Multimedia

Neue Kanäle zur kniffligen Personalsuche – 
vom Azubimat über Facebook hin zu Xing

Kaum zu glauben, dass es einst genügte, ein Inserat zu schalten um Stellen zu besetzen. Heute müssen sich HR-Fachleute vor allem über die multimedialen Möglichkeiten im Recruiting auf dem Laufenden halten. Eine Bestandesauf
nahme, was Unternehmen machen und warum.

Als es darum ging, Bewerber überhaupt erst aufs Internet zu holen, war Siemens Schweiz ganz vorne mit dabei. Marcel 
Eckstein vom HR-Marketing bei Siemens Schweiz berichtet: «Wir standen vor der Einführung eines Talent-Management- 
Systems und wollten möglichst viele Bewerbungen online haben.»

Damals gab es vielfältige Vorurteile gegen Online-Bewerbungen, also war Kreativität gefragt. Und die hatte Siemens. Im Jahr 2000, auf dem Höhepunkt des IT-Fachkräftemangels, gab es riesigen Medienwirbel um das Online-Spiel «Challenge Unlimited». Aufgabe der Cyber-Consultants war es, die Stadt Nuovopolis zu retten. Die Mitspieler konnten verschiedene Jobprofile kennen lernen und hatten die Möglichkeit, ihr erspieltes Profil für die Personalabteilung von Siemens freizuschalten. Das Spiel war mit psychologischen Testverfahren unterlegt.

Siemens: Authentischer Auftritt 
auf allen genutzten Kanälen

Damals eine geniale, neuartige E-Recruiting-Idee, von der sich Siemens auch eine aussagefähige Vorselektion erwartete. Das Spiel war ein voller Erfolg. Statt der kalkulierten 2000 Teilnehmer gab es schon nach sechs Wochen 13 000. Die Personal-abteilung rotierte. Man hatte den Aufwand unterschätzt, auf die Verbreitung von Musterlösungen in Chaträumen mit immer neuen Varianten reagieren zu müssen. So genial und zukunftsweisend die Idee damals war – mittlerweile hat Siemens das Spiel abgeschaltet. Es war schlicht nicht mehr nötig. Eckstein: «Die Bewerbung via Internet hat sich viel schneller durchgesetzt, als wir erwartet hatten. Darum haben wir auch das Spiel nicht mehr gepflegt und es vor drei Jahren endgültig vom Netz genommen.» Was vor wenigen Jahren noch Vorreiterstatus hatte, ist von der Entwicklung überholt. Spiele gibt es, gerade auf Seiten für Universitätsabgänger und Lernende, zuhauf.

Stattdessen setzt Siemens heute darauf, einen authentischen, seriösen Auftritt zu vermitteln. «Egal ob jemand über die offizielle Website, über Google oder 
Facebook auf uns stösst – es muss sich ein ehrliches Gesamtbild ergeben. Das Unternehmen kann heute viele Kanäle nicht mehr steuern.»

Traffic auf die Bewerbersite zu holen, ist, anders als zu Zeiten des Spiels, kein Thema mehr. Heute gehe es darum, den Bewerbungsprozess so bequem und transparent wie möglich zu gestalten. Der Bewerber muss zu jeder Zeit wissen, wo er im Bewerbungsprozess steht und wer seine Ansprechpartner sind. Dazu kommen eine eigene Bewerbersite für mobile Endgeräte und ein offizieller Siemens-Youtube-Kanal. HR-Leute präsentieren Siemens auch auf LinkedIn. Ecksteins aktueller Traum: «Eigentlich müsste man die audiovisuellen Medien in beide Richtungen öffnen. Der Bewerber sollte auch mitten in einem Video über die eigene Webcam Kontakt aufnehmen können.» Wüsste Eckstein, wo eine solche Technologie zu haben ist – er würde sie sofort einführen.

Eigener TV-Channel auf Youtube beim Bayer-Konzern

Während Siemens aktuelle Trends laufend integriert, wagen sich andere Unternehmen nur zögerlich an Neues. Die Hochschule Rhein Main hat Ende 2009, zusammen mit Partnern, 367 HR-Verantwortliche nach ihren Plänen, neue Techniken fürs Recruiting zu nutzen, befragt. Dabei zeigte sich grosse Unkenntnis. Knapp ein Drittel der Befragten kann sich etwa unter iPhone-Applikationen und Mobile Video nichts vorstellen. Dennoch sind 89 Prozent grundsätzlich der Meinung, dass die Bewerberansprache über mobile Endgeräte zukünftig an Bedeutung gewinnen wird. 42 Prozent können sich vorstellen, dass in ihrem Unternehmen innerhalb der nächsten zwei Jahre eine mobile Recruiting-Kampagne entwickelt und umgesetzt wird. Dabei hat für 74 Prozent eine mobile Karriere-Website die höchste Priorität. An weitere Aktivitäten wollen sie sich erst 
später herantasten (siehe Grafik).

