Sozialberatung

Mit einer betrieblichen Sozialberatung ist jede Firma gut beraten

Sich bei einem Problem einer internen Person anvertrauen? Bloss nicht! Da nicht wenige Menschen so denken, 
bietet sich Unternehmen die externe betriebliche Sozialberatung an. In drei bis fünf Gesprächen wird mit einer 
Fachperson das Problem eingekreist und gelöst. Doch Vorsicht: Es gibt ein paar klassische HR-Stolpersteine.

Was bringt die betriebliche Sozialberatung? Die Frage lässt sich am einfachsten beantworten, wenn man sich anschaut, was der Verzicht auf eine solche Beratung kosten kann. Zum Beispiel: Eine Mitarbeiterin hat ein Alkoholproblem, das schon zweimal thematisiert wurde, und beide Male versicherte sie glaubwürdig, ihre Sucht in den Griff zu bekommen. Beim nächsten Rückfall ist ihr Chef bitter enttäuscht, es kommt zur Trennung. Oder: Bei einem schon länger krankgeschriebenen Mitarbeiter glaubt die Vorgesetzte, das werde dann schon wieder. Stattdessen wird er IV-Rentner.

Interne oder externe Beratung?

«Das sind klassische Fälle, bei denen durch eine Sozialberatung der Verlust der entsprechenden Person wahrscheinlich hätte verhindert werden können», sagt Katja Müggler, Geschäftsleiterin der Proitera GmbH in Basel, die schweizweit betriebliche Sozialberatung anbietet. «Einer unserer Kunden konnte kürzlich rund 70 000 Franken sparen, weil es ihm durch unsere Beratung gelang, einen Mitarbeiter vor der IV zu bewahren.»

Für Firmen stellt sich die Frage, die Sozialberatung intern oder extern anzubieten. Katja Müggler: «Ob intern oder extern, die Dienst-leistung ist vergleichbar. Allerdings sind die meisten Firmen zu klein, um für die Sozialberatung eine Person anzustellen und die Qualität zu sichern. Es käme zu teuer.» Die externe Beratung bietet sich auch an, weil viele Menschen ihre Probleme lieber mit einer neutralen Person besprechen, gerade wenn es sich um sehr persönliche Dinge handelt.

Stolpersteine fürs HR


Stolperstein 1: Das HR hat den Eindruck: Bei uns hat man keine Probleme. Schön, wenn das stimmt. Die Zahlen der auf betriebliche Sozialberatung spezialisierten Firma Proitera sprechen folgende Sprache: Fünf bis zehn Prozent aller Angestellten des jeweiligen Kunden beanspruchen im Laufe eines Jahres eine Beratung. Diese Zahl ist konstant über die rund 100 Kundenunternehmen. 

Stolperstein 2: Das HR wartet zu lange – bis es eine Person mit einem offensichtlichen Problem an die Sozialberatung überweist. Es sollte reagieren, bevor jemand
a) 
wegen eines Burnouts zusammenbricht,
b) 
sich zum zweiten Mal alkoholisiert hinters Steuer des Firmenlieferwagens setzt,
c) 
zum zweiten Mal für unbestimmte Zeit krankgeschrieben wird.

Stolperstein 3: Das HR betrachtet die externe betriebliche Sozialberatung als Konkurrenz. Natürlich muss das HR Ansprechpartner für die Mitarbeiter sein. Doch es braucht auch das Verständnis, dass professionelles Handeln nicht bedeutet, bei allen Problemen Hilfestellung zu leisten, sondern zu erkennen, wo die Zuständigkeit des HR endet. Das gilt auch für KMU, bei deren HR-Verantwortlichen oft das Verständnis herrscht: Wir kennen unsere Leute, wir können alles abfangen. HR-Leute sollten die Sozialberatung als Ergänzung und Entlastung betrachten,
a) 
wenn sie bei einer Beratung an die Grenzen der eigenen Ausbildung kommen (in den Bereichen Gesundheit, Psychologie etc.),
b) 
wenn sie sich für eine Person verantwortlich zu fühlen beginnen,
c) 
wenn die Bilder im Kopf belastend werden (Details häuslicher Gewalt oder die Geschichte eines Messies können unter die Haut gehen),
d) 
wenn sich eine Person mit offensichtlichem Problem nicht öffnen mag,
e) 
wenn sich eine interne Beratung im Kreis dreht.

