HR Today 7+8/2016: Porträt

Mit Leib und Seele

Lotti Schneider scheut nichts so sehr wie Betriebsblindheit und die damit verbundene Routine. 
Als 54-Jährige stellte sie nach einer operativen Karriere als «HR-Generalistin auf C-Level» die 
Weichen neu und machte sich als Interimsmanagerin selbständig, um Probleme zu lösen, vor 
denen andere kapitulieren.

«Eine Interimsmanagerin hat kein eigenes Büro», 
erklärt Lotti Schneider das Fehlen von Akten oder 
Papierstapeln in ihrer Privatwohnung am idyllisch gelegenen Zürichberg. «Alles, was ich als Interimsmanagerin erarbeite, gehört der Firma und bleibt in der Firma.» Um das Gesagte zu unterstreichen, deutet sie auf die Bücherwand mit Reisebüchern, Romanen und Businessliteratur, die ihren lichtdurchfluteten Arbeitsraum umsäumt, und auf ihren Schreibtisch, der mitten im Raum steht und den sie für Geschäftliches kaum nutzt. «Ich bin zum Stillschweigen gegenüber meinen Auftraggebern verpflichtet.»

Ad interim tätig zu sein, bedeute für sie, «ein Unternehmen zu unterstützen, einen Schritt vorwärts zu kommen, wenn es das aus eigener Kraft nicht schafft». Etwa, weil die internen Ressourcen nicht ausreichen, ihnen das Wissen fehlt oder es bei der Umsetzung eines Projektes hapert. Dabei bevorzugt die selbst deklarierte «HR-Generalistin auf C-Level» strategisch anspruchsvolle HR-Interimsaufgaben: etwa, wenn Firmen Teile abspalten, zukaufen, Standorte aufbauen oder schliessen oder das Humankapital auf neue Märkte ausrichten. Denn gerade bei einer strategischen Neuausrichtung «kann das HR einen Beitrag leisten und wegweisend in ein neues Gebiet hin-
einführen».

Mit allen Wassern gewaschen

Zum Beispiel dann, wenn es darum geht, mit den Mitarbeitenden Veränderungen zu erzielen. Das schaffe man nicht, indem man Fakten vermittle, sondern indem man die Menschen emotional abhole. «Das ist für mich echte HR-Arbeit und kein Schönwetterjob.» Das Spannende dabei sei, dass die gängigen HR-Theorien zwar für alle Unternehmen gültig seien, aber in jeweils unterschiedlichen Kulturen umgesetzt würden. Während sich manche Firmen in einer Aufbauphase befinden, reorganisieren andere oder bauen ab. Dementsprechend seien HR-Theorien anders umzusetzen. Ganz in ihrem Element ist Lotti Scheider, wenn sie für solche strategischen Neuausrichtungen Management-Development-Programme entwickelt: «Nur wenn Mitarbeitende die Unternehmensziele und die Unternehmensausrichtung verstehen und wissen, weshalb sie etwas tun und welchen Beitrag sie leisten können, werden sie sich weiterentwickeln.» Eine Strategie auf dem Papier zu entwerfen, sei das eine, sie umzusetzen, etwas völlig anderes. «Das geht nur zusammen mit den Mitarbeitenden.» Dafür müsse man viel kommunizieren, aber auch mit «allen Wassern gewaschen sein». Zudem sei es hilfreich, strategische Neuausrichtungen am «eigenen Leib erfahren zu haben», denn solche Veränderungen brächten es mit sich, auch unangenehme Massnahmen anstossen und umsetzen zu müssen, um einem CEO dabei eine positive Zukunft aufzeigen zu können. «Wer nicht über viel Berufserfahrung verfügt, sollte nicht Interimsmanager werden», sagt sie. Nebst der strategischen HR-Arbeit beschäftigt sich Lotti Schneider im Interimsalltag mit verschiedensten HR-Prozessen: Sie optimiert Entlöhnungskonzepte und administrative Abläufe oder unterstützt HR-Verantwortliche dabei, Konflikte zu lösen.

