Im Gespräch

«Das HR sollte ein wenig von seiner Rolle als interne Polizei wegkommen»

Der Schwede Kjell A. Nordström, Wirtschaftsreferent und Berater internationaler Konzerne, wird geschätzt wegen seiner unkonventionellen und manchmal auch provokativen Art. Er erklärt im Interview, warum sich die Bildungswelt endlich um die jungen Männer kümmern muss und warum die «Geiz ist geil»-Mentalität bei Firmen verschwinden wird.

 

Herr Nordström, Sie reisen in der Welt herum, weil die Leute nicht nur hören wollen, was Sie zu Wirtschaft und Gesellschaft zu sagen haben, sondern weil Ihre Auftritte auch als gute Un­terhaltung gelten. Sind Sie gerade unterwegs?

 

Kjell A. Nordström: Ich bin tatsächlich im Auto Richtung Flughafen. Ich fliege nach Berlin, reise morgen weiter nach Oslo und bin übermorgen wieder zurück in Stockholm.

Womit befassen Sie sich zurzeit?

Unter anderem mit der interessanten Frage: Wie kann unsere Gesellschaft möglichst vielen Leuten ein sinnvolles Leben bieten? Dazu gehört eine sinnvolle Arbeit, und das wird in den kommenden Jahren eine grosse Herausforderung sein. Aus drei Gründen. Ers-tens wegen der internationalen Job-Substitution: Wir exportieren viel Arbeit – und damit Jobs – nach China und in andere Länder, weil dort die Kosten tief sind. Zweitens weil Maschinen die Jobs der Menschen übernehmen. In der Finanzindustrie etwa wird diese Entwicklung in den nächsten 10, 15 Jahren massiv zunehmen. Maschinen können zum Beispiel viel schneller und besser Geld investieren als Menschen. Der dritte Grund ist etwas weniger offensichtlich.

Nämlich?

Die neue Unterschicht in den USA, Europa und vielen anderen Ländern sind hauptsächlich junge Männer, denen die richtige Bildung fehlt. Offensichtlich ist höhere Bildung attraktiv für Frauen – an unseren Universitäten haben wir inzwischen 67 Prozent Studentinnen –, nicht aber für Männer. Wir müssen uns fragen, was an den Universitäten rund um die Welt falsch gelaufen ist. Niemand hat die perfekte Antwort auf diese Frage, aber es ist klar, dass wir uns das anschauen müssen. Denn diese Entwicklungen werden grosse Auswirkungen auf die Zukunft haben.

Wie kann das erwähnte Problem der Jobverdrängung bewältigt werden?

Die wichtigste Antwort auf diese Frage ist, was der ehemalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld «unknown unknowns» genannt hat (Dinge, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen, Anmerkung der ­Redaktion), und ein solches «unknown unknown» ist Innovation. Wir müssen die Grundlage für Entrepreneurship erweitern, weil wir nicht von grossen Unternehmen erwarten können, dass sie alle Menschen mit Arbeit versorgen. Diese Zeiten sind vorbei. Grosse Unternehmen werden in der Wirtschaft künftig eine kleinere Rolle spielen. Die Antwort ist also hauptsächlich Entrepreneurship: Männer und Frauen werden Firmen gründen, die von einer auf zwei, vier, acht, zehn und später vielleicht auf 200 Personen anwachsen. Und damit schaffen diese Männer und Frauen für viele Menschen einen wichtigen Beitrag an ein sinnvolles Leben. 

Sie treten am 5. HR Swiss Congress auf, der sich dem Thema «From values and engagement to performance» widmet. Welches sind für Sie die wichtigsten Werte in der Geschäftswelt von morgen?

In unserem Teil der Welt werden wir eine Bewegung weg vom puren Profitdenken erleben. Ich glaube, dass die meisten Unternehmen zwei Ziele beziehungsweise Missionen verfolgen werden. Die eine Mission ist natürlich, Geld zu verdienen. Die zweite, etwas zu verbessern: die Lebensbedingungen der Menschen, den Planeten, irgendetwas, zum Beispiel mit klimafreundlichen Lösungen oder finanzieller Hilfe für die Ärmsten der Welt, Microbanking etc. Die Firmen können sich das leisten, und sie steigern damit auch noch ihre Attraktivität. Deshalb werden wir vom Prinzip «Geld verdienen und gleichzeitig Gutes tun» in Zukunft noch mehr sehen.

Was macht Sie so sicher?

Es findet ein Umdenken statt. Wenn eine Firma das billigste Material verwendet, die billigsten Arbeitskräfte einsetzt, die Kosten auf allen Stufen der Wertschöpfungskette bis zum absoluten Extrem senkt, dann bedeutet das, dass sie sich nicht gross darum kümmert, was ihr Handeln für Konsequenzen hat. Doch das Bewusstsein für solche Fragen wächst, bei Klienten, Käufern, Firmenbesitzern, und zwar täglich. Das wird uns stärker in Richtung nachhaltige Geschäfte lenken.

Der Titel Ihres Vortrags am HR Swiss Congress lautet «Capitalism 4.x, the ultra modern firm and you». Bitte geben Sie uns einen kleinen Vorgeschmack: Was meinen Sie mit Capitalism 4.x?

Wir haben ein paar Kapitalismus-Arten probiert. Den unregulierten, rabiaten Laisser-faire-Kapitalismus der 1850/60er-Jahre; den Keynesianismus, der nach der Grossen Depression von 1929 entstand, der in vielen Ländern zu einer Stagflation führte; schliesslich die deregulierte Kapitalismusform unter Frau Thatcher und Herr Reagan, die letztlich zum Kollaps von Lehman Brothers beziehungsweise zur grossen Katastrophe 2008 führte. Nun diskutieren wir, wie die vierte Generation des Kapitalismus aussehen wird.

