier die Politik?

Bis zu einem gewissen Grad. Das hat man auch im Ausland gesehen. Angela Merkel und Barack Obama waren anfangs sehr progressiv beim Thema Managerlöhne. Beide haben das aber nicht konsequent durchgezogen. Die Industrie sitzt am längeren Hebel.

Zur Person

Dr. Katja Rost ist Professorin für Soziologie und Privatdozentin für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Zürich. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Wirtschafts- und Politischen Soziologie, insbesondere in den Bereichen Corporate Governance, Anreizsysteme, soziale Normen und gesellschaftliche Verantwortung.

Die Emotionen sind hoch gegangen in der Bevölkerung. Wie beurteilen Sie die Diskussion?

Von Seiten der Gesellschaft war es ein guter Diskurs. Die Bevölkerung konnte ihren Unmut artikulieren. Auch die Unternehmen müssten diesen Diskurs suchen. Das tun sie aber nicht. Sie halten sich eher raus, argumentieren mit Neid und Unvermögen der Aussenstehenden, die Sachverhalte zu verstehen. Sie kämpfen mit schwachen Argumenten. Dabei sollten die Firmen an die Öffentlichkeit treten und erklären, warum sie in einer Dilemma-Situation stecken.

Können Sie die Dilemma-Situation kurz ausführen?

Die hohen Managerlöhne hängen stark mit der Globalisierung zusammen. Vielen Unternehmen, die sehr hohe Löhne und Boni zahlen, ist bewusst, dass sie mit ihrer Gehaltspolitik negative Aufmerksamkeit erregen. In gewissem Sinne sind ihnen aber die Hände gebunden. Wenn ein Schweizer Finanzinstitut beispielsweise eine Investmentbanking-Abteilung in den USA aufziehen will, ist es auf lokale Experten angewiesen. Um an die Cracks zu gelangen, muss es als noch unbekanntes Unternehmen mindestens gleich hohe oder höhere Löhne bezahlen wie die lokale Konkurrenz. Mit dem heute sehr mobilen Arbeitsmarkt entsteht eine Vermischung. Es ist schwierig, einem Amerikaner, der in der Schweiz die Firmenkultur kennen lernen soll, zu erklären, warum er in der Schweiz nur einen Viertel seines amerikanischen Lohnes erhält, obwohl die Lebenskosten sehr viel höher sind. Wenn er mehr bekommt, wollen auch die Schweizer mehr …

Hält dieses Argument Ihrer Meinung nach?

Ja, es entspricht der Realität.

Warum sind dann vor allem Finanzinstitute für hohe Löhne bekannt? Es gibt doch auch andere Branchen mit stark internationalen Unternehmen.

Weil sie mit virtuellen Dienstleistungsprodukten handeln. Die «Ware» Geld hat dieses System extrem angetrieben. Auch die moderne Technologie hat die Entwicklung gefördert. Zudem ist es die Branche mit den besten Rendite-Möglichkeiten und stark international auf allen Ebenen: Die Investoren sind international, die Arbeitskräfte und das Unternehmen selbst.

Ist es nicht einfach so, dass Leute über den Lohn entschieden haben, die selber davon profitieren? 

Aus der Forschung wird klar, dass die Manager in Publikumsgesellschaften zu viel Macht haben. Längst wird nicht mehr alles durch Leistung erklärt, Manager legen ihre Ziele oft selber fest. Zudem ist der Verwaltungsrat überfordert und führt häufig keine Kontrollfunktion mehr aus. Die Macht des Managements wächst, je globalisierter und grösser – und damit komplexer – Unternehmen werden.

Wäre also eine globale Regulierung die Lösung?

Eine globale Regulierung wäre richtig, ist aber unrealistisch. Realistisch wären hingegen internationale Abkommen, welche die Unternehmen untereinander erarbeiten. In der Literatur herrscht Konsens darüber, dass Unternehmen, je internationaler und grösser sie werden, eine politische Funktion und Verantwortung übernehmen müssen. Dazu würde auch gehören, dass sie den Diskurs mit der Öffentlichkeit suchen, und zwar einen sachlichen Diskurs, nicht einfach Schuldzuweisungen.

Wer stimmt für die Abzocker-Initiative? Gibt es ein bestimmtes Profil?

