HR Today Nr. 11/2020: Psychologie

Wenn der Austausch fehlt

Einsamkeit ist längst kein Altersphänomen mehr, auch im Arbeitsalltag können sich Führungskräfte und Mitarbeitende einsam fühlen. Wie sich das verhindern lässt.

Lockdown. Tag 33 im Homeoffice. Als Single ist das Arbeiten von zu Hause anfänglich noch recht angenehm. Ruhig, ohne Familie und Teammitglieder, die einen ständig aus dem Arbeitsfluss reissen. Doch langsam drückt diese Stille, der fehlende Austausch aufs Gemüt und erste Einsamkeitssymptome wie Leere und Müdigkeit machen sich breit. «Durch den Lockdown ist uns wieder bewusster geworden, dass wir Menschen soziale Wesen sind und den Austausch untereinander benötigen», sagt Jürgen Margraf, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Ruhr-Universität Bochum. Fehle diese Kommunikation, könne das zu Vereinsamung und psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Ängs­ten führen. Um solche Negativfolgen zu verhindern, haben zahlreiche Firmen während des Lockdowns einen täglichen virtuellen Austausch mit ihren Mitarbeitenden eingeführt. «Vorbildlich», findet Karin Frick, Leiterin Research beim Gottlieb Duttweiler Institut (GDI). Für sie funktionieren Mitarbeitende in Unternehmen und in Teams nur, wenn möglichst viele Begegnungen stattfinden. «Menschliche Verbindungen sind essenziell. Schliessen wir jemanden aus, produziert das schlechte Gefühle, Frustration und am Ende Einsamkeit.»

Nicht nur im Homeoffice vereinsamen Menschen, auch am Arbeitsplatz kann das geschehen. «Meist, wenn wir uns von anderen sozial isoliert fühlen oder der Austausch unbefriedigend oder gar nicht vorhanden ist», sagt Jürgen Margraf. Für Karin Frick ist Einsamkeit häufig ein Zeichen für nicht funktionierendes Teamwork. «Etwas, dass sich Unternehmen heute nicht mehr leisten können, weil sie dadurch ihre Produktivität gefährden.» Margraf und Frick raten deshalb, Begegnungsorte zu schaffen, die den Austausch der Mitarbeitenden fördern, sie in Teams arbeiten zu lassen und allenfalls Gruppencoachings durchzuführen, falls einzelne Teammitglieder nicht miteinander harmonieren.

Führungspersonen sollten ihren Mitarbeitenden gegenüber zudem Wertschätzung zeigen. «Wer sich als Verbrauchsmaterial wahrnimmt, ist ebenfalls gefährdet zu vereinsamen», sagt Jürgen Margraf. Um der psychischen Gesundheit von Arbeitnehmenden einen höheren Stellenwert einzuräumen, sollten Firmen Anlaufstellen schaffen, an die sich Mitarbeitende bei allfälligen Problemen wenden können: «Daneben helfen anonyme Mitarbeiterumfragen, um die psychische Gesundheit der Belegschaft zu ermitteln.» Das befürwortet auch Frick: «Gerade weil viele Mitarbeitende dezentral arbeiten, ist es schwieriger geworden, herauszufinden, wie es jemandem geht und ob er vereinsamt.» Um den Gemütszustand der Arbeitnehmenden besser im Auge zu behalten, gäbe es digitale Tools wie den «SocialCompass» (siehe Interview weiter unten). «Die Software zeigt, wie Vorgesetzte mit ihren Teams und Mitarbeitende untereinander interagieren. Hat jemand weniger Kontakt zu anderen oder wird vom Vorgesetzten vernachlässigt, erhält dieser eine Benachrichtigung durch das System.»

Kampagne gegen die Einsamkeit

Um das Thema Einsamkeit aus der Tabuecke zu holen, haben Pro Familia, der Dachverband der Familienorganisationen und Kompetenzzentrum für Familienpolitik, und der Schokoladenproduzent Munz kürzlich eine nationale Initiative gestartet. «Gemeinsam ist besser» lautet deren Motto. «Damit wollen wir ein Bewusstsein dafür schaffen und Menschen dazu bewegen, mehr Zeit miteinander zu verbringen», erklärt Pro- Familia-Geschäftsführer Philippe Gnaegi. «Wir kommunizieren zwar immer mehr, aber weniger persönlich und häufig nur über Social Media.»

