Der Arbeitsplatz der Zukunft

«Das Büro sollte eine Einladung an die Mitarbeiter sein»

Hanns-Peter Cohn, CEO des Büromöbelherstellers Vitra, lebt neue Modelle der Zusammenarbeit in einem Open-Space-Büro. Was genau darunter zu verstehen ist und warum Unternehmen sich damit auseinandersetzen sollten, hat er HR Today im Interview erklärt.

Herr Cohn, welches sind die Trends in der Bürogestaltung?
Hanns-Peter Cohn: Diese richten sich danach, wie sich unsere Arbeitswelt in den nächsten zehn Jahren entwickeln wird. Wenn wir von heute sprechen, ist ja morgen schon angebrochen. Ich bin im Kopf schon im Jahr 2015.

Wie sehen Sie demnach den Arbeitsplatz der Zukunft?
Das wichtigste Ziel in der Bürogestaltung wird sein, das menschliche Wissenspotenzial zu erschliessen.

Warum spielt dabei die Einrichtung eine so grosse Rolle?
Weil Menschen sich nur in einer angenehmen Atmosphäre wirklich öffnen. Nur dann leisten auch Mitarbeiter ihren vollen Beitrag und können am gemeinsamen Erfolg partizipieren. Mit anderen Worten: Moderne Bürogestaltung heisst auch Teamspirit.

Welche Modelle sind nicht mehr zeitge­mäss?
Das Büro war im Kontrast zur Fabrik oder Werkstatt immer der Ort der Administration. Heute geht die Tendenz immer mehr zur Wissensarbeit. Das Büro muss sich also verändern, weil sich die Arbeit an sich verändert. Die Informationsbeschaffung ist zwar viel einfacher und schneller, aber auch komplexer geworden. Und Prozesse, die eben früher in der Administration von Menschen gemacht wurden, laufen heute eher im Hintergrund computergestützt ab. Das alte Abteilungsdenken, das sich auch heute noch häufig in der Einrichtung zeigt, ist für mich absolut nicht mehr zeitgemäss, denn es bedeutet ja Teilung. Und das steht einem Teamprozess entgegen. Die besten Ideen entstehen nicht in vorgegebenen Meetings in einem starren Zeitkorsett, sondern nur wenn man ständig im Gespräch ist, auch interdisziplinär.

Und wie sollte sich das in der Bürogestaltung widerspiegeln?
Die Gestaltung der Arbeitsplätze muss die Kommunikationsprozesse fördern und beschleunigen sowie in höchstem Masse Pro­jekt­arbeit ermöglichen. Ein Projektteam kann schwer zu Ergebnissen kommen, wenn die Mitglieder in Einzelbüros verteilt sind.

Sondern?
Die Lösung heisst Open Space. Ein offener Begegnungsort, übrigens auch für den Chef. Die Zeiten, in denen sich die Führungskraft über ein grosses, schickes Einzelbüro definiert, sind meiner Meinung nach definitiv vorbei. Heute braucht auch der Chef die Nähe zum Team und umgekehrt.

Praktizieren Sie das selbst auch so?
Ich habe meinen Arbeitsplatz in Birsfelden, aber wenn ich einmal pro Woche in Weil am Rhein bin, sitze selbstverständlich auch ich mittendrin.

Ist es in so einer offenen Bürolandschaft nicht sehr laut?
Im Gegenteil. Es ist eher still, hier sind Rücksicht und Disziplin der Mitarbeiter gefordert. Es ist eine Frage des Umganges miteinander.

Wie bereit sind die Unternehmen für das Konzept der Zukunft?
Es gibt bereits einige Vorreiter in der Schweiz. Nicht nur Grossunternehmen, sondern auch KMU. Wir beobachten aber auch Ängste, besonders auf der mittleren Führungsebene. Viele Manager wissen eigentlich schon intuitiv, dass sie überflüssig sind, und halten an alten Strukturen fest.

Was sagen Sie in so einem Fall?
Das kann man nicht verallgemeinern. Nicht wir Büromöbelhersteller verändern die Bürowelt, sondern der Fortschritt in der Informationstechnologie und eine neue Philosophie des Führens. Der Chef von heute ist Vorbild, wenn er ein ökologisches Auto fährt und keinen «standesgemässen» Dienstwagen. Und wenn er sich nicht aus Prestigegründen abgrenzt, sondern mit seinen Mitarbeitern in Kontakt ist und über soziale Kom­petenz und Authentizität verfügt. Die herkömmliche, ­hierarchisch angelehnte Raumgestaltung steht dem vielerorts noch massiv entgegen. Es gibt aber Unternehmen, die das Experiment wagen und ihre Büros rigoros umgestalten. Und dann passiert manchmal Unglaubliches in der Zusammenarbeit. Eine neue Bürokultur kann über Jahre gewachsene Organisationsstrukturen verändern.

Die Bürogestaltung sagt also bereits eini­ges über die Unternehmenskultur aus?
Wichtig ist, dass sich die Philosophie durch das ganze Unternehmen zieht. Ein aufwändiger Showroom, aber ein billiges Backoffice, das geht nicht mehr.