Vom Marketing zum HR

So etwa bei einem HR-Team, das sich in Auseinandersetzungen mit dem Management völlig aufgerieben hatte. Das zeigte Folgen: Zeitverzögerungen, gehäufte Reklamationen, vertuschte Fehler. «Die HR-Abteilung war nur noch mit sich selbst beschäftigt», sagt Lotti Schneider. «Das war zu viel in einer Situation, in der grosse Veränderungen anstanden.» Man habe die Aufgaben neu verteilt und eine Person versetzt, die durch ihr Verhalten Unruhe ins Team gebracht habe. Obwohl diese Massnahme begründet war, fiel es ihr nicht leicht, sie durchzusetzen: Durchzugreifen habe sich dennoch gelohnt, denn danach habe das HR-Team wieder gut und effizient zusammengearbeitet.
Begonnen hat ihre HR-Karriere in den 70er-Jahren beim Softwarehersteller Sperry Univac, wo sie Kundenschulungen organisierte. Die Freude, andere Menschen zu befähigen, mit diesen Computerprogrammen umzugehen, habe sie darauf gebracht, vom Marketing ins HR zu wechseln. Anfang der 80er-Jahre folgten die Ausbildung zur Personalassistentin und zeitgleich der Eintritt in die Personalabteilung eines Handels- und Produktionsunternehmens in Zürich.
Nach drei Jahren wechselte sie erneut in die IT, zur Informatiksparte der Fides Gruppe, wo sie zunächst als Personalfachfrau angestellt war, eine HR-Ausbildung absolvierte und zwei Jahre später in die Position ihres Chefs «hineinrutschte», der das Unternehmen verlassen hatte. Auf die junge HR-Leiterin kamen schwierige Zeiten zu. So sah sich das Unternehmen aus  regulatorischen Gründen gezwungen, die Revisionssparte abzuspalten, welche in die KPMG überführt wurde. Das zog eine Reorganisation im gesamten Unternehmen nach sich. Es entstanden neue Bereiche, andere wurden ausgelagert oder abgebaut. Auch das HR veränderte sich.  «Mir wurde bewusst, dass ich eine Weiterbildung brauche, um im HR weiterhin mitzubestimmen», sagt Lotti Schneider.

Die Wahl ihrer Studienorte fiel auf das Simmons College in Boston und auf die University of Michigan, Ann Arbor, beim damaligen HR-Vordenker Dave Ulrich. Als Mitarbeiterin im CS-Konglomerat bezahlte ihr die Bank nicht nur die Studienkosten, sondern hielt ihr zudem eine Stelle in der New Yorker Niederlassung frei, wo Lotti Schneider ein Entlöhnungsprojekt leitete. Zurück in der Schweiz stieg sie bei einer Tochtergesellschaft der Fides ein, wo sie ein knappes Jahr als HR-Beraterin tätig war, bevor sie zu einem weiteren Unternehmen der Credit Suisse, der Electrowatt Engineering, wechselte und dort die Nachfolge des pensionierten Personalleiters antrat. Das Unternehmen wurde Mitte der 90er-Jahre aufgesplittet und die einzelnen Unternehmensteile wurden verkauft. «Es war eine spannende Zeit», meint Lotti 
Schneider. «Obwohl ich zwischendurch auch Sorgen hatte, weil in der Schweiz viele Mitarbeitende sich neu orientieren mussten.» Aus grösserer Distanz betrachtet, habe sich dies aber wieder relativiert, denn «ohne diese strategischen Veränderungen und die Einglie-derung in die Jaakko Pöyry wäre die Firma vom Markt verschwunden».

