Talentmanagement

Talentmanagement ohne 
Altersgrenzen – ein Plädoyer

Über Auswirkungen der demografischen Entwicklung wird derzeit oft und gerne diskutiert. Auch das Talentmanagement sollte sich künftig vermehrt mit generationsübergreifenden Ansätzen beschäftigen. Hintergründe, Überlegungen und 
Erkenntnisse aus wissenschaftlicher Sicht.

Zwei demografische Themen prägen derzeit den HR-Diskurs: Die schlechteren Chancen im Arbeitsmarkt der sogenannten 50+-Generation sowie die Vorhersagen über die Zunahme des Fachkräftemangels. In diesem Zusammenhang wird gerne betont, welches Potenzial gerade die älteren Mitarbeitenden darstellen. Doch die Diskussion klafft auseinander. Das Erwerbspersonenpotenzial, sprich der Anteil der Bevölkerung zwischen Eintritt ins Berufsleben bis zur Pensionierung, hängt zunächst von drei Einflussgrössen ab: von der Geburten- und Sterberate sowie der Migration. Seit vielen Jahren ist die Geburtenrate rückläufig und die Lebenserwartung steigt; dieser Trend gilt für ganz Europa.

Spezifisch für die Schweiz ist die «positive Migrationsbilanz»: Gut qualifizierte Erwerbspersonen wandern ein und sind im Arbeitsmarkt aktiv. Zu dieser Entwicklung gibt es eine Vielzahl von politischen Meinungen, ökonomischen Bedürfnissen und individuellen Befindlichkeiten. Unabhängig von der weiteren Entwicklung dieser Migrationsbewegungen: Die gesellschaftspolitische Diskussion und Verantwortung erfordert einen sensitiven Umgang mit diesem Thema. Und unabhängig von den verschiedenen Prognosen zur Migrationsbewegung: Der Anteil der inländischen Erwerbspersonen wird gesamthaft betrachtet älter. Diese Entwicklung ist auch in unseren Nachbarländern zu beobachten und kann Einfluss auf künftige Migrationsbewegungen haben.

Die Arbeitsfähigkeit wird oftmals symbolisch wie ein Haus dargestellt. Das Fundament bildet die körperliche und physische Gesundheit, darauf aufbauend folgen die Qualifizierung und Kompetenz, die Führungs- und Unternehmenskultur und die Arbeitsbedingungen. Wenn das Fundament labil ist, besteht die Gefahr, dass das ganze Haus einstürzt (vgl. Illmarinen & Tempel). Damit gewinnen die Frage des lebenslangen Lernens für den Einzelnen und die Integration eben dieser Lernprozesse in ein Talentmanagement-Konzept auch für die Organisation zunehmend an Bedeutung – losgelöst von Überlegungen, Talente für den Aufstieg zu identifizieren und zu fördern.

Wenn Loyalität zum Trumpf wird

Welche Aspekte beeinflussen die Entwicklung eines Talentmanagements, das verschiedenen Generationen mit ihren Ansprüchen, Bedürfnissen und Anforderungen gerecht werden soll? Ein längerer und gesünderer Lebensabschnitt im Alter freut den Einzelnen und belastet die Pensionskassen. In ganz Europa wird deshalb über die Anpassung der Pensionierungsgrenze nach oben diskutiert oder diese Anpassung hat bereits stattgefunden. In unterschiedlichen Ländern vormals zur Entlastung des Arbeitsmarktes eingeführte grosszügige Regelungen für den «Vorruhestand» wurden überprüft und die Praxis wird angepasst. Wenn wir die Situation der Gruppe der 55- bis 65-Jährigen in der Schweiz betrachten, wird es spannend: Über zwei Drittel sind nach wie vor aktiv im Arbeitsprozess eingebunden. Ein Blick über die Grenze zu unseren direkten Nachbarländern zeigt, dass es in Deutschland gerade mal die Hälfte der Beschäftigten ist und in Italien gut ein Drittel (vgl. Eurostat). Im Vergleich zu unseren direkten Nachbarländern sind wir in der Schweiz also eher ein Berufsleben lang aktiv im Arbeitsprozess eingebunden und verfügen über mehr Erfahrung bei der generationsübergreifenden Zusammenarbeit.

Erkenntnis 1: Die Anzahl älterer Mitarbeiter wird im Verhältnis zu den jüngeren Mitarbeitenden zunehmen und sie werden länger im Arbeitsprozess bleiben.