Die betriebliche Sozialberatung deckt eine grosse Bandbreite an Themen ab, Berufliches (Probleme mit Vorgesetzten, Mobbing, Arbeitsüberlastung, Unsicherheit bei Restrukturierungen etc.), Privates (Erziehung, Scheidung, Geldprobleme etc.) und auch Gesundheits- und Suchtfragen. «In der Sozialberatung hören wir den Menschen zu, und dann werden gemeinsam Lösungen erarbeitet», sagt Katja Müggler. Das kann eine Budgetberatung oder Schuldensanierung sein, eine Trennungsvereinbarung, eine Besuchsregelung oder eine Suchtberatung mit Suchtverein-barung.

Meist kommt eine Person nicht mit einem Einzelproblem. Müggler: «Jemand mit Spielsucht hat oft auch familiäre und finanzielle Probleme.» In der Regel reichen drei bis fünf Gespräche, um das Ziel der betrieblichen Sozialberatung zu erreichen: die Arbeitsleistung zu erhalten oder wiederherzustellen. Wird in diesem Prozess klar, dass ein Thema psychologisch aufgearbeitet werden muss, wird die Person an einen Therapeuten weiterverwiesen. 

95 Prozent holen freiwillig Rat ein

Eine Kundin der Proitera ist die Basellandschaftliche Kantonalbank (BLKB). Seit 2006 bezieht sie ein Beratungspensum von 25 Prozent (bei Firmen ab 100 Mitarbeitern verrechnet die Proitera in der Regel eine Pauschale, es ist aber auch ein Stundenansatz möglich; die Kosten betragen rund sechs bis acht Franken pro Mitarbeiter und Monat).

Warum bezahlt die Bank für eine Dienstleistung,  welche die Angestellten nicht nur bei beruflichen, sondern auch bei privaten Problemen in Anspruch nehmen können? «Wenn der Mitarbeiter Probleme hat, ist sein Kopf nicht frei, er wird in seinen Leistungen eingeschränkt sein», sagt Daniel Kern, der Personalleiter der BLKB. «Ziel ist, private, finanzielle, gesundheitliche und berufliche Probleme durch eine professionelle Begleitung zu lösen, die Arbeitsleistung zu stabilisieren und die Fehlerquoten und Absenzen zu reduzieren.»

Dank einer anonymen Auswertung der Proitera weiss man bei der BLKB, welche Themen am häufigsten nachgefragt werden: Auf Platz 1 stehen familiäre Probleme, auf Platz 2 persönliche Schwierigkeiten, auf Platz 3 folgen Probleme am Arbeitsplatz. Das ist ungewöhnlich, denn laut Katja Müggler stehen bei den meisten Unternehmen die Schwierigkeiten am Arbeitsplatz an erster Stelle. «Unsere Reihenfolge der meistgefragten Themen zeigt, dass wir eine gute Kultur, ein gutes Arbeitsklima haben», folgert Daniel Kern. «Wären Probleme am Arbeitsplatz an der ersten Stelle, so bestünde Handlungsbedarf.» Die externe Sozialberatung geniesst innerhalb der Bank eine hohe Wertschätzung: An der letzten Mitarbeiterumfrage 2010 wurde sie mit durchschnittlich 84 von 100 Punkten bewertet.

Wie viele Mitarbeiter die Beratung besuchen, möchte Daniel Kern nicht bekannt geben. Doch so viel: «Der Grossteil unserer Mitarbeiter, welche die Sozialberatung in Anspruch nehmen, tut dies auf eigene Initiative.» Das ist auch die Erfahrung, die Proitera mit ihren über 100 Kunden macht: «Unsere Klienten, also die Angestellten unserer Kunden, kommen zu 95 Prozent freiwillig in die Beratung», sagt Katja Müggler.