Unternehmen neues Leben einzuhauchen und den Mitarbeitenden eine hoffnungsvolle Zukunft aufzuzeigen, das motiviert Lotti Schneider und brachte sie schliesslich dazu, ihr Glück in der Interimsarbeit zu suchen. «Mit fünfzig habe ich mir Gedanken gemacht, wie ich meine kommenden fünfzehn Berufsjahre verbringen möchte.» Sie habe nicht einfach dieselbe HR-Tätigkeit in einer anderen Firma ausführen wollen: «Das wäre einfach Copy-Paste gewesen.» Nichts für die quirlige und wissbegierige HR-Leiterin, die sich weiterentwickeln und sich von der einschleichenden 
Betriebsblindheit lösen wollte: «Wenn man jahrelang in derselben Firma arbeitet, trägt man den Hut des Unternehmens.» Mit der Zeit fälle man Entscheide immer mehr wie in einer Familie. «Aussenstehende stellen da ganz andere Fragen.» Man werde einfach etwas gemütlicher. Und diese Gemütlichkeit könne auch Schwierigkeiten verursachen. Dann etwa, wenn man «Probleme nicht mehr gezielt angeht, sondern diese dahinschleifen lässt». Stosse man hingegen von aussen dazu, dann tue man das «mit Lust, Motivation und Freude» und agiere anders.

Die Interimsarbeit flexibel zu gestalten, erwies sich jedoch als Illusion: «Die Selbständigkeit als Interimsmanagerin habe ich mir etwas anders vorgestellt», gibt die Endsechzigerin zu. «Als Interimsmanager kann man seine Arbeitszeit kaum reduzieren.» In einem Mandat sei man so eingebunden, dass daran nicht zu denken sei. Man könne hingegen «die Pausen zwischen den Mandaten ausdehnen». Etwas, das ihr nicht leicht fiel, denn «es kam immer ein spannendes Mandat», das sie dann doch gerne annahm. Sei mal keines in Sichtweite gewesen, war das eine seltsame Situation: «Im ersten Moment fand ich das schön und reiste viel in der Welt herum, aber dann stellte sich doch die Frage: Wars das schon?»

Im aktiven Unruhestand

Auch im sich abzeichnenden «aktiven Unruhestand» widmet sich Lotti Schneider vielen unterschiedlichen Projekten: So stehen etwa mehrwöchige Reisen auf dem Programm und Ferienaufenthalte im Oberengadin, wo sie eine Wohnung besitzt. Daneben will sie sich wieder vermehrt  sportlich betätigen: Velofahren, Langlaufen, Skifahren oder Golfspielen. Auch ihre nebenberuflichen 
Engagements möchte sie beibehalten. So engagiert sie sich in der Stiftung «B360 Education Partnerships» und der Schweizerischen Studienstiftung, die leistungsstarke und breit interessierte Studierende an Hoch- und Fachhochschulen fördert. Ein vollgepacktes Programm. Mit oder ohne Interimsmandate: Lotti Schneider hat in diesem Leben noch viel vor.

Zur Person

Lotti Schneider (68) wächst in Zürich auf und besucht dort die Grundschule. Sie absolviert zunächst eine Handelsschule und bildet sich weiter.

Nach einem Sprachaufenthalt in Paris arbeitet sie in der Werbeabteilung bei Shell, von wo sie 1971 zu Sperry Univac wechselt. Dort organisiert sie Kundenschulungen und entdeckt ihre Freude, Menschen zu coachen. Der Sprung ins HR ist vorgespurt: Sie absolviert eine Ausbildung zur Personalassistentin und arbeitet als Personalfachfrau bei einem Handels- und Produktionsunternehmen in Zürich. 1983 geht sie zur Fides Gruppe, wo sie in derselben Funktion eingestellt und kurze Zeit später zur HR-Leiterin befördert wird.

Es folgt ein Auslandaufenthalt in den USA: Sie studiert am Simmons College in Boston und an der University of Michigan, Ann Arbor, bei Dave Ulrich. Im Anschluss an ihr Studium wickelt sie für die Credit Suisse in New York ein Entlöhnungsprojekt ab und kehrt in die Schweiz zurück.

In einem Tochterunternehmen der Fides Gruppe tritt sie eine Stelle als HR-Expertin an und wechselt nach knapp eineinhalb Jahren zur Electrowatt Engineering, wo sie die HR-Leitung übernimmt. Eine Funktion, die sie beinahe zehn Jahre ausübt.

2002 stellt sie die Weichen neu und macht sich als HR-Interimsmanagerin selbständig. Anfang 2016 hat sie nun ihre letzten Mandate abgewickelt und widmet sich fortan privaten Projekten.

 

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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