In unserer Studie (siehe Kasten, Anm. d. Red.) haben im April 2010 63 Prozent der Befragten angegeben, für die Initiative gegen Abzockerei zu stimmen. 43 Prozent hätten die 1:12-Initiative unterstützt. Das ist eine sehr hohe Zustimmung. Eine grosse Mehrheit der Schweizer, nämlich 82 Prozent, hätte sich hinter eine Regelung für langfristige Boni, sprich Boni zum Beispiel im 15-Jahres-Rhythmus, gestellt. Das zeigt, wie liberal die Schweiz geprägt ist. Diese Zahlen können sich aber schnell ändern.

Studie

Katja Rost hat zusammen mit Antoinette Weibel im April 2010 eine repräsentative Befragung mit 800 Schweizern durchgeführt. Ziel war es, die Auswirkungen der stark gestiegenen Managerlöhne im breiten soziologischen Kontext zu untersuchen. Anlass zur Studie waren unter anderem die Eidgenössischen Volksinitiativen «Gegen die Abzockerei» und «1:12». Die Studie wird in «Corporate Governance: An International Review» 2013 erscheinen. 

Sind wir also doch kein Volk von Neidern?

Zumindest nicht in diesem Zusammenhang. Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass Neid kein Hauptmotiv ist für die Ablehnung der hohen Managerlöhne. Wir unterscheiden zwei Beweggründe: Die eher schlecht ausgebildeten Bevölkerungsschichten mit tiefem Einkommen finden die hohen Managerlöhne vor allem unfair. Sie sehen nicht ein, warum ein Arbeiter, der ebenso viele Stunden hart körperlich arbeitet, so viel weniger verdienen soll als ein Manager. In ihren Augen kann keine Person 300- bis 400-mal mehr Lohn wert sein. Das sind sogenannte gleichheitsorientierte Ansätze. Für die gut ausgebildeten Personen mit eher hohem Einkommen haben diese Argumente weniger Gewicht. Sie akzeptieren eine ungerechte Verteilung, wenn die Kriterien klar sind, wie ein Lohn zustande kommt. Aber genau daran mangelt es in ihren Augen. Sie stören sich an der Entkopplung von Verdienst und Leistung oder der fehlenden Verbindung zwischen der Performance der Manager mit der Performance des Unternehmens.

Welche Gefahren für eine Gesellschaft bringt eine drastische Lohnschere mit sich?

In der Arbeitswelt führt sie zu Demotivation, im gesellschaftlichen Leben können daraus Unzufriedenheit und Unruhen resultieren. Wenn die soziale Kluft zu gross wird, entsteht immer mehr Segregation. Das wiederum erzeugt eine Spiralbewegung. Plakativ gesprochen wird dann die Oberschicht immer klüger und reicher, die Unterschicht doofer und ärmer. Solche Prozesse verselbständigen sich ab einer gewissen Stärke.

Wie gross ist die Gefahr einer Revolution? Welches Potenzial ist vorhanden in der Schweiz?

In der Schweiz regen sich die Menschen noch auf hohem Niveau auf. Die soziale Kluft ist hierzulande viel weniger gross als nur schon in Deutschland. Zudem schützt die direkte Demokratie vor Revolutionen. Unruhen sind meist ein Ausdruck von fehlenden Handlungsmöglichkeiten. Generell denke ich aber, dass das Potenzial für soziale Unruhen auf der Welt zugenommen hat. Zudem müsste man die Situation viel differenzierter untersuchen, als nur Revolutionen zu messen. Eine steigende Ausländerfeindlichkeit beispielsweise könnte auch ein Indikator für Unruhe darstellen.

Die Occupy-Bewegung hat auch in der Schweiz für Schlagzeilen gesorgt. Welche Rolle hat sie gespielt?

Keine grosse. Sie hatte keine klaren Ziele und darum keine Wirkung. Das Phänomen an sich ist aber trotzdem interessant und hätte unter anderen Umständen sehr viel bewirken können. Solche sozialen Bewegungen haben weltweit zugenommen und durch die sozialen Medien ein neues Potenzial erhalten. Occupy hat gezeigt, dass das Fass voll ist. Ein Grund mehr für die Unternehmen, die Initiative zu ergreifen und proaktiv zu werden. Wenn die Unternehmen sich endlich mit dem Thema auseinandersetzen und mit der Bevölkerung in einen wirklichen Diskurs treten, könnten sie ihre Reputation enorm verbessern. Das wiederum brächte ihnen zufriedene Kunden und würde es einfacher machen, attraktiv zu bleiben für gut qualifizierte Arbeitskräfte.

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