HR Today Nr. 9/2021: HR Tech – Digitales BGM 2

Verantwortung nicht nur an Mitarbeitende abschieben

Martin Degen, Projektleiter betriebliches Gesundheitsmanagement bei Gesundheitsförderung Schweiz, äussert sich zu den Vorteilen und Grenzen digitaler BGM-Tools und warum sie möglichst nicht alleinstehend genutzt werden sollten.

Wie verbreitet sind digitale BGM-Tools in der Schweiz?

Martin Degen: Eine genaue Zahl kann ich leider nicht nennen. Das BGM-Monitoring 2020 von Gesundheitsförderung Schweiz, das nach 2016 bereits zum zweiten Mal gesamtschweizerisch durchgeführt wurde, zeigt jedoch, dass knapp zwei Drittel der befragten Betriebe externe Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Davon gibt ein Viertel an, dass sie auf Online-Tools und Apps setzen. Gemäss unserer Marktbeobachtung hat die Nutzung von BGM-Apps in den letzten vier Jahren stark zugenommen.

Was sind Vorteile von digitalen BGM-Tools?

Ein digitales Tool analysiert das Verhalten eines Nutzers und kann ein Programm individuell an dessen Bedürfnisse anpassen. Gleichzeitig gelingt es damit, viele Mitarbeitende zu erreichen. Ausserdem können mit einem digitalen BGM-Tool Befragungen durchgeführt und die Antworten automatisch ausgewertet sowie mit einem Benchmark verglichen werden. Dadurch erhalten Arbeitgebende eine objektive Einordnung dieser Resultate.

Wo stossen diese an Grenzen?

BGM hat sehr viel mit der Firmenkultur zu tun. Diese sollte in Leitbildern oder Reglementen verankert sein. Die Bereitschaft, diese Philosophie zu leben, kann durch ein Tool nicht ersetzt werden. Digitale Tools fokussieren oft nur auf das Verhalten der Mitarbeitenden. Somit besteht die Gefahr, dass die Verantwortung für die Gesundheit auf die Mitarbeitenden allein abgeschoben wird. Ein weiterer Aspekt ist die Überwachung und der Datenschutz. Bei einem Teil der erhobenen Daten kann es sich um besonders schützenswerte Personeninformationen handeln.

Welche Möglichkeiten bietet künstliche Intelligenz?

Die Anwendung von künstlicher Intelligenz steckt bei BGM-Tools noch in den Kinderschuhen. Potenzial sehe ich allerdings bei der Mustererkennung: Durch die Analyse genügend hoher Datenmengen können erfolgversprechende Wege aufgezeigt werden, die bei anderen Firmen mit vergleichbaren Mustern zur Verbesserung einer Situation geführt haben. Möglicherweise sind Einflüsse wie die einer Grippewelle oder einer Pandemie auf die Gesundheit der Mitarbeitenden durch KI besser quantifizierbar. Trotzdem sollten Unternehmen die Interpretation grosser Datenmengen durch künstliche Intelligenz kritisch hinterfragen. Speziell im Bereich der psychischen Gesundheit geht es um soziale Beziehungen. Dort funktionieren digitale Lösungen meist nicht.

Wie sieht das BGM in zehn Jahren aus?

Ich gehe davon aus, dass digitale Helfer sowohl bei der Situationsanalyse als auch bei der Umsetzung von gewissen Massnahmen Standard sein werden.

Digitale BGM-Tools von Gesundheitsförderung Schweiz

Die App «FWS Apprentice Experts» versorgt Berufsbildungsverantwortliche mit Informationen zur psychischen Gesundheit von Jugendlichen und zur Arbeits- und Freizeitsicherheit. Mit «FWS Office» existiert zudem eine Plattform, die Teams im Homeoffice unterstützt. Gesundheitsförderung Schweiz bietet ausserdem viele weitere Tools, die auf eine digitale und mobile Nutzung ausgelegt sind – von Office Checks über das Befragungstool FWS Job-Stress-Analysis oder den FWS Check. Weiter bietet die Stiftung digitale Trainings sowie Weiterbildungen und führt Veranstaltungen wie Tagungen durch: vor Ort, online oder hybrid. Mit dem Label «Friendly Work Space» zeichnet Gesundheitsförderung Schweiz zudem Unternehmen und Organisationen aus, die betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) nachhaltig erfolgreich umsetzen. Aktuell sind 81 Organisationen mit rund 205'000 Arbeitnehmenden mit dem Label ausgezeichnet. gesundheitsfoerderung.ch

 

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Christine Bachmann ist stellvertretende Chefredaktorin von HR Today. cb@hrtoday.ch

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