HR Today 12/2015: HRM International

Samsung «Made in Switzerland»

Bei Samsung Schweiz gehören die Implementierung und die Umsetzung globaler HR-Prozesse auf regionaler Ebene zum Alltag. Damit diese Prozesse aber auch tatsächlich umgesetzt und gelebt werden, braucht es einen intensiven Informationsaustausch mit dem südkoreanischen Mutterhaus. Dabei können schon einmal Galaxien aufeinanderprallen.

Betritt ein Besucher die neu entstehende Empfangshalle von Samsung Switzerland, versperrt ihm das Baugerüst die Sicht auf die grün leuchtende Flatscreenskulptur an der Wand. Der Gast würde nicht im Traum daran denken, dass sich hier, in der Nähe des Zürcher Einkaufzentrums Sihlcity, vor zwei Wochen ein innovatives, prosperierendes und global tätiges Technologieunternehmen eingemietet hat. Vielmehr wähnte er sich in einer kargen Lagerhalle. Doch das improvisierte Ambiente trifft die Stimmungslage der Mitarbeitenden des Herstellers von Smartphones, Tablets und TV-Geräten ziemlich genau: Es herrscht Aufbruchstimmung.

Tatsächlich wurde Samsung Switzerland erst im Juli 2013 mit 122 Mitarbeitenden gegründet. Seither befindet sich die Firma im Steigflug: Umsatzzahlen gibt die Ländergesellschaft zwar nicht bekannt. Allerdings scheint der Schweizer Standort, der für den Verkauf und das Marketing verantwortlich ist, so erfolgreich zu sein, dass die Ländergesellschaft mittlerweile 200 Mitarbeitende zählt. «Der Start-up-Groove erlaubt es uns, den Mitarbeitenden bei ihrer Arbeit weitreichende Autonomie einzuräumen. Das motiviert die Angestellten», sagt André Weber. Der 51-Jährige leitet das fünfköpfige HR-Team des Unternehmens. Ein Phänomen des «Start-up-Grooves» sei der ausgeprägte «Teamspirit»: Mitarbeitende der Ländergesellschaft kommen in privater Runde zusammen und tauschen sich über ihre Hobbys, Stärken und Schwächen aus. Ein Ritual habe sich besonders eingespielt: «Kurz vor Monatsabschluss kann es bei uns laut und rau werden. Ist der Trubel aber vorbei, treffen sich alle zum gemeinsamen Essen und feiern. Dann herrscht eine aufgeräumte Stimmung», erklärt Weber.

Menschlichkeit, die Zürich mit Seoul verbindet

Diese gelebte Menschlichkeit verbinde die Schweizer Ländergesellschaft mit Filialen in Zürich und Lausanne mit dem Hauptsitz in Seoul. Der südkoreanische Konzern begrüsse solche Teambildungsmassnahmen ausdrücklich. Deshalb stellt das Mutterhaus den Führungskräften bewusst ein Budget zur Verfügung, um diese Kultur zu vertiefen und zu verankern. Ausserdem gehöre es zur südkoreanischen Unternehmenskultur, die Mitarbeitenden langfristig binden zu wollen, so Weber. Dafür tue der Technologieriese viel: Die Mitarbeitenden freuen sich über frische Früchte, einen hauseigenen Fitnessraum, eine attraktive Entlöhnung und Weiterbildungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz. «Und wir bieten intern 60 Stunden pro Person und Jahr an Weiterbildungskursen an», ergänzt Weber. Diese Anstrengungen scheinen sich auszuzahlen: Die durchschnittliche Verweildauer im Konzern betrage auf globaler Ebene fünf Jahre.

In diese Philosophie passt das in Südkorea entwickelte und global ausgerollte Führungsmodell. Weber bezeichnet dieses als «überraschend modern» und «basierend auf der neusten Management-Lehre». Verantwortlich dafür seien fünf Kernkompetenzen, die eine Samsung-Führungsperson entlang folgender Fragen künftig mitbringen müsse. 1. Wie fördere ich zielorientiertes Arbeiten? 2. Wie bilde ich die besten Teams? 3. Wie inspiriere ich Mitarbeitende? 4. Wie fördere ich die Kreativität der Belegschaft? 5. Mit welchen Mitteln sorge ich dafür, dass sich die Mitarbeitenden im Grosskonzern zurechtfinden?

Besessen von Zahlen und Fakten

In den Augen des HR-Schweiz-Chefs ist diese Neuerung denn auch eine Erfolgsgeschichte bei der Integration globaler HR-Prozesse in die einzelnen Ländergesellschaften. «Die Kooperation bei der Entwicklung dieses Führungsmodells funktionierte ausgezeichnet und liess sich daraufhin praktisch unverändert auf die Schweizer Gegebenheiten übertragen», sagt Weber.

