Von der Theorie zur Praxis

«Der Weg von der Strategie zur Organisation ist lang»

Unternehmen mangelt es nicht an guten Strategien. Viele Organisationen schaffen es jedoch nicht, diese in ihrem Unternehmen umzusetzen.

Strukturen in Organisationen haben immer kürzere Halbwertszeiten. Das ist ein Phänomen, das wir seit Jahren beobachten. Welche Gründe gibt es für diese ständigen Organisationsveränderungen? Dass die Shareholder Druck machen? Das sei immer wieder einmal ein Grund, so unsere Gesprächspartner. Strategieprojekt, organisatorische Anpassungen und ein paar neue Köpfe, dies wirke dynamisch und vorwärtsgewandt, sagen die Experten. Das Heft des Handels in der Hand zu halten, sei schliesslich ein gutes Zeichen. So geht ein Wechsel des Vorstandsvorsitzenden ziemlich oft auch mit Veränderungen in der Organisation einher. Schliesslich will sich der neue vom alten Chef abgrenzen. Eine neue Organisationsstruktur kann dabei helfen.

Sicher: Das sind gute Begründungen. Sie allein für die Dynamik am Veränderungsmarkt verantwortlich zu machen, würde jedoch zu kurz greifen. Vielmehr lässt sich aus unserer Sicht häufig ein anderer, wesentlich bedeutsamerer, Grund finden: Strategie, Prozesse und die Organisation sind nicht aufeinander abgestimmt.

Wir haben aus den vergangenen Jahren zwei Beispiele zusammengetragen, an denen sich dieses Phänomen – aus unterschiedlicher Perspektive – darstellen lässt.

Beispiel 1:

Ein Unternehmen mit internationalem Fokus möchte sich von individuellen Kundenlösungen zu stärker standardisierten Angeboten und Plattformen entwickeln. In der Organisation führt dies dazu, dass die bisher starken Länder «geschwächt» werden, zentrale Stellen hingegen an Bedeutung gewinnen. Die Folge: Nach der Umstrukturierung fanden sich die Länder organisatorisch in mindestens einer tieferen Hierarchieebene wieder. Inhaltlich sprachen manche von «wenig bedeutenden» Einheiten.

Bei diesem Veränderungsprozess wurde aber übersehen, dass in vielen Ländern ein erheblicher Anteil des Umsatzes lokal oder regional erzielt wurde, das Geschäft eben nicht (nur) «durchgereicht» wurde. Die Länder standen also vor folgender Herausforderung: eigenes Geschäft zu generieren und gleichzeitig die Strategie der Vereinheitlichung umzusetzen, die zur Schwächung der eigenen Stellung führen muss. Diese Aufgabe gleicht der Quadratur des Kreises.

Der wesentliche Grund für diese Auswirkungen war im Kern die stark vereinfachte Übersetzung strategischer Ziele in eine Organisation. Ein Phänomen, welches uns recht häufig begegnet. Hier wurde ein an sich sinnvolles Ziel ohne Prüfung der anderen Komponenten (hier des lokalen Marktes) in eine neue Organisation überführt. Hinzu kommt ein zweites, leider immer noch zu beobachtendes, Problem: Die Sicht ist viel zu sehr von innen nach aussen gerichtet. Bei der Entwicklung der Strategie haben sich die Verantwortlichen noch mit dem Markt und den Kunden beschäftigt. Bei der Erarbeitung der Organisation ging es jedoch nur noch um eine einfache, schnelle und  «innenfokussierte» Umsetzung.

Eine Folge dieser Reorganisation: Das Geschäft lief nicht besser. Dies wiederum führte zur nächsten Reorganisation. Auch diese hatte nur mässigen Erfolg. Und so ging es immer weiter.

Beispiel 2:

Ein Mittelständler wächst international, er eröffnet die ersten Länderbüros und Werke ausserhalb des Heimatmarktes. Es werden Märkte identifiziert, Ziel- und Kundengruppen beschrieben. Das (strategische) Bild wird rund. Sobald es dann aber an die Übersetzung des Geschäfts- und Governance-Modells in eine Organisation ging, wurden die alten Bereiche «geschont». In diesen sassen die bisherigen Erfolgsträger. Allein diese Tatsache führte dazu, dass man dort wenig veränderte, ausser, dass man hier und dort einige zusätzliche Einheiten einfügte. Diese hingen in der Regel jedoch an den bisherigen Erfolgsgaranten. Die Folge: Die neuen, internationalen «Treiber» hatten eine relativ schwache Position. Sie hingen an den alten Einheiten, die wenig Interesse an Veränderungen zeigten.

Sie sehen: In Beispiel 2 wurden zwei wesentliche Fehler gemacht. Zum einen haben die Verantwortlichen die konsequente Umsetzung der Strategie erschwert, indem sie an den wesentlichen Bestandteilen der bisherigen Organisation festgehalten haben. Zum anderen hat man die Manager des bisherigen Erfolgsmodells nicht in die neue Welt «mitgenommen».

Verstehen Sie uns bitte nicht falsch: Aus unserer Sicht ist nichts dagegen einzuwenden, Erfolgreiches fortzusetzen. Allerdings müssen sich Veränderungen deutlich in der Organisation niederschlagen. In unserem Beispiel hätte die Internationalisierung zum Treiber der Organisation werden müssen. Die Länderbüros hätten eine wesentlich stärkere Stellung bekommen müssen. Das ist nicht geschehen und so konnte das Modell nicht funktionieren. Denn auch das beste Modell wird nicht funktionieren, wenn es die Manager  nicht umsetzen wollen oder können.

Was haben viele dieser Fälle gemeinsam? Vor allem fehlt ihnen eine konsequente, differenzierte und prozessual abgesicherte Übersetzung der Strategie (oder besser des aus dem Geschäftsmodells abgeleiteten Governance-Modells) in eine Organisation. Und: Die handelnden Personen werden zu oft unterschätzt.

Was ist stattdessen zu tun? Der erste Teil der Lösung ist in der Theorie einfach. Trotzdem ist er offenbar äusserst schwierig umzusetzen. Unternehmen sollten mindestens so viel Zeit für die Erarbeitung der passenden Organisation einplanen wie für die Entwicklung der Strategie.

Governance-Modell entwickeln

Der zweite Teil ist die Entwicklung des richtigen Governance-Modells und die daraus «abgeleitete» Organisation. Diese Ableitung ist aber kein Automatismus. Oft sind verschiedene Lösungen denkbar, andere Faktoren (Synergien, rechtliche Komponenten, Märkte) sind zu berücksichtigen. Konsequenz ist dabei das Stichwort. Wer Einheiten neu einrichtet oder stärkt, muss immer im Hinterkopf behalten, dass dies auf Kosten anderer Einheiten geschieht. Stärkt man zentrale oder dezentrale Einheiten ist die logische Folge eine Schwächung anderer Bereiche. Die Frage ist dann nur, was muss – vor allem aus Marktsicht – verbleiben? Welche Aufgaben ergeben sich aus dem neuen Modell? Welche Differenzierung ist aus Markt- und/oder Produktsicht notwendig? An dieser Stelle ist eine falsche Rücksichtnahme auf das «Bewährte», die bisherigen Treiber, nicht angebracht.

Der dritte, eng mit dem vorangegangenen verbundene Teil der Lösung umfasst eine Überprüfung und Anpassung der wesentlichen Prozesse. Dies wird leider gerne übersehen oder nur der IT überlassen. Darauf aufbauend werden die Rollen in der neuen Organisationsstruktur über Verantwortlichkeitsmatrizen präzisiert.

Abschliessend stellt sich die Frage nach der Auswahl der richtigen Personen für die Herausforderungen in den veränderten Rollen.

Dies alles klingt einfach. Im Kern ist es dies auch. Trotzdem läuft viel schief. Warum? Sicher liegt die Antwort auch in methodischen Fragen begründet und in dem mangelnden Verständnis der Zusammenhänge. Nach unseren Erfahrungen gibt es jedoch noch einen wichtigeren Grund. Dieser ist ganz schlichter Natur: Mit dem Thema «Organisationsdesign» lässt sich für das Top Management kein Blumentopf gewinnen. Für ihn muss der Veränderungsprozess schnell und möglichst geräuschlos über die Bühne gehen und darf nur nicht zu kompliziert sein. Auch ein Grund, warum wir schon vor Jahren das Verschwinden der der Organisationsabteilungen konstatiert haben. 
 

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Uwe Rüger ist Senior Vice President der Hay Group.

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Christian Weiss ist Principal der Hay Group.

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