BGM-Special: Massnahmen

Best Case Basler Versicherungen: Wir-Gefühl steigern

Dass IV-Reintegrationsprogramme nicht nur als Pluspunkt in Sachen Employer Branding taugen, sondern dem 
Unternehmen auch handfeste Vorteile liefern, illustriert das Beispiel der Basler Versicherungen. Wir haben die Case-
Management-Leiterin Jacqueline Schreiber und den HR-Leiter Schweiz Stephan Walliser zu ihrem Konzept befragt.

Sie heissen Birgitta Körn und Raid 
Kasshout und haben eines gemeinsam: Beide haben an einem Arbeitstraining teilgenommen, das die Basler Versicherungen zusammen mit der Invalidenversicherung der Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft anbieten. Es soll ihnen den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt und damit auch wieder ein selbständiges Leben ermöglichen.

Handelt es sich dabei nicht einfach bloss um eine weitere Employer-Branding-Kampagne? Während dieser Eindruck andernorts wohl entstehen könnte, hat die Basler durchaus hieb- und stichfeste Argumente, die ihr soziales Engagement untermauern. Nicht zuletzt aus dem Verständnis heraus, dass das fragile Gleichgewicht zwischen Prämienzahlern und Leistungsbezügern zu kippen droht, wenn sich die Wirtschaft nicht vermehrt um die Wiedereingliederung erkrankter Menschen kümmert. Drohende Folgen dieses verbreiteten Untätigseins sind staatliche Quoten, Rentenbezugskürzungen sowie steigende Versicherungsprämien für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Angesichts der enormen Staatsverschuldung, die eine weitere Zunahme der Invalidisierten nicht zulässt, wahrlich kein Kuschelszenario: «Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen», meint darum HR-Chef Stephan Walliser, «und ein Signal aussenden, damit auch andere Unternehmen den Nutzen erkennen und sich ebenfalls engagieren.»

Positive Wirkung auf das Team

Der Start des IV-Trainingsprogramms im Juli 2011 erfolgte bei der Basler aufgrund der sechsten IV-Revision, wobei sich die Wirtschaft freiwillig verpflichtet hat, bei der «Reintegration vor Rente» mitzuwirken. Das Trainingsprogramm war gleich zu Beginn ein voller Erfolg: Das Case-Management-Team von Jacqueline Schreiber wurde mit Anfragen von Teams, die eine invalidisierte Person betreuen wollten, förmlich überrollt. «Es haben sich im Nu 17 Teams gemeldet, die einen IV-Versicherten aufnehmen wollten», erinnert sich Case-Management-Leiterin. «Um die Betreuungsqualität sicherzustellen, haben wir deshalb begonnen, die Teams auf Herz und Nieren zu prüfen, um herauszufinden, weshalb diese sich überhaupt am Programm beteiligen wollten.»

Den Menschen das Vertrauen zu geben, wieder an ihre Fähigkeiten zu glauben und ihr Selbstvertrauen zu fördern, sei eben etwas aufwendiger, als einen «normalen» Mitarbeiter zu integrieren. «Je sichtbarer und spürbarer die Gebrechen einer solchen Person jedoch sind, desto grösser ist in der Regel die Akzeptanz», erzählt Walliser aus seinem Erfahrungsschatz. «Das hat eine sehr positive Wirkung auf das Team, das Wir-Gefühl steigt und man geht mitfühlender miteinander um.» Oft wecke diese Person sogar den Beschützerinstinkt der anderen Mitarbeitenden. Das gehe dann manchmal so weit, dass das «Team gemeinsam mit dem Betroffenen zu einer Sitzung aufmarschiert, wenn es etwas mit der IV, dem Case Management oder dem HR zu besprechen gibt» oder sich die Teammitglieder nach Ablauf der meist sechsmonatigen Arbeitsphase nur schweren Herzens von dieser Person trennen konnten, erklären Jacqueline Schreiber und Stephan Walliser.

Obschon inzwischen etabliert, führt das IV-Arbeitstraining hin und wieder auch zu kritischen Diskussionen: «Weshalb integrieren wir überhaupt Aussenstehende?», diese Frage habe er mehr als einmal von Mitarbeitenden gestellt bekommen, illustriert Walliser den Spagat zwischen IV-Integration und dem nach innen gerichteten Gesundheitsmanagement: «Um Vertrauen zu schaffen, ist es wichtig, nicht nur extern aufzuzeigen, dass wir unsere soziale Verantwortung wahrnehmen, sondern auch intern zu beweisen, dass wir mit dem betriebsinternen Case Management Sorge zu unseren eigenen Mitarbeitenden tragen, damit diese nicht erkranken oder gar selbst zu IV-Fällen werden.» Einer Gratwanderung komme es zudem gleich, verständlich zu machen, dass die Basler trotz ihres sozialen Engagements einem wirtschaftlich rauen Wind ausgesetzt sei. Das erfordere manchmal eben auch eine schmerzhafte Neuausrichtungen und selbst ein Stellenabbau sei nicht immer vermeidbar.