Der virtuelle Austausch mache aber nicht glücklich, sondern vielmehr einsam. «Wissenschaftlich ist belegt, dass uns gemeinsame Erlebnisse mit Freunden und Menschen befriedigen. Ein versendetes Emoji hingegen schafft das nicht», sagt Gnaegi. Diese Erkenntnis bestätigt auch Margraf, der hierzu eine experimentelle Studie* mit seinem Forschungsteam an der Ruhr-Universität in Bochum durchgeführt hat. Darin zeigte sich, dass Studienteilnehmende, die ihren Social-Media-Konsum auf Facebook während zwei Wochen um 20 Minuten pro Tag reduzierten, mehr Lebensfreude verspürten, weniger depressive Symptome aufwiesen und sogar begannen, sich sportlich zu betätigen.

Gemäss Gnaegi braucht es aber vor allem ein gesellschaftliches Umdenken, um Einsamkeitsgefühle zu bannen. Das habe während der Covid-19-Pandemie teilweise schon stattgefunden: «Menschen haben einander mehr Zeit geschenkt und den persönlichen Kontakt wieder schätzen gelernt.»

* Studie: Brailovskaia, J., Ströse, F., Schillack, H., Margraf, J. (2020). Less Facebook use – More well-being and a healthier lifestyle? An experimental intervention study. Computers in Human Behavior, online publication. DOI: 10.1016/j.chb.2020.106332.

Gegen die Einsamkeit

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Die App SocialCompass unterstützt Arbeitgebende, aufgrund nonverbaler Hinweise aus E-Mails und Körpersprache den Gemütszustand ihrer Mitarbeitenden zu deuten. Wie das technisch funktioniert, erklärt Mitentwickler Peter Gloor.

SocialCompass soll Arbeitgebende und Mitarbeitende unterstützen, sich in der eigenen Gefühlswelt zurechtzufinden, um Isolation, Einsamkeit und Stress zu überwinden. Wie funktioniert die App und auf welche Daten greift sie zurück?
Peter Gloor: Die App greift auf die persönlichen Mailbox-Daten zurück und analysiert Faktoren wie Stress oder Zufriedenheit, indem Algorithmen unter anderem die Antwortgeschwindigkeit des Account-Besitzers, seine sprachliche Emotionalität und das Verhältnis gesendeter wie empfangener Nachrichten berechnen. Der Inhalt der Nachricht wird dabei nicht angeschaut, nur die Metadaten werden berechnet.

… und was bringt die App?
Die App zeigt Arbeitgebenden und Mitarbeitenden auf, wie sie in ihrem Team eingebettet sind, was sie glücklich macht, wer für sie am wichtigsten ist und ob sie burnoutgefährdet sind. Letzteres zeigt sich beispielsweise dadurch, dass die Umgangssprache plötzlich emotional flach wird, jemand plötzlich viel länger braucht, um E-Mails zu beantworten oder signifikant weniger sendet. Die App macht das Management ausserdem auf mögliche Kommunikationsprobleme innerhalb des Teams aufmerksam, indem es die aggregierten Metadaten der verschiedenen Teams miteinander vergleicht.

Für wen ist diese App besonders geeignet?
Für Unternehmen und virtuelle Organisationen mit mindestens 20 Mitarbeitenden. Aber auch für Führungskräfte und Mitarbeitende, die sich einsam fühlen und Kommunikations- oder Vernetzungshilfe benötigen.

Inwiefern benötigen wir überhaupt eine solche App? Genügt es nicht, als Führungskraft die Empfindlichkeiten im Team persönlich abzuholen?
In einer perfekten Welt mit einer empathischen Führungsperson an der Spitze, die konstant auf jeden Mitarbeitenden eingeht, ist diese App nicht unbedingt notwendig. Aber wo findet man die? Gerade für verstandgetriebene Menschen mit wenig emotionaler Intelligenz leistet der SocialCompass eine wertvolle Hilfestellung. Hinzu kommt, dass selbst eine empathische Führungsperson über einen blinden Fleck verfügt: Sie hat keine Kenntnis davon, wenn es beispielsweise zwischen zwei Mitarbeitenden zu einem Konflikt kommt. Der SocialCompass deckt dieses Problem auf und offenbart es den Direktbetroffenen und der Führungsperson.

Die Covid-19-Pandemie forciert virtuelle Teams. Inwiefern ist die App für diesen Bereich geeignet?
Sehr, da sie aufzeigt, wie gut oder schlecht wir virtuell hauptsächlich im E-Mail-Verkehr kommunizieren.

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Christine Bachmann ist stellvertretende Chefredaktorin von HR Today. cb@hrtoday.ch

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