Jedoch lassen sich nicht alle HR-Prozesse aus Südkorea widerstandslos auf den Schweizer Standort überstülpen. Das zeigt sich anhand der gewünschten Leistungserwartungen an die Mitarbeitenden exemplarisch: Während für Schweizer Vorgesetzte der generierte Output im Vordergrund steht, legt die Muttergesellschaft traditionell Wert auf eine hohe Arbeitszeitpräsenz. «Da kommt es schon vor, dass ich einen unserer sieben koreanischen Mitarbeitenden ermahnen muss, nach Hause zu gehen, damit dieser die gesetzlichen Arbeitszeitpräsenzen nicht überschreitet», sagt Weber.

Konflikt bei der Zielvereinbarung

In diesem Zusammenhang sorgte das Zielvereinbarungssystem «Management by Objectives» (MbO) bei den Schweizer Mitarbeitenden für Erklärungsbedarf. Der HR-Prozess, den Samsung in der Schweiz implementiert, sieht mitunter für gewisse Zielgruppen eine vierteljährliche Bewertung der Arbeitskräfte vor – inklusive Auswirkungen auf die variablen Vergütungen. Weil Schweizer Arbeitskräfte dieses System aber als «bürokratisch aufwändig» empfanden, wurde das eingeführte Konzept kritisch hinterfragt.

HR-Chef Weber zeigt Verständnis für den Bürokratieeinwand. «Samsung ist sehr schnell, wenn es um das Umsetzen von Vorgaben und Strategien geht – fast zu schnell. Das hat mit Hierarchiegläubigkeit zu tun.» Diese kulturelle Begebenheit erhöhe hingegen auch die Gefahr, dass bei den Veränderungen soziale Aspekte vergessen gingen und zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden müssten.

Andererseits respektiert Weber die kulturellen Begebenheiten in Südkorea. «Die Mechanik von HR-Prozessen auf ihre Sinnhaftigkeit zu hinterfragen, ist eine typisch schweizerische Eigenschaft. Das sind sich südkoreanische Vorgesetzte nicht gewohnt.» So werde auf der koreanischen Halbinsel Kritik indirekter und verklausuliert geäussert. Verschärft werde diese kulturelle Hürde überdies durch die Sprachbarriere. Aus diesem Grund bietet der Schweizer Ableger kostenlos Koreanisch-, Englisch- und Deutschkurse an und erwartet, dass die Belegschaft diese besucht. «Wenn wir komplexe Sachverhalte diskutieren und uns auf einen Konsens einigen müssen, sind wir darauf angewiesen, uns auch zu verstehen. Schliesslich übersetzen wir mit den HR-Prozessen auch die südkoreanische Kultur mit,» sagt Weber.

In der Tat spielt die Kommunikation
für das gegenseitige Verständnis zwi
schen Zürich und Seoul eine entscheidende Rolle. «Seoul will genau wissen,
 wo, wann und wie viele Smartphones, Tablets und TV-Geräte über die Ladenthe
ke gehen», sagt Weber. Zudem erwarte Südkorea exakte Annahmen über die mutmasslichen Verkaufszahlen in der Zukunft – und testet alljährlich sämtliche HR-Prozesse mit Interviews und seitenlangen Analysen. An dieser Stelle werden über 100 Themenbereiche auf ihre Tauglichkeit geprüft. Wie transparent kommunizieren wir mit den Mitarbeitenden? Bezahlen wir marktgerechte Löhne? Oder wie effizient ist unser Talentmanagement? Da ist sie wieder, die Zahlengläubigkeit aus Südkorea.

Dieses «intensive Reporting», wie es Weber ausdrückt, bringe indes einen erheblichen Datenaustausch und grosse Reisetätigkeit mit sich. «Wenn Sie weiche HR-Themen mit harten Zahlen messen müssen, treffen Sie den Nagel nicht immer auf den Kopf», räumt Weber ein. Daher reist das Schweizer Kader zwei bis drei Mal jährlich nach Südkorea, um sich dort mit den Kollegen über die implementierten Prozesse, Innovationen und die Unternehmensstrategie auszutauschen.

Rückwirkungseffekt funktioniert

Dabei entfalte der Rückwirkungseffekt seine volle Wirkung. «Bei diesen Treffen werden die einzelnen Ländergesellschaften sowie deren Projekte vorgestellt und miteinander verglichen. Die Koreaner lieben Tabellen und Ranglisten. Wir sind dazu angehalten, im Idealfall ein bis zwei solcher Best-Practice-Beispiele in den Konzern einzubringen. Daran werden wir gemessen», so Weber.

Im Zuge dieses Austauschs stehe es dem Schweizer Standort frei, das in Webers Augen hervorragende Talentmanagement-System der niederländischen Ländergesellschaft zu übernehmen. Gleichzeitig wurde Samsung Switzerland für die Zusammenarbeit zwischen Personalverantwortlichen, Mitarbeitenden und Führungskräften gelobt. «Andere Standorte haben nun die Möglichkeit, dieses System für ihre Ländergesellschaft zu adaptieren und zu implementieren.»

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