Und?

Nachhaltigkeit wird, wie erwähnt, ein Teil davon sein. Und wir werden wahrscheinlich die Entstehung verschiedener Typen der Eigentümerschaft erleben. Das, was wir geschaffen haben – Fonds, die Firmen besitzen, die anonyme Eigentümerschaft bei etlichen Unternehmen –, das ist eine schlechte Idee. Dadurch entstehen viele Probleme. Anonyme Eigentümer sind schwache Eigentümer, und eine der Folgen einer schwachen Eigentümerschaft sind zum Beispiel die hohen Boni. Ein starker Eigentümer würde diese Boni weder erlauben noch zahlen. Doch bei schwachen Eigentümern können die Manager sich selbst belohnen. Was sie tatsächlich tun. Und tun. Und tun (lacht). Das ist natürlich nicht nachhaltig und wird wieder aufhören. Es hat bereits angefangen, aufzuhören. Eigentümerschaft wird also künftig langfristiger angelegt sein. Und ich bin nicht sicher, ob die Globalisierung, wie wir sie heute kennen, weitergehen wird.

Wie meinen Sie das?

Es ist fraglich, ob wir die Welt komplett offen halten für Handelsströme hinein nach und heraus aus China. Die Arbeitnehmer dort sind Sklaven, die mit freien Menschen in Euro­pa konkurrenzieren, und das kann man weder Fairtrade noch Fairplay noch Fair-­Irgendwas nennen. Anstelle einer Deregulierung werden wir also eine Re-Regulierung ­erleben – andere Regulierungen.

Zurück zu Ihrem Vortrag: Wie sieht die hochmoderne Firma aus?

Sie ist recht klein, hoch internationalisiert, sehr fokussiert und innovativ, hauptsächlich um Projekte herum organisiert, mit einer recht klar definierten Eigentümerschaft. Das sind die zentralen Eigenschaften. Im Buch «Funky Business» haben wir eine lange Liste mit weiteren Eigenschaften erstellt, welche Firmen haben sollten, um schnell und innovativ zu werden.

Sie werden am HR Swiss Congress auf HR-Leute treffen. Nun haben Sie einmal gesagt, dass Menschen nicht wie Ressourcen behandelt werden wollen. 

(Lacht.) Ja. Ich habe gesagt, dass ich, wenn ich in den Spiegel schaue, nicht eine menschliche Ressource sehe, sondern Kjell (lacht). «Human Resource» ist ein seltsamer Name. Man sendet damit das Signal, dass man es mit etwas Standardisiertem zu tun hat, wie Wasser oder Elektrizität. Dabei sind wir alle unterschiedlich, individualistisch, wir sind nicht eine homogene Ressource. Ich will mich aber nicht über das HR-Konzept lustig machen.

Welches ist die Rolle des HR in der Firma der Zukunft?

Heute geht es beim HR stark um Kontrolle und Überwachung: Löhne verhandeln, Reorganisationen durchführen, Leute feuern, Leute ersetzen. Man kann das HR als interne Polizei bezeichnen. Von dieser Rolle sollte sich das HR etwas wegbewegen, und stattdessen mehr tun, um die Firma fitter zu machen für das weltweite Attraction-Game, das bereits am Laufen ist: hinausgehen, die Firma als guten Arbeitgeber präsentieren, an Universitäten etc.

Sie betonen immer wieder, dass wir alle miteinander in Konkurrenz stehen, dass wir immer schneller werden müssen. Irgendwann macht das die Menschen doch müde.

Globalisierung öffnet die Tür zum Rest der Welt und verdrängt dadurch alles Durchschnittliche vom Markt – Menschen, Firmen, Produkte. Denn man kann mit den Besten in Kontakt treten, man will das beste Fussballteam sehen, den besten Sänger hören – und nicht Nummer 25. Wir haben diese Antriebskraft entfesselt, und ich sehe nicht, wie wir sie aufhalten könnten, denn sie wird durch die Informationstechnologien und offenere Grenzen denn je weiterhin angetrieben. Also wird es in fünf, zehn Jahren nicht anders sein. Und ja, das kann einen ein bisschen ermüden, es ermüdet auch mich ein bisschen (lacht). Und damit wären wir wieder bei der Anfangsfrage: Wie bieten wir den Menschen in dieser Welt, in der alle miteinander im Wettbewerb stehen, ein sinnvolles Leben? Wir müssen dafür sorgen, dass jeder und jede ein sinnvolles Leben und etwas Sinnvolles zu tun hat, dass alle mit an Bord sind. Das ist nicht so einfach! Es braucht wohl eine neue Einstellung dem Leben gegenüber. Welche, weiss ich nicht. Niemand hat darauf die perfekte Antwort ...

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Video zum Thema «Arbeiten im HR»

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Franziska Meier ist Redaktorin und Produzentin mit langjähriger Erfahrung im Zeitungs- und Zeitschriftenbereich. Als Chefredaktorin des Magazins «fit im job» sowie als Fachredaktorin der Zeitschrift «HR Today» hat sie sich auf das Thema «Mensch, Arbeit & Gesundheit» spezialisiert. Zu ihren journalistischen Schwerpunkten gehören insbesondere Persönlichkeitsentwicklung, Coaching, Stressprävention und betriebliches Gesundheitsmanagement. Achtsamkeit praktiziert sie manchmal im Schneidersitz, öfter jedoch auf ihren Spaziergängen rund um den Türlersee.

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