Wie muss man sich nun den neuen Raum vorstellen?
Wie eine Stadtkarte. In einer Stadt gibt es ein Museum, Geschäfte, Wohnhäuser, Parks, Cafés, Restaurants und vieles mehr. Eine Stadt ist ein demokratischer Ort, in dem jeder den Bereich aufsuchen kann, den er sich gerade wünscht.

Welche Bereiche sind dies, übertragen auf eine Bürolandschaft?
Der Arbeitsalltag eines Wissensarbeiters teilt sich auf in Zeiten für konzentriertes Arbeiten, für Videokonferenzen, für Gespräche mit Kunden, für einen Kaffee mit den Kollegen oder für Inspiration in der Bibliothek. Dementsprechend sollten sich auf einer Fläche Bereiche befinden für Einzelarbeit genauso wie für Konferenzen, die ineinander übergehen. Die wichtigste Aufgabenstellung ist, die digitale virtuelle Welt zu verheiraten mit der physisch realen Welt. Das geht nur, wenn wir Orte der Begegnung schaffen, ein Büro, das die Mitarbeiter förmlich dazu einlädt, zu kommen und zu bleiben.

So eine offene Raumstruktur gefällt aber vielleicht nicht allen Mitarbeitern. Wie kommt das bei den Älteren an?
Es ist keine Altersfrage, es gibt hochflexible 60-Jährige und völlig unflexible 25-Jährige. Es ist eine Frage der geistigen Frische und der Bereitschaft, neue Dinge anzugehen. Aber natürlich muss es auch Rückzugsmöglichkeiten geben.

Ihr Konzept «Net & Nest» soll bestmögliche Vernetzung, aber auch ausreichenden individuellen Rückzug ermöglichen. Sind dies die zwei Säulen, auf denen moderne Büros gebaut sind?
Es ist eigentlich eine Gleichung, die wir in einem Entwicklungsprozess über zwölf Jahre selbst gelernt haben. Bis zum Jahr 2000 haben wir in Cubicles gearbeitet, so genannten Hasenkästen, einem Wandsystem, das in eine Grossfläche hineingebracht wurde. Jeder hatte durch hohe Wände abgeschirmt seinen ­eigenen Bereich. Irgendwann haben wir gemerkt, dass sich nichts mehr bewegt, und haben die Bereiche geöffnet. Im ersten Schritt war diese Öffnung jedoch zu grosszügig, es hat zu viel Unruhe gegeben. Es gab eine grosse Sehnsucht nach Rückzug. Diesen Gegenpol nennen wir Nesting.

Besucher können sich das Open-Space-Modell im Citizen Office auf Ihrem Campus in Weil am Rhein anschauen. Wie sind Ihre eigenen Erfahrungen mit diesem Konzept?
Networking ist notwendiger denn je, doch es funktioniert nur, wenn neben aller Kommunikation, Kollaboration und allem Teamwork auch die Möglichkeiten bestehen, auszuweichen. Heute ermöglichen wir im ­Verhältnis 1:1 Rückzug und Teamwork. Studien zeigen ja auch inzwischen, dass genügend Rück­zugs­möglichkeiten eine Produktivitätssteigerung bis zu 30 Prozent bewirken können.

Sie sagen, eine offene Bürogestaltung ist nicht nur nice to have, sondern eine ökonomische Notwendigkeit?
In der Regel werden nur 20 bis 30 Prozent des Mitarbeiter-Potentials abgerufen. Da ist viel mehr möglich, nur braucht es dafür ein anderes Umfeld. Ein Open-Space-Modell ist auch effizienter, denn auf einer offenen Fläche lassen sich viel mehr Arbeitsplätze unterbringen als auf einer streng unterteilten. Und davon abgesehen ist das Büro auch ein wichtiges Rekrutierungsinstrument. Das Unternehmen muss sich unter anderem auch mit seiner Bürogestaltung bei den Kandidaten bewerben. Mit dem Büro geben sie eine Visitenkarte ab, wer sie sind.

Für viele Unternehmen ist eine neue Bürogestaltung aber eher eine Kostenfrage als eine Frage des Willens?
Die Kosten eines Büros lassen sich unterteilen in 80 Prozent Personalkosten, 12 Prozent Gebäudekosten wie Miete, 6 Prozent ­Infrastruktur und, ausgehend von einer Abschreibezeit von 5 Jahren, 1,5 bis 2 Prozent für eine Topeinrichtung. Wenn ich für 1,7 Prozent meiner Kosten die 80 Prozent beeinflussen und eine Produktivitätssteigerung von 3 Prozent erreichen kann, hat sich das innerhalb eines Jahres amortisiert. Viele Unternehmen investieren in IT, das ist richtig. Jedoch erst die Balance zwischen Raum, Einrichtung, Arbeitsmittel (IT) und dem Menschen beeinflusst die Stimmung und damit die Produktivität.

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