Nun haben wir also die Aussage, dass wir künftig länger arbeiten werden und dass der Arbeitsmarkt uns auch länger braucht – da ja weniger jüngere Personen in den Arbeitsmarkt eintreten werden. Dem steht die gängige Praxis gegenüber, dass es vor allem ältere Mitarbeitende schwerer haben, den Arbeitsplatz zu wechseln. Das höhere Lohnniveau, aber auch Altersstereotype und die Einstellungspraktiken der Unternehmen führen dazu, dass Mitarbeitende der Generation 50+ weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben als ihre jüngeren Kolleginnen und Kollegen. Eine eigene Studie mit rund 650 Führungspersonen aus der Schweiz, Deutschland, Finnland und Italien zum Thema altersgerechter Führungsansätze bestätigte diese Aussage. Interessanterweise wird dabei die Leistungsfähigkeit älterer Mitarbeitender nicht geringer eingestuft als die der jüngeren Generation. Und: Die Loyalität älterer Mitarbeitender gegenüber dem Unternehmen wird gar höher eingeschätzt.

Erkenntnis 2: Ältere Mitarbeitende wechseln weniger häufig den Arbeitsplatz und verbleiben bevorzugt beim Arbeitgeber. Sie werden von den Führungspersonen als loyal und leistungsfähig wahrgenommen. Sie stellen ein Potenzial für ein erfolgreiches Talentmanagement der Zukunft dar.

Von Babyboomern und 
Millennium-Babys

Häufig arbeiten verschiedene «Generationen» in einem Unternehmen. Als Babyboomer gelten diejenigen bis Jahrgang 1965, gefolgt von der Generation X und ab Jahrgang 1985 sprechen wir von der Generation Y. Bald jedoch werden bereits die Millennium-Babys ins Berufsleben eintreten und damit – das weiss ich auch aus eigener Erfahrung mit einem Kind «aus einem anderen Jahrtausend» – werden neue Themen auf uns zukommen. Ich spiele auf generationsspezifische Bedingungen der Sozialisation, des Lernens und auch der spezifischen Erfahrungsmöglichkeiten an. Während bei den Millenniums-Jahrgängen bereits im frühen Kindesalter die Kommunikation mit Gleichaltrigen, aber auch zunehmend die Lerngefässe in der Schule internetbasiert und im Umfeld von Social Media stattfinden, gelten frühere Generationen – auch in der Fachsprache der Medienpsychologie – als «digitale Immigranten».

Als Generationseffekte werden auch die Verschiebungen des Wertesystems diskutiert, zum Beispiel wird von einer Verlagerung von «Pflicht- und Disziplinwerten» der Baby-Boomer hin zu «Selbstentfaltungs- und Autonomiewerten» der Generation Y gesprochen (vgl. Oppolzer, 1994). Der Wunsch nach Leistung ist in der Arbeitswelt zwar immer noch vorherrschend, speziell die Generation Y sieht Arbeit jedoch nicht so sehr als reine Pflicht, sondern auch als Mittel zur Selbstverwirklichung (vgl. Rump & Eilers, 2006). Die Generation Y ist global orientiert, über Facebook, Twitter und Smartphone bestens vernetzt und als erste Altersgruppe, die mit dem Internet aufgewachsen ist, technisch äusserst versiert. Diese gut ausgebildeten Leute erwarten von ihren Unternehmen spannende Projekte, gute Gehälter und schnelle Aufstiegswege. Gleichzeitig sind für sie Arbeit und Karriere nicht alles. Wenn über die Lebensspanne hinweg der Anspruch an Lernen und Bildung betrachtet wird, so ist festzustellen, dass das Interesse und der Wunsch nicht mit dem jungen Erwachsenenalter aufhören. Allerdings verändert sich die Motivation. Während jüngere Arbeitnehmende eher an formalen Abschlüssen und aufstiegsorientierter Weiterbildung interessiert sind, stehen bei den älteren Arbeitnehmenden andere Formate und Inhalte im Zentrum des Interesses (vgl. Tippelt u. a., 2009).

Diese Veränderung der Wertorientierung stellt höhere Ansprüche an die Qualität des Arbeitslebens und somit auch an die Gestaltung eines Talentmanagements.

Erkenntnis 3: Unterschiedliche Generationen haben unterschiedliche Wertvorstellungen und kommunikative oder medienspezifische Kompetenzen. «Talente» wollen nicht mehr nur aufsteigen und im Dienste des Unternehmens Leistung bringen, sie suchen nach lebenslangen Entwicklungsmöglichkeiten parallel zur klassischen Aufstiegsweiterbildung.