Reintegration benötigt Zeit

Menschen zu reintegrieren bedeutet in erster Linie, sich für sie Zeit zu nehmen. Im Fall des Case Managements ist das für die zehn IV-Trainingsarbeitsplätze etwa ein Tag pro Woche, was über das Jahr hinweg gesehen in etwa einem 20-prozentigen Arbeitspensum entspricht. Nicht nur der Faktor Zeit zählt, auch eingeschliffene Rekrutierungsabläufe wie jene des Kennenlerngesprächs müssen an die Bedürfnisse der IV-Bewerber angepasst werden: «In diesen Gesprächen stellen wir keine leistungsbezogene Fragen. Das ist auch nicht nötig, schliesslich handelt sich ja um einen Trainingsarbeitsplatz», erklärt Jacqueline Schreiber. Anfänglich sei das jedoch anders gewesen: «Wir haben eindeutig zu hohe und zu spezifische Ansprüche gestellt und zu viel Wert auf bestimmte Sprach-, Branchen- oder Computerkenntnisse gelegt.» Und dabei den Bewerberkreis zu eng eingegrenzt.

Man habe einfach zu wenig Unterscheidungen zwischen einer Festanstellung und einem IV-Trainingsarbeitsplatz gemacht: «Das sind heute aber zwei Paar Schuhe», erklärt Schreiber. Vielmehr gelte es, den Betroffenen die Arbeitsplatzgestaltung und den Arbeitsinhalt näherzubringen, ihr Vertrauen zu gewinnen und sie zu ermutigen, die nächsten beruflichen Integrationsschritte zu machen. Dabei gelte es auch herauszufinden, welche Ängste sie mit sich herumtragen und welche speziellen Bedürfnisse sie haben. «Wichtig ist aber, dass sich die Betroffenen überhaupt getrauen, hierher zu kommen», führt Schreiber aus.

Bei der Reintegration sei ein schrittweises Vorgehen angezeigt: «Meist haben die Betroffenen bei der IV ein Arbeitsprogramm in einer Lernfirma hinter sich. Zudem wurde im Vorfeld bereits abgeklärt, ob ihre Fähigkeiten, ihre Ausbildungen und ihr Verhalten zu unseren Jobprofilen passen», erklärt Jacqueline Schreiber das Prozedere. «Das ist eine wichtige Vorarbeit der IV, denn sie verhindern vorzeitige Programmabbrüche.» Sind das Kennenlerngespräch und der Schnuppertag erfolgreich verlaufen, beginnt das IV-Arbeitstraining meist mit einem 50-Prozent-Pensum, das langsam gesteigert wird, während der Betroffene scheinbar selbstverständliche Dinge wieder erlernt: pünktlich zu sein, Fehltage zu vermeiden, soziale Kontakte zu pflegen oder einfach durchzubeissen, wenn es mal gerade nicht rund läuft.

Auch wenn sich jemand in einem befristeten IV-Training befinde, habe er oder sie dieselben Rechte wie alle anderen Angestellten. «Wir legen grossen Wert darauf, diese Person in den Teamalltag zu integrieren und sie auch ausserhalb der Arbeit in den Pausen zu begleiten.» Das Zwischenmenschliche dürfe im Arbeitstraining nicht unterschätzt werden, betonen Walliser und Schreiber. Stimme das Drumherum, sei der Erfolg der Integration naheliegend. Dabei sei die Zusammenarbeit mit den HR-Businesspartnern sehr wertvoll, «um ein geeignetes Arbeitsumfeld zu schaffen, denn diese kennen die Teamsituationen und die verschieden Arbeitsbereiche.» Stehe beispielsweise gerade eine Restrukturierung an, sei das für IV-Arbeitstrainingsabsolventen nicht unbedingt förderlich.

Keine Schonarbeitsplätze

Von «reinen Schonarbeitsplätzen» wollen Schreiber und Walliser im Zusammenhang mit der IV-Integration nicht reden: «Unsere Aufgabe ist es, den Betroffenen die Realität zu spiegeln und den Teilnehmenden aufzuzeigen, wie ihre Leistung und ihr Verhalten auf uns wirken und wie wir in einem ‹normalen› Arbeitsverhältnis reagieren würden. Beispielsweise, indem wir die Probezeit verlängern oder sogar eine Kündigung aussprechen würden.»

Meist endet das üblicherweise von der IV finanzierte Arbeitstrainingsprogramm nach drei, sechs oder in Ausnahmefällen zwölf Monaten. Manchmal auch ziemlich abrupt, wenn das Programm trotz aller Hilfestellungen nicht zum Ziel führt: «Wenn das IV-Programm zu Ende geht, macht uns das gelegentlich schon Bauchweh, denn haben die Teilnehmenden bis dann keine Festanstellung, sind sie oft sich selbst überlassen», sagt Jacqueline Schreiber. «Entweder findet der Betroffene dann selbst eine temporäre Arbeit oder er meldet sich bei seinem regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) an.» Eine schwierige Prüfung für die Betroffenen, sich selbständig zu bewerben und bei Misserfolgen nicht wieder in ein Tief zu fallen. «Bei Bedarf ziehen wir über das Case Management von der IV finanzierte Job-Coaches bei, klären interne temporäre Möglichkeiten und Festanstellungen ab oder aktivieren unsere Netzwerke, um tragfähige Anschlusslösungen zu schaffen», führt Jacqueline Schreiber aus. Aussagen, die wohl auch die beiden IV-Trainingsabsolventen Birgitta Körn und Raid Kasshout nur unterstreichen können.

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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