Risikofaktor Personal

Der Täter ist nicht immer der Gärtner: Es kann auch der Mitarbeiter sein

Mitarbeitende können nicht nur durch Abwesenheit oder Fehler die Geschäftstätigkeit empfindlich beeinträchtigen, sie bergen auch so manches Kriminalitätsrisiko: Jedes fünfte Unternehmen in der Schweiz ist ein Opfer von Wirtschaftsdelikten. Wie aber kann sich ein Unternehmen dagegen schützen? Mit mehr Zuckerbrot – oder eben doch der Peitsche?

Veruntreuung, Unterschlagung oder Verstoss gegen das geistige Eigentum – das sind nur einige der Delikte, mit denen Schweizer Unternehmen immer wieder konfrontiert werden. In der Schweizer Beilage zur Studie 
Global Economic Crime Survey 2009* hat die Unternehmensberatung Pricewaterhouse-
Coopers (PwC) anhand der Antworten von 129 Schweizer Führungskräften untersucht, wie sich unter anderem die Wirtschaftskriminalität entwickelt hat. 29 Prozent der Befragten sehen im aktuellen Umfeld des Wirtschaftsabschwungs ein erhöhtes Betrugsrisiko. Ein Drittel stellt eine Zunahme von Zwischenfällen gegenüber dem gleichen Zeitpunkt vor einem Jahr fest.

17 Prozent der Befragten meldeten mindestens einen aufgedeckten Deliktsfall in der Höhe von durchschnittlich 1,5 Millionen Franken. 41 Prozent der Fälle wurden in der Finanzbranche verübt, die Hälfte der Delikte wurde von Personen innerhalb der eigenen Unternehmung begangen. 70 Prozent der Täter stammen aus dem mittleren und oberen Management.

Laut PwC sind die angegebenen Betrugsfälle allerdings nur die Spitze des Eisbergs. «Die Dunkelziffer bei Wirtschaftsdelikten in der Schweiz ist hoch», sagt Gianfranco 
Mautone, Partner und Leiter Forensic Services bei PwC Schweiz. Ein Grossteil werde denn auch nur zufällig aufgedeckt. «Die Anzahl der Wirtschaftsdelikte wird sicher steigen, vermutet Mautone, auch wenn ein Grossteil weiterhin unentdeckt bleiben werde. Compliance-Richtlinien machen nur zusammen mit Kontrollfunktionen wirklich Sinn. 26 Prozent der Befragten gaben jedoch an, noch nie eine Wirtschaftsdelikts-Risiko-analyse durchgeführt zu haben. 46 Prozent nur einmal.

Zudem haben viele Unternehmen in der Wirtschaftskrise ihre Ausgaben für Compliance und interne Kontrollmechanismen zurückgefahren. Und das, obwohl sich gezeigt hat, dass Unternehmen, die vierteljährlich Risikobewertungen und darauf basierende Kontrollen durchführen, mehr Deliktsfälle aufgedeckt haben. «Viele Betrugsfälle fangen klein an, manchmal sogar durch einen Fehler, der vertuscht werden soll. Die Hemmschwelle sinkt dann. Es ist auch eine Kulturfrage, inwieweit man Fehler ansprechen oder zugeben kann», erklärt Mautone.

Der bessere Firmenwagen und 
höhere Boni als «Rechtfertigung»

Die Gretchenfrage stellt sich in der Balance zwischen Vertrauen und Kontrolle. Wie viel Vertrauen ist möglich und wie viel Kontrolle ist nötig? Erkenntnisse aus der Soziologie besagen, dass ein Fünftel der Menschen grundehrlich sind, ein Fünftel wird als unehrlich klassifiziert. Die restlichen 60 Prozent der Menschen nehmen es mit der Ehrlichkeit nicht so ernst. «Sie sind gerade mal so ehrlich, wie die Umstände es erlauben», sagt Claude G. Jung, Fachrat für Internationale Wirtschaftskriminalität am Competence Center für 
Forensic und Wirtschaftskriminalistik der Hochschule Luzern. Er rät zwar nicht, auf jeden Menschen mit Argwohn zuzugehen, aber Sicherheitslücken zu schliessen und wachsam zu sein. «Ein Symptom könnte sein, wenn Mitarbeiter keine Ferien beziehen.» Denn die Täter wollten verhindern, dass die Machenschaften in dieser Zeit auffliegen. Auch wenn ein Mitarbeiter stets über seine Verhältnisse zu leben scheint, könnte dies ein Warnsignal sein. «Er kann natürlich auch geerbt haben, aber es lohnt sich, näher hinzuschauen.»

Gianfranco Mautone sieht als Hintergrund für manche Delikte aber auch Racheaktionen. «Viele Menschen, die Delikte begehen, haben keine Einsicht, dass sie kriminell handeln, sondern stehen auf dem Standpunkt: Mir steht das sowieso zu – warum haben sie denn Herrn Müller befördert und nicht mich?» Immer wieder gäben gefasste Täter solche 
Beweggründe an. Auch der bessere Firmenwagen oder höhere Boni der Kollegen können eine «Rechtfertigung» sein. «Das bedeutet natürlich nicht, dass jeder, der nicht befördert wird, nun ein potenzieller Krimineller ist», macht Mautone klar. Auch finanzielle Sorgen könnten die Motivation für Delikte sein.

