Leadership

Vier Tipps, wie man Spezialistinnen und Individualisten richtig führt

Je qualifizierter Mitarbeitende sind, umso selbstbewusster sind sie. Oft agieren diese Spezialisten und Fachkräfte auch selbstständig. Vielen Führungskräften fällt es schwer, solche Querdenker und Individualisten zu führen.

Die Arbeitsstrukturen und -beziehungen in den Unternehmen haben sich stark gewandelt. So wird heute zum Beispiel in den Kernbereichen der meisten Unternehmen die Leistung weitgehend in Team- und Projektarbeit erbracht. Ausserdem lautet eine Anforderung an alle Mitarbeitenden: Sie sollen ihre Aufgaben eigenverantwortlich wahrnehmen. Das setzt voraus, dass sie sich mit dem Unternehmen und ihren Aufgaben identifizieren – weil sie

  • selbst die gewünschte Wertschätzung erfahren,
  • wissen, was die Ziele des Unternehmens sind, und
  • ihr Tun als sinnvoll erfahren.

Das wiederum erfordert einen anderen Führungsstil.

Ein verändertes Führungsverhalten ist auch nötig, weil die Führungskräfte heute oft keinen fachlichen Wissens- und Erfahrungsvorsprung vor ihren Mitarbeitenden mehr haben. Denn diese sind hochqualifizierte Spezialisten, die bezüglich gewisser Fachaufgaben häufig ein grösseres Know-how als ihre disziplinarischen Vorgesetzten haben. Entsprechend selbstbewusst sind diese Mitarbeitenden – insbesondere, wenn sie wissen, dass das Unternehmen auf ihre Expertise angewiesen ist. Entsprechend selbstbewusst treten sie auch ihren Vorgesetzten entgegen, und in der Alltagskommunikation mit ihnen wollen sie die Wertschätzung spüren, die ihnen und ihrer Arbeit ihrer Meinung nach gebührt. Sonst sinkt ihre Arbeitsmotivation, und im Extremfall wechseln sie den Arbeitgeber.

1. Führungskräfte müssen mehr und anders kommunizieren

Solch selbstbewusste Mitarbeiter zu führen, fällt vielen Führungskräften schwer. Denn insgeheim haben sie oft noch das Credo verinnerlicht: Mitarbeitende müssen die Anweisungen ihrer Vorgesetzten blind befolgen. Das tun besagte Mitarbeitende aber nicht. Sie hinterfragen vielmehr die Anweisungen und Entscheidungen ihrer Führungskräfte. Zumindest wollen sie eine plausible Begründung haben, warum aus deren Warte gewisse Dinge nötig sind.

Für die Führungskräfte bedeutet dies: Sie müssen mehr und anders als früher mit ihren Mitarbeitenden kommunizieren. Statt Top-down-Anweisungen ist ein Einbeziehen der Mitarbeitenden in die Entscheidungsprozesse angesagt. Und wenn dies nicht möglich ist? Dann müssen die Führungskräfte zumindest akzeptieren, dass ihre Mitarbeitenden ihre Entscheidungen hinterfragen. Doch nicht nur das: Sie müssen auch akzeptieren, dass nicht nur sie zuweilen das Verhalten ihrer Mitarbeitenden hinterfragen; ihre Mitarbeitenden tun dies umgekehrt auch.

Zumindest theoretisch ist dies den meisten Führungskräften bewusst. Das bedeutet aber nicht, dass sie stets das richtige Führungsverhalten zeigen. Im Betriebsalltag registriert man oft, dass Führungskräfte gerade in Situationen, in denen sie selbst angespannt sind, ein Führungsverhalten zeigen, das eher einem autoritären als partnerschaftlich-kooperativen Führungsstil entspricht. Dadurch provozieren sie vermeidbare Konflikte mit ihren Mitarbeitenden.

2. Die Fachkräfte «ticken» unterschiedlich

Mit einigen Mitarbeitenden haben Führungskräfte eigentlich nie Probleme; in der Beziehung zu anderen tauchen aber fortwährend Konflikte auf. Analysiert man die Ursachen hierfür, dann stellt man meist fest: Ist die Beziehung Führungskraft-Mitarbeiter intakt, dann haben die Führungskräfte meist

  • ein ähnliches Wertesystem wie die Mitarbeitenden, mit denen sie gut harmonieren, und/oder
  • ihre Verhaltenspräferenzen korrespondieren mit den Erwartungen, die die Mitarbeitende aufgrund ihres Wertesystems an ihre Führungskraft haben.

Anders ist dies bei den «schwierigen Mitarbeitenden». Sie haben entweder ein anderes Wertesystem als ihre Führungskraft, weshalb ihnen bei der Arbeit (und im Leben) andere Dinge wichtig sind. Oder sie haben aufgrund ihres Wertesystems Erwartungen an ihre Führungskraft, die diese aufgrund ihrer Präferenzen nicht erfüllt.

3. Sich der unterschiedlichen Wertesysteme bewusst sein

Die divergierenden Wertesysteme und Erwartungen wären im Betriebsalltag kein Problem, wenn diese den Führungskräften bewusst wären. Denn dann könnten sie sich darauf einstellen. Viele Führungskräfte kennen aber ihr eigenes Wertesystem und ihre Verhaltenspräferenzen nicht. Und noch weniger kennen sie die Wertesysteme und die hieraus resultierenden Verhaltensmuster und Erwartungen ihrer Mitarbeitende. Doch dies wird für ein erfolgreiches Führen von Spezialistinnen und Spezialisten  immer wichtiger.

Heute hat die Arbeit für viele hochqualifizierte Mitarbeitende eine identitätsstiftende Funktion. Das heisst, sie wollen sich in ihrer Arbeit verwirklichen und diese als sinnvoll erfahren. Sie stellen also höhere Anforderungen an ihre Arbeit und somit ihre Führungskräfte. Und die Führungskräfte? Sie stehen vor der Herausforderung, diese zu erfüllen, damit sich ihre Fachkräfte mit der Arbeit identifizieren und die gewünschte Leistung bringen.

4. Auf die individuellen Bedürfnisse angemessen reagieren

Das setzt voraus, dass die Führungskräfte ihr eigenes Wertesystem kennen. Führungskräfte sollten, wenn sie ihre Mitarbeitende ihren Bedürfnissen entsprechend führen möchten, aber auch wissen:

  • Wie «tickt» mein Fachpezialist?
  • Wie sieht die Welt durch seine «Brille» aus? Und:
  • Was braucht er, um seine Leistungsfähigkeit zu entfalten?

Denn nur dann können Führungskräfte ihr Führungsverhalten wirklich dem Gegenüber anpassen. 

In vielen Unternehmen besteht ein Bedarf, die Führungskräfte diesbezüglich zu schulen – speziell in solchen, die sich zu High-Performance-Organisationen entwickeln möchten. Denn dieses Ziel lässt sich nur mit hochqualifizierten, selbstbewussten Mitarbeitern erreichen, die sich voll mit ihrer Arbeit identifizieren. Und diese Mitarbeiter wollen eine individuelle, das heisst eine sie als Person wahrnehmende und wertschätzende Führung erfahren.

 

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Michael Schwartz leitet das Institut für integrale Lebens- und Arbeitspraxis (ilea) in Esslingen. Der Diplom-Physiker arbeitete vor seiner Beratertätigkeit fast zwei Jahrzehnte als Führungskraft sowie Projektmanager in der (Software-) Industrie. www.ilea-institut.de

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