Altersspezifische Entwicklungen und Ansprüche

Entwicklungspsychologische Überlegungen beachten darüber hinaus vor allem auch typische Veränderungen und Fragestellungen, die in einer bestimmten Lebensspanne vorherrschend sind. So ist klar, dass die körperliche Belastbarkeit mit zunehmendem Alter abnimmt, was für bestimmte Berufsgruppen oder Tätigkeiten eine Herausforderung darstellen kann. Deshalb braucht es rechtzeitig Antworten, die auch im Talentmanagement zu finden sind. Insgesamt ist es so, dass es einen gewissen Zusammenhang zwischen Alterungsprozessen und Leistungsfähigkeit gibt, wobei bestimmte Fähigkeiten eher abnehmen (z. B. Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit, Kurzzeitgedächtnis, Hör- und Sehfähigkeit), andere eher gleich bleiben (z. B. Fähigkeit zur Informationsverarbeitung, Bearbeitung sprach- und wissensgebundener Aufgaben, Merkfähigkeit) und nochmals andere eher zunehmen (z. B. Qualitätsbewusstsein, Fähigkeit zum Perspektivenwechsel, Beurteilungsvermögen) (vgl. Adenauer, 2002).

Die Entwicklungspsychologen Baltes und Baltes (1990) haben ein Modell vorgestellt, das hilft, Fähigkeiten, die eher abnehmen, zu kompensieren. Am Beispiel von Arthur Rubinstein kann dieses SOC-Modell (Selektion, Optimierung, Kompensation) gut erläutert werden. Rubinstein war bis ins hohe Alter erfolgreicher Pianist – auch wenn die Geschwindigkeit mit dem Alter nachliess. Er erklärte seinen Erfolg folgendermassen: «Ich konzentriere mich auf weniger Stücke, übe diese mehr und intensiver und spiele die langsamen Elemente im Stück noch langsamer, damit das Verhältnis zu den schnellen Elementen stimmt.»

Erkenntnis 4: Mit dem Alterungsprozess können Fähigkeiten abnehmen, gleich bleiben, zunehmen oder auch kompensiert werden. Lernprozesse sind so zu gestalten, dass altersspezifische Aspekte berücksichtigt und generationsübergreifende Vorteile genutzt werden können.

Kurz: Die Anzahl der älteren Arbeitnehmer wird zunehmen und die Ansprüche wie Kompetenzen der jüngeren Generationen von Arbeitskräften bringen neue Erwartungen an die Gestaltung des Talentmanagements hervor. Allen gemeinsam ist ein Interesse und auch die Notwendigkeit des lebenslangen Lernens. Das «Talentmanagement der Zukunft» nutzt die Stärken und Präferenzen der unterschiedlichen Mitarbeitergenerationen, umfasst alle Altersgruppen und profitiert von einem generationsübergreifenden Lernen.

Literatur:

  • Adenauer, S. (2002). Die Potenziale älterer Mitarbeiter im Betrieb erkennen und nutzen.
  • Angewandte Arbeitswissenschaft 172: 19-34
  • Baltes, P. B. & Baltes, M. M. (1990). Psychological perspectives on successful aging: The model of selective optimization with compensation. In P. B. Baltes & M. M. Baltes (Eds.), Successful aging: Perspectives from the behavioral sciences 
(pp. 1-34). New York: Cambridge University Press.
  • Eberhardt, D., Braedel-Kühner, C. & Rauch, 
J. (2013). Fundiertes Wissen und viel Berufserfahrung, Persorama, S. 20-21.
  • Ilmarinen, J. & Tempel, J. (2002): Arbeitsfähigkeit 2010: Was können wir tun, damit Sie gesund bleiben?. Hamburg: VSA.
  • Oppolzer, A. (1994): Wertewandel und Arbeitswelt, Gewerkschaftliche Monatshefte, 45, 6/1994, Seiten 349 ff.
  • Rump, J. & Eilers, S. (2006): Beschäftigungswirkungen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Ludwigshafen 2006.
  • Tippelt, R., Schmidt, B., Schnurr, S., Sinner, S. & Theisen, C. (2009): Bildung Älterer Herausforderungen des demografischen Wandels. Bielefeld: Bertelsmann.
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Daniela Eberhardt ist Direktorin Human Resources Management der Stadt Zürich.

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