«Vertrauen ersetzt Kontrolle nicht», weiss Claude G. Jung. Bei der Aufdeckung von Delikten habe sich gezeigt, dass in rund der Hälfte der Fälle Kontrollsysteme beteiligt waren. Damit man Mitarbeitern vertrauen kann und diese sich durch gewisse Reglemente nicht überwacht fühlen, müssen sie sich mit dem Unternehmen identifizieren. «Dafür muss ethisch gehandelt werden», so Jung. Das sei umso wichtiger, da das Personal Risikofaktor Nummer eins für das Unternehmen sei.

Täterprofil: Beliebt, integriert, hohe Vertraulichkeit, Kadermitglied

Die Gefahr, Opfer von Kriminalität zu werden, wird in vielen Chefetagen jedoch weit unterschätzt. «Die meisten Manager denken, ihr Unternehmen sei ohnehin nicht betroffen», erklärt Jung. Dies sei nur eines von vielen Fehlurteilen, die in Unternehmen herrschten. Ein weiteres sei die Auffassung, Wirtschaftsdelikte beträfen nur Grossunternehmen. Die Realität sehe anders aus: Diebstahl, Betrug, Veruntreuung und Unterschlagung gehörten zum betrieblichen Alltag in der Schweiz. «Jedes fünfte Unternehmen ist betroffen.» Knapp ein Drittel aller geschädigten Unternehmen gab seine direkten Verluste durch Betrug mit über einer Million Franken an, 18 Prozent von ihnen büssten sogar über fünf Millionen Franken ein.

Die Crux ist: Meistens ist der Täter ein Mitarbeiter, der uneingeschränktes Vertrauen geniesst, zwischen 42 und 52 Jahre alt und Kadermitglied. Er ist sozial integriert und bei anderen beliebt. Als mögliche Hauptmotive geben die Umfrageteilnehmer der PWC-Studie den gestiegenen Leistungsdruck und den Wunsch nach Erhalt des Lebensstandards an. 60 Prozent der befragten Unternehmen, die Opfer eines firmeninternen Delikts geworden waren, gaben an, dass ihre Geschäftsleitung eine variable, leistungsabhängige Komponente in ihrer Vergütung habe. Laut Gianfranco Mautone erhöhen solche Anreize den Leistungsdruck und könnten dazu verleiten, mit betrügerischen Machenschaften bessere Unternehmensergebnisse erreichen zu wollen. Oftmals würde die Position jedoch dazu benutzt, in die eigene Tasche zu wirtschaften. Claude G. Jung sieht die Ursachen dafür, dass sich immer häufiger kriminelle Energie in Unternehmen entlädt, unter anderem im Zuge des Wertewandels, der die Schwelle zur Kriminalität senkt. «Über alle Hierarchieebenen hinweg, vom einfachen Angestellten bis hin zum Topmanager erleben die Mitarbeiter, wie Arbeitgeber unter wirtschaftlichem Druck frühere Loyalitäten aufkündigen.» Durch Personalabbau, Restrukturierungen und Unternehmensverkäufe würden die Belegschaften durcheinandergewürfelt. Und das löse Frust aus. Hinzu komme, dass viele moderne Mechanismen es Tätern einfach machen. Globale wirtschaftliche Verflechtungen erleichtern das Vertuschen und moderne Kommunikationsmittel die Ausführung von Delikten.

Die Prävention vor Kriminalfällen 
beginnt bereits bei der Rekrutierung

Für eine wirksame Prävention ist es nötig, die Motive der Täter zu verstehen. Dies liegt bei Ersttätern meistens einfach in der altbekannten Tatsache: Gelegenheit macht Diebe. Die erste Massnahme daher ist, die Gelegenheiten für Veruntreuung massiv einzuschränken und zweitens die Aufdeckungsmöglichkeiten zu erhöhen. «Auch minimale Massnahmen bringen Erfolg, wenn sie konsequent angewandt werden», so Jung. «Need to know» sei das Stichwort. Jeder Mitarbeiter sollte nur so viel wissen, wie er zur Ausübung seiner Aufgaben braucht. Damit sei einigen Gelegenheiten zur Unterschlagung von geistigem Eigentum oder sensiblen Daten ein Riegel vorgeschoben. «Eine Vorsichtsmassnahme beginnt bereits bei der Rekrutierung», so Mautone. Dazu gehöre es, Informationen über den Kandidaten und einen Strafregisterauszug einzuholen, vor allem bei der Besetzung einer leitenden Position. «Man sollte zudem die Referenzen ernst nehmen und diesen wirklich nachgehen.» Eine weitere Vorsichtsmassnahme sei es, so Jung, häufige Wechsel in Schlüsselpositionen zu vermeiden.

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Für den «Economic Crime Survey 2009» wurden weltweit 3000 Fragebogen aus 55 Ländern ausgewertet. Mehr als die Hälfte der Studienteilnehmer waren Geschäftsleitungs- oder Verwaltungsratsmitglieder. Die Schweizer Resultate basieren auf den Antworten von 129 Unternehmen, 41 Prozent davon sind an einer Börse kotiert. www.pwc.com.

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