Beim Bayer-Konzern kann von zögerlichem Herantasten keine Rede sein. Er setzt stark auf Web 2.0 und leistet sich sogar 
einen eigenen «Bayer TV Channel» auf 
Youtube, der laufend erweitert wird. Die Web-2.0-Aktivitäten werden auch auf der Karriere-Homepage stark hervorgehoben. Dirk Pfenning, bei Bayer für Sourcing and Hiring zuständig, meint: «Wir müssen die Bewerber dort holen, wo sie sich bewegen. Das sind die üblichen Karrieremessen ebenso wie die neuen Medien.» Herzstück ist die Facebook-Seite «Bayer Karriere». Sie soll die Arbeit bei Bayer anschaulich 
machen. Mitarbeitende erzählen dort in einer Art Blog von ihrer Arbeit.

Xing dagegen lässt der Bayer-Konzern links liegen und setzt stattdessen auf sein eigenes Portal bayfellows.com. Dort werden spezifische Angebote für Studenten und Berufseinsteiger, Jobs und Veranstaltungshinweise speziell für diese Klientel aufgeschaltet. Erklärtes Ziel der vielfältigen Aktivitäten im Web 2.0 ist natürlich, Einstellungen zu generieren. Pfenning relativiert: «Messen kann man den Erfolg schwer. Vielleicht hört jemand etwas im 
dritten Semester, was ihn später dazu bringt, sich bei Bayer zu bewerben. Das Ganze ist langfristig angelegt.»

Deutsche Postbank: Die Angst vor der unkommentierten Gruppe

Während Bayer also schon voll auf Web 2.0 setzt, zeigt sich die Deutsche Postbank gegenüber neuen Medien noch skeptisch. Durch Tests will sie herausfinden, welche Methoden für das Recruiting und Employer Branding geeignet sind. Seit wenigen Monaten gibt es eine Praktikantengruppe bei Facebook, Jobangebote werden über Twitter verbreitet. Im Zentrum aber steht die Karriere-Website, die sich vor allem an Hochschulabsolventen und Lernende 
richtet und die neuen Medien dort mit 
einbindet. Vera Strack, Fachfrau Personalmarketing, schildert ihr Abwägen über geeignete Plattformen: «Podcasts und Videos sind unproblematisch, die kann man einfach einstellen. Was aber, wenn ich eine Gruppe eröffne, und der letzte Beitrag wurde vor Monaten kommentiert?» Es stecke viel Arbeit darin, das aktiv zu halten.

Nicht alle Kanäle sind gleich gut für jedes Unternehmen geeignet. So ist Vera Strack überzeugt, dass Xing eine geeignete Plattform ist, um Bankpersonal zu finden. Auf Facebook oder StudiVZ dagegen stelle sich die Frage, ob jemand auf die Idee komme, ausgerechnet dort nach Informationen über die Postbank zu suchen.

Daher setzt die Postbank nur sondierend auf Web 2.0. Ein wichtiges Instrument zur Positionierung ist dagegen seit 2003 der «Postbank Finance Award». Er ist der höchstdotierte Hochschulwettbewerb im Bereich Banking & Finance und wird jeweils zu einem aktuellen Thema ausgeschrieben. 80 000 Euro Preissumme werden unter den fünf besten Teams verteilt, ab 2011 sogar 100 000 Euro. Der Aufwand für die Teilnehmenden ist immens. Mindestens 50 Manntage sind nötig, um das Thema, in der jetzt abgeschlossenen Runde «Retailbanking», zu bearbeiten. Ex-Teilnehmer können sich in einer eigenen Xing-Gruppe oder über eine Facebook-
Seite weiter austauschen. Dafür sieht Vera Strack das informelle Facebook als das passende Medium an. Die Idee dahinter ist natürlich, Ex-Teilnehmer nah an die Postbank zu binden.

Der Azubimat: Interaktives 
Terminal für die Schüler

Inzwischen wird bereits an neuen mobilen Möglichkeiten der Bewerberansprache jenseits von Facebook & Co. geknobelt. Die Hochschule Rhein-Main etwa untersucht nicht nur die Potenziale von Mobile 
Recruiting, sondern entwickelt auch neue Lösungen. Das aktuelle Projekt ist der «Azubimat», Teil des vom deutschen Ministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsprojektes ReMoMedia, das sich mit dem Einsatz innovativer Technologien zur Bewerberansprache beschäftigt.
Am Azubimat können sich Schüler am Terminal im Schulgebäude über Lehrberufe und Ausbildungsstellen informieren. Arbeitsplatzbilder, Videos und Interviews mit Lernenden sowie Interaktion via Touchscreen bieten dabei eine bessere Ansprache der Zielgruppe als herkömmliche Textinformationen. Die Schüler können sich ausgewählte Infos aufs Handy schicken lassen, an Freunde weitergeben oder zu Hause den Eltern zeigen. Das Terminal dient als aktivierendes Element an der Schule vor Ort.

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Alexandra von Ascheraden ist freie Journalistin.

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