Es kommt aber auch vor, dass jemand vom Vorgesetzten beziehungsweise HR an die Sozialberatung verwiesen wird. Das ist meist dann der Fall, wenn die Arbeitsleistung beeinträchtigt ist, bei einer längeren Abwesenheit, offensichtlicher Unzufriedenheit, auffälligem Verhalten, Suchtproblemen oder wenn es in Richtung Verwarnung geht. In diesen Fällen ist immer das HR involviert, da es darum geht, zwischen Mitarbeiter und Firma Ziele zu vereinbaren – die dann mit Hilfe der Sozialberatung erreicht werden sollen. «In diesen Fällen ist es zentral, dass man innert nützlicher Frist eine Verbesserung sieht», sagt Daniel Kern. Dies sei auch meist möglich; nur wenn alle Bemühungen nichts nützen, könne es zur Trennung kommen.

Wenn es Widerstände gibt

Werden Menschen in die Sozialberatung geschickt, kommt das nicht immer gut an. Ein HR-Verantwortlicher hat diese Erfahrung vor einiger Zeit selbst machen müssen. «Wenn man zur Sozialberatung aufgefordert wird, verletzt das den eigenen Stolz», erinnert er sich. Und man frage sich auch, ob das einen Einfluss auf den Bonus oder auf weitere Karriereschritte habe.
Solche Widerstände beobachtet auch -Daniel Kern: «Zu Beginn ist oft eine Hemmschwelle da – bis nach dem ersten Gespräch. Denn da realisieren die meisten: Es ist eine Chance für mich und keine Schikane des Arbeitgebers.»

Die Proitera macht oft die Erfahrung, dass Menschen mit Widerständen kommen, im Nachhinein aber froh um die Beratung sind.
Und wenn sich doch jemand weigert? -Daniel Kern: «Wenn jemand schon privat in professioneller Behandlung ist, akzeptieren wir das unter Umständen – und beobachten die Situation weiter.»

Sozialberatung ist ein wichtiger Teil des betrieblichen Gesundheitsmanagements. «Unsere Dienstleistung wirkt präventiv», sagt Katja Müggler, «95 Prozent unserer Klienten sind – noch – gesund, und sie bleiben es dank der Intervention auch.»

Service

Buchtipp: Susanne Klein, Hans-Jürgen Appelt (Hg.): Praxishandbuch betriebliche Sozialarbeit 
Prävention und Interventionen in modernen Unternehmen. Asanger Verlag 2010, 282 Seiten.

Linktipp: Betriebliche Sozialberatung schweizweit: www.proitera.ch

Forschungsbericht des EDI: «Schwierige» Mitarbeiter. Wahrnehmung und Bewältigung psychisch bedingter Problemsituationen durch Vorgesetzte und Personalverantwortliche. E-Bericht unter: www.bsv.admin.ch ➜ Praxis ➜ Forschung ➜ Forschungspublikationen ➜ im Suchfeld in der Mitte (nicht oben rechts) eingeben: Schwierige Mitarbeiter.

 

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Franziska Meier ist Redaktorin und Produzentin mit langjähriger Erfahrung im Zeitungs- und Zeitschriftenbereich. Als Chefredaktorin des Magazins «fit im job» sowie als Fachredaktorin der Zeitschrift «HR Today» hat sie sich auf das Thema «Mensch, Arbeit & Gesundheit» spezialisiert. Zu ihren journalistischen Schwerpunkten gehören insbesondere Persönlichkeitsentwicklung, Coaching, Stressprävention und betriebliches Gesundheitsmanagement. Achtsamkeit praktiziert sie manchmal im Schneidersitz, öfter jedoch auf ihren Spaziergängen rund um